Der Fake – ein Protokoll

Nachdem nun klar zu sein scheint, dass das angebliche Forenposting, in dem der Amokläufer von Winnenden seine Tat angekündigt haben soll, ein Fälschung war, also ein Fake, will ich hier eine Art Protokoll veröffentlichen über den gestrigen Nachmittag. Vielleicht wird daraus ein Lehrstück über die inzwischen einer harschen Kritik unterzogenen Medien und wie der Nachrichtenbusiness eigentlich funktioniert.

14.30 Uhr

Ich werde von einer Tageszeitung angerufen, ob ich ein Stück schreiben könne über diesen „Internetchat“, in diese Ankündigung veröffentlicht worden sei. Der heiße „Krautchan“. Meine erste Reaktion war: Hmm, kenne ich nicht und ein Chat könne das ja schon mal gar nicht sein. Wahrscheinlich werde es sich eher um ein Forum handeln. Ja, könne sein, man wisse es nicht genau. Okay, sagte ich, werde mir das mal anschauen. Als Info erhielt ich noch: Auf einer Schweizer Zeitungswebsite sei ein Bild veröffentlicht worden, in dem das zu lesen sei.

Tatsächlich, dort war ein Screenshot zu sehen, der dann überall auftauchte. Dort stand auch zu lesen, der sei der Zeitung durch eine anonyme Mail zugespielt worden. Zu entnehmen, so die Website, sei ein Dialog zwischen dem Täter und einem jugendlichen Bernd. Stand dort so. Okay, ich also erstmal ein bisschen rumgegoogelt, was denn Krautchan überhaupt sei, kannte ich ja nicht. Das Forum selbst war ja inzwischen schon weg.

Die ersten Infos, die dazu zu kriegen waren, waren doch etwas verwirrend. Ich kenne mich zwar in Foren einigermaßen aus, aber das war dann doch alles sehr kryptisch, um überhaupt zu verstehen, was da passiert. Erste Idee: Jetzt muss Twitter ran. Irgendeiner muss das doch kennen.

14.58 Uhr

Ich setze auf Twitter eine Frage ab.

Wer kennt dieses Forum krautchan.net, in dem Tim K. seine Tat angekündigt hat? http://tinyurl.com/c3t84q Pls dm

Innerhalb Minuten meldet sich jemand, der offenbar sehr viel Ahnung hat und nicht nur das, er hat sich sogar wissenschaftlich damit auseinandergesetzt. Wir telefonieren. Mir wird schnell klar, dass dieses Forum ein wüster Ort ist, in dem alles möglich ist. Sagen wir mal so: Auf Netiquette wird dort recht wenig Wert gelegt. Bodenloser schwarzer Humor und tabulose Fakes sind dort an der Tagesordnung. Außerdem wird auch klar, dass „Bernd“ das Pseudonym für die Forenöffentlichkeit dort an sich ist, auf jeden Fall keine reale identifizierbare Person. Die Schweizer waren also schon mal völlig daneben.

Mein Informant ist sich zu 99 Prozent sicher, dass es sich um einen Fake handelt. Auch die Tatsache, dass dieses Forum das allerletzte sei, um eine irgendwie wahrnehmbare Drohung zu veröffentlichen, überzeugt mich. Denn letztlich geht es solchen Irren immer um allerhöchste Aufmerksamkeit, um Beachtung. Bei Krautchan löst die Ankündigung eines Amoklaufs bei den Nutzern höchstens ein müdes Lächeln aus. Kommt dort täglich vor.

15.20 Uhr

Ich kriege eine wissenschaftliche Arbeit von dem Informanten zugeschickt, die wenigstens mal in verständlichen Worten eine fundierte Geschichte und Einschätzung dieser Art von Imageboards möglich macht. Außerdem schickt er einen Link auf einen aktuellen Thread in 4Chan, dem Musterforum, dessen deutsche Kopie Krautchan ist (Kraut = Deutsch) , wo auch die Betreiber von Krautchan das inzwischen oft zitierte Dementi abgesetzt haben. Das gleiche taucht dann kurze Zeit später auf der Startseite von Krautchan auf.

15.33 Uhr

Ich rufe bei der Redaktion an und äußere meine Skepsis. Die wenden ein, der Innenminister habe das aber höchstpersönlich mitgeteilt. Ich beharre auf meiner Meinung und äußere die Ansicht, dass nur die Ermittlungsbehörden letztendlich nach Prüfung des PCs des Täters sagen können, ob das echt sei. Die müssen eben Datenspuren im Verlauf, im Cache oder sonstwo finden. Okay, irgendwie beeindruckt die das und sie wollen erneut in Waiblingen bei der Polizei nachfragen. Ich äußere meine Skepsis bei Twitter.

Ich bin mir so sicher, dass es sich um einen Fake handelt, dass ich ein Stück beginne, das von dem verständlichen Wunsch nach Erklärungen handelt. Es ist eben ein menschliches Bedürfnis, nach solch schockierenden Ereignissen nach Gründen zu fragen, sich das Unfassbare irgendwie erklärbar, begreifbar zu machen. Grade auch die Opfer, diejenigen die die Liebsten verloren haben, haben darauf einen Anspruch.

15.57 Uhr

Ein Nachrichten-TV-Sender hat bei Twitter mitgelesen und fragt an, woher ich diese Einschätzung, es handele sich um einen Fake, habe. Ich wiederhole meine Einschätzung und Rechercheergebnisse. Mir wird diese DPA-Meldung entgegengehalten.

Stuttgart (dpa/lsw) – Die Internet-Ankündigung eines Amoklaufs in einer Schule in Winnenden stammen zweifelsfrei von dem 17-jährigen Täter Tim K. Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) sagte am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur dpa in Stuttgart, die Ermittler hätten entsprechende Daten auf dem PC des Amokläufers gefunden. Sie zeigten, dass er in der Nacht vor der Tat in einem Internet-Forum geschrieben habe: «Ich meine es ernst, Bernd – ich habe Waffen hier, und ich werde morgen früh an meine frühere Schule gehen und mal so richtig gepflegt grillen.» Weiter hieß es: «Merkt Euch nur den Namen des Orts: Winnenden.»

Nun gut, ich gehe in dem Moment davon aus, das die Polizei weiß, was sie macht und wirklich handfeste Beweise hat. Letztlich können nur die das wirklich sagen. Inzwischen ist der Text des angeblich Forumsthreads auf allen großen Nachrichtenseiten.

16.30 Uhr

Ich telefoniere wieder mit der Redaktion. Die können meine Einschätzung verstehen, haben aber den Innenminister eines deutschen Bundeslandes auf ihrer Seite. Klar, die glauben nicht mir, sondern dem. Würde ich auch tun. Wir vereinbaren, dass ich ein Stück mit den bisherigen Infos über Krautchan schreibe, quasi Fakten zuliefere. Die werden das in einen Artikel einarbeiten. Habe kein Problem mit dieser Vorgehensweise.

17.17 Uhr

Ich liefere meine Textinfos.

18.13 Uhr

Krautchan veröffentlicht das Dementi. Ich schicke den Link sofort in die Redaktion. Antwort ist die DPA-Meldung oben, die mir Stunden vorher der Nachrichtenredakteur des TV-Senders geschickt hatte.

19.45 Uhr

Ich verlasse das Büro, um zu einem anderen Termin zu gehen. Eine Ausstellungseröffnung mit Dokumenten aus dem ersten Weltkrieg, über die ich berichten soll. Weil es ein nettes Buffet gibt, bleibe ich etwas länger.

21.45 Uhr

Auf dem Stehempfang schaue ich mal bei Twitter rein und sehe eine Nachricht von dem Zeitunsgredakteur von 21.31 Uhr: Polizei korrigiert sich: Doch keine Beweise für Echtheit des Forumsbeitrags. Er werde den Text schnell umschreiben.

Tatsächlich ist der Text heute erschienen mit den Infos über Krautchan und den Einschätzungen, die ich formuliert hatte.

Fazit

Letztlich greifen die Vorwürfe, die heute an vielen Stellen im Web zu lesen waren, die Presse habe schlecht recherchiert, zumeist ins Leere. Was sollen die machen? Die hängen an den Mitteilungen der Ermittlungesbehörden. Und wenn die Fehler machen, dann werden sich diese Fehler fortpflanzen. Kann daran etwas geändert werden? Schwierig. Es bleibt das Informationsbedürfnis der Leser.

Nachtrag

Heute hat sich jemand zu dem Fake bekannt. Ist inzwischen gelöscht oder gesperrt. Ich habe ein PDF gemacht, das ich aber hier nicht veröffentliche, um meinen Server zum Absturz zu bringen. Ich schicke es auf Anfrage raus.

Was noch erreicbar ist, ist der angebliche Originalthread, aus dem dann der Fake gebastelt wurde.

Die Echtheit dieses Eintrags lässt sich nicht überprüfen. Ich habe den Link in die Redaktion geschickt. Mal sehen, ob sie der Sache nachgegangen sind. Gehe aber eher davon aus, dass die das nicht melden. Obwohl, wenn ich mir das jetzt noch mal anschaue, sehe ich die gleichen Bilder, die eben in der Tagesschau liefen. Das Misstrauen gegen die anonyme, schnelllebige Webwelt ist auf jeden Fall auch in den Redaktionen nach diesen Ereignissen gewachsen. Ich hoffe es auf jeden Fall.

Der Fake – ein Protokoll

12 Gedanken zu „Der Fake – ein Protokoll

  1. Xooyoo schreibt:

    Vielleicht solltest du einen Kurs Medienkompetenz für Politiker, Polizei und Journalisten anbieten…
    Wie nahezu die gesamte Presse auf diesen Fake hereingefallen ist, das zeugt doch von akuter Ignoranz der Gepflogenheiten im Internet. Da verstehe ich langsam auch warum etliche Journalisten gegenüber Twitter, Blogs usw. eher kritisch eingestellt sind. Zeitungen kommen untereinander eher nicht auf die Idee sich untereinander zu verarschen oder?

  2. Björn schreibt:

    Sorry Xooyoo, aber die Kritik an den Journalisten ist doch in dem Fall echt unangebracht. Auf wen soll man sich als schreibende Zunft denn sonst verlassen, als auf die zuständigen Ermittlungsbehörden. Anstatt dass man gegen die Presse schießt, sollte man eher Fragen wie es zu solchen Ermittlungenpannen kommen konnte. Schließlich hat das Innenministerium von BaWü auf der Pressekonferenz groß von diesem „Chat-Eintrag“ gesprochen. Aber natürlich sollte man auch in Zeiten von Twitter und Blogs nicht alles glauben, was dort so über den Äther gejagt wird. Eine kritische Hinterfragung ist da natürlich angebracht. Aber bei Informationen die Bundes- und Landesbehörden rausgeben, da dürfte man doch von ausgehen, dass diese der Wahrheit entsprechen.

  3. „Ich habe ein PDF gemacht, das ich aber hier nicht veröffentliche, um meinen Server zum Absturz zu bringen. Ich schicke es auf Anfrage raus.“

    Gerne, E-Mail-Adresse hast du ja durch diesen Kommentar.

    Nettes Protokoll übrigens. Bei mir hat auch gestern eine Journalistin angerufen, die etwas dazu wissen wollte. Konnte ihr aber auch nur das sagen, was ich im Internet gelesen hatte (dass „Bernd“ die deutsche Entsprechung für „Anonymous“ ist, wusste ich vorher gar nicht).

  4. Amoklauf in Winnenden und die Unfaehigkeit der Medien sich Fehler einzugestehen…

    Die oftmals ueber das Internet oder WWW (den Unterschied kennen Sie wahrscheinlich eh nicht..) laesternden Medien sind selbst Opfer eines Fakes geworden, den sie mit sehr wenig Rechercheaufwand selbst haetten entlarven koennen:Als Bonbon wird teilweise…

  5. Das erklärt auch, warum zusätzlich zu den Printmedien die Blogseiten so oft Falschmeldungen übernehmen. Schlecht oder gar nicht recherchiert oder zwar Recherche betrieben und falsch informiert worden. Und das auch noch von Menschen, die es wissen müssten.

    Wie ich in meinem Blog letzte Woche schon geschrieben habe – der Leser muss auch mitdenken und nicht nur die Sensation wollen. Vielleicht kommt dann auch wieder mehr Qualität in die Berichtserstattung.

    Auf jeden Fall: Gut dass man Dir wenigstens noch trauen kann. Prima Arbeit!

  6. Ach, Bernd. Im Nachhinein sagen: „Ich wusste es die ganze Zeit besser“, hat halt auch so einen Geschmack von Selbstprofilierung. Warum hast Du das nicht schon gebloggt, als die Sache aktuell war, wenn es denn so stimmt? Dass Krautchan kein Chat und überhaupt fragwürdig ist, weiß aber auch so ziemlich jeder, der länger als zwei Tage in der Forenlandschaft des Netzes unterwegs ist.

  7. Woher kommt die irrige Annahme, man müsse sich auf die DPA Meldung der Polizeibehörden verlassen können? Die liegen so oft falsch in ihren Annahmen, das gesunde Zweifel im Einzelfall angebracht sind. Vor allem wenn man selbst nah am Thema dran ist und es eigentlich besser weiß. Wenn solche berechtigten Zweifel bestehen, dann muss das die Redaktion das auch beachten und diese deutlich machen statt einfach nur die DPA Meldung des achso glaubwürdigen Innenministers abzudrucken.

    Insofern ist das gut, wie das mit dem Fake gelaufen ist, das hat vielleicht einigen die Augen geöffnet. Früher hatte man noch echte (menschliche) Quelle, die einschätzbar waren. Heute verlässt man sich bei der Recherche oft genug auf Google und den Diensten, die auf der Hypewelle gerade ganz oben schwimmen, statt auf die Personen zuzugehen, die hinter den Sachverhalten stehen. Das garantiert zwar nicht, das man nicht auch auf Fakes reinfällt, aber das erschwert es. Nachteil, es kostet Arbeit und Zeit. Beides möchte man vielerorts heute scheinbar nicht mehr investieren. Daher leben wir in einer Presse-/Medienlandschaft, in der man immer hinterfragen muss, die sich bestenfalls einen kümmerlichen Rest an Glaubwürdigkeit bewahrt hat.

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