Twitter: Die Geburt eines neuen Massenmediums

Heute gab es eine Diskussion in unserem beliebten Dienst Twitter über eine Meldung von SPIEGEL ONLINE. Inhalt: Politiker von CDU und SPD haben offensichtlich über die massenmedialen Möglichkeiten von Twitter neu nachgedacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass eine Manipulation der Bundestagswahlen droht. Die Gefahr gehe von den so genannten Exit Polls aus, also den Ergebnissen der Nachwahlbefragungen. Diese werden bereits vor Schließung der Wahllokale an die Parteizentralen weitergegeben. Meist gegen 15 Uhr erfolgt eine Vorabprojektion der erhobenen Ergebnisse. Die Besorgnis der Politiker: Diese Zahlen könnten vorab via Twitter bekannt werden. Damit würde die Wahlentscheidung derjenigen beeinflusst, die bis dato ihre Stimme noch nicht abgegeben hatten.

Diese Überlegung stößt wiederum in Twitterland auf erhebliches Unverständnis. Die Meinungen oszillieren zwischen Hohn, Empörung, bis hin zu den inzwischen üblich geworden und immer dümmlicheren Zensur-Empfehlungen, Twitter doch zu sperren für diesen Tag. (Getretener Quark wird breit, nicht stark!) Ich kann diese Reaktionen nicht ganz nachvollziehen. Denn eigentlich bedeuten die Befürchtungen der Politik doch etwas ganz anderes.

Fakt ist: Twitter wird als extrem schnelles und offenes Medium angesehen, das massiv in das öffentliche Meinungsbild eingreifen kann! Twitter wird damit als Massenmedium begriffen, dass es jedem ermöglicht, potenziell alle zu erreichen.

Sicher, auch hier müssen wir uns zurücknehmen, denn nicht Twitter selbst erreicht die Massen, sondern das läuft (noch?) vermittelt über die eigentlichen Massenmedien. Das konkrete Szenario sieht also so aus, dass RTL oder ntv am Nachmittag des Wahltages melden, dass auf Twitter dieses oder jenes vermutliche Wahlergebnis veröffentlicht wurde.

Denn die Exit Polls sind schon sehr genau. Es werden tausende Wähler – freiwillig und sehr detalliert – befragt, nachdem sie ihre Stimme abgegeben haben. Unter anderem aus diesen Zahlen wird dann die Wahlprognose entwickelt, mit der die Medien um Punkt 18 Uhr auf Sendung gehen. Bisher jedenfalls waren diese Zahlen sehr nah an den tatsächlichen Wahlergebnissen. Ist aber auch schon mal nach hinten losgegangen. Man erinnere nur, wie sich Edmund Stoiber 2002 zum Sieger ausrief. Kam dann ganz anders.

Halten wir also fest: Die Ergebnisse der Nachwahlbefragungen dürfen nicht vor Schließung der Wahllokale in die Öffentlichkeit gelangen. Bisher hat das ein ungeschriebenes Gesetz verhindert. Denn weder die Parteizentralen noch die (vermutlich ebenso beteiligten) Medienredaktionen haben die ihnen bereits am Nachmittag bekannten Ergebnisse hinausposaunt. Denn wenn sie es tun würden, wären sie beim nächsten Mal sicher nicht mehr dabei.

Jetzt gibt es aber Twitter. Twitter steht jedem offen. Jeder hat die Chance mit seiner Meldung eine brisante Öffentlichkeit zu erreichen. Das gab es bisher nicht. Twitter ist außerdem zitierfähig. Keine Redaktion der Welt kann es sich noch leisten, eine bei Twitter veröffentlichte Meldung zu ignorieren, die einigermaßen valide erschient Da sei der Konkurrenzdruck vor.

Kurzum: Was wir grade erleben, sind die Nebenwirkungen der Geburt eines neuen Massenmediums und zwar eines, das jedem offensteht. Das ist das eigentlich interessante an den heutigen Meldungen.

Twitter: Die Geburt eines neuen Massenmediums

9 Gedanken zu „Twitter: Die Geburt eines neuen Massenmediums

  1. Unabhängig davon, ob hier nun zu Unrecht Panik geschoben wird, oder ob es eine Bestätigung von Twitters massenmedienfähigkeit ist (ich befürchte, weder das eine nch das andere ist der Fall):
    Wie soll man sich denn die mögliche Beeinflussung vorstellen? Angenommen, die SPD erfährt um 15 Uhr, dass sie nur bei 19 % liegt . Daraufhin twittern ein paar SPD-Twitterer: „Leute, geht noch schnell wählen, wir sind unter 20 %, das darf doch nicht wahr sein!“. Darauf eilen die twitternden Nichtwähler mit sozialdemokratischer Grundsympathie noch rasch an die Urnen und hiefen die Sozis noch auf 23 % und verhindern so die schon sicher geglaubte Merkel/Westerwelle-Koalition?
    Ich denke, da wird übersehen, dass die Politik die Mobilisierung von Twitter (bei ihrer jetzigen Haltung zum Netz) überhaupt nicht leisten kann.

    Was meiner Meinung nach vielmehr gilt: die Wahlen werden nicht am Nachmittag des 27.9. durch Twitter beeinflusst werden, sondern – siehe der sich rund um das Thema #Zensursula formierende Bürgerprostest im Netz – in der Zeit davor!

  2. Das passt ja wie die Faust aufs Auge. Twitter am Wahltage sperren? Etwas Absurderes, Unverhältnismäßigeres und Abwegigeres habe ich ja noch nie gehört. Dass Parteizentralen und Redaktionen die Ergebnisse der Exit Polls nicht vorzeitig weitergeben dürfen, galt immer schon und hat mit Twitter überhaupt nichts zu tun. Verstöße gegen diese Regel müssen halt hart sanktioniert werden, wenn einzelne Politiker oder Journalisten ihr Mitteilungs- und Geltungsbedürfnis nicht im Griff haben. Andersherum durften Privatpersonen immer schon laut hinausposaunen, wen sie gerade gewählt haben. Es ist völlig egal, ob sie das per Twitter tun oder sich mit einem Megaphon auf den Marktplatz stellen. Dass alleine schon erwogen wird, Twitter zu sperren, sehe ich als Kollateralschaden der Netzsperren. Dass sie damit im Bundestag durchgekommen sind, hat einigen Politikern das Hirn vernebelt. Sie werden künftig als vermeintliche Allheilmethode ”Sperren!“ rufen.

  3. Dirk Baranek schreibt:

    @markus
    Auf Grund welcher politischen Faktoren die Wahlen entschieden werden, spielt bei meinem Ansatz zunächst mal keine Rolle. Mir ging es nur um die Wahrnehmung, dass wir es inzwischen mit einem machtvollen medialen Werkzeug zu tun haben, dass allen offensteht.

    @ulrike
    Twitter sperren? Das hat, glaube ich, niemand gefordert. Mir scheint es nur so zu sein, dass sich die Löcher nicht mehr stopfen lassen. Die Mauer des Schweigens ist zum Sieb geworden. Offensichtlich erfordert dieser Umstand ein Überdenken bisheriger Abläufe. Das ist doch das eigentlich interessante an der Geschichte.

  4. @Dirk: Schon klar. Deshalb leitete ich meine Gedanken ja auch mit „Unabhängig davon…“ ein. Mit der Wahrnehmung von Twitter als machtvollen medialen Werkzeug hast Du natürlich recht.

  5. Der Spott und die Häme kamen (meiner Meinung nach) vielmehr dadurch zustande, dass wieder einmal ein Verbot gefordert wurde (Trallafiti) , um etwas zu verhindern was sowieso schon gesetzlich eindeutig geregelt ist, Stichwort „rechtsfreier Raum“. Es ist das komische Verständnis von Internet und die Herangehensweise der Politik.

  6. Na klar, der Krake schneiden wir die Arme ab, die ihr wehtun. Anstatt wieder(?) ehrliche Aussagen zu treffen und nach der Wahl einzuhalten, wird das Wahlvolk für unmündig erklärt und Twitter gesperrt.

    Was kommt als Nächstes? Die Ausrufung der Diktatur unter Rigide der Parteien, die in den letzten 60 Jahren durchschnittlich die höchsten Prozentpunkte hatten?

    Eine funktionierende Demokratie sollte auch Twitter und das Internet nicht fürchten. Vielleicht sehen einzelne Politiker ihre Felle wegtwittern?

  7. Marcel-André Casasola Merkle schreibt:

    „Bisher hat das ein ungeschriebenes Gesetz verhindert.“

    Falsch. Schon bei der Bundestagswahl 2005 waren die Zahlen in einigen (öffentlich zugänglichen) Foren auch gegen 15.00, 16.00 Uhr zu lesen. Twitter wird dieses Mal allerdings wie ein Megaphon funktionieren. Ich glaube, eine Vorveröffentlichung der Zahlen ist nicht zu verhindern…

  8. @ Marc-Andre: Und warum auch sollten diese verhindert werden? Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der mündige Bürger ein Recht auf Information hat. Wo und wann auch immer! Und die Zwischenergebnisse der Wahlen gehören dazu.

  9. dieter1 schreibt:

    Hi, also ich versteh immer noch nicht wofür Twitter gut sein soll , vieleicht bin ich auch schon zu Alt dafür …………
    Gruß dieter1

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