Mit Theodor Heuss in die Architekturmoderne

Liberaler Publizist, erster Bundespräsident – so kennt man Theodor Heuss bisher. Jetzt stellt eine Führung rund um den Killesberg einen etwas weniger bekannten Aspekt vor, den des Organisators und Propagandisten der Architekturmoderne.

 Von Dirk Baranek

 Stilikone Theodor Heuss? Nunja, wenn man das Haus auf dem Killesberg betritt, das sich der erste deutsche Bundespräsident Ende der Fünfziger Jahre als Altersruhesitz bauen und einrichten ließ, ergibt sich zunächst der Eindruck leicht miefiger Bürgerlichkeit. Wären da nicht die Reihe großartiger Gemälde von Impressionismus bis Kubismus und der Lesesessel in der Ecke des Arbeitszimmers: Eine Ausgabe des inzwischen legendären Lounge-Chairs, den die Gebrüder Eames 1956 vorstellten.

 Man versteht: Heuss interessierte sich Zeit seines Lebens für die zeitgenössische Entwicklung sowie avantgardistischen Tendenzen in Architektur und Kunst. Diesen Aspekt des liberalen Politikers will eine neue Führung verdeutlichen, die die Stiftung Theodor-Heuss-Haus und das Weißenhofmuseum gemeinsam anbieten. Für beide Institutionen tätig ist die Kunstwissenschaftlerin Brigitte Knorr, die die Führung daher äußerst kundig bestreitet. Es beginnt im Untergeschoss der bescheidenen Heuss-Villa, in dem eine Dauerausstellung über sein Leben mit Info-Tafeln und Dokumenten informiert. Knorr stellt klar, dass Heuss persönlich nur am Rand an der Entstehung der Weissenhofsiedlung beteiligt, allerdings Teil eines Beziehungsgeflechts von Personen war, die die Realisierung dieses mutigen Experiments der Architekturmoderne 1927 ermöglichten.

 Denn eigentlich war das weiße Gebäudeensemble am Killesberg Teil einer Ausstellung zur „industriellen Formgebung“ des Deutschen Werkbundes. Diese 1907 in München gegründete „Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen“ hatte sich das Ziel gesetzt, auf der Basis der „Neuen Sachlichkeit“ die Gestaltung des von Menschen geschaffenen Lebensumfeld zu verbessern – „vom Sofakissen bis zum Städtebau,“ wie Brigitte Knorr sagt. Soviel wird klar: Heuss war mittendrin. Schon zu Studentenzeiten hatte er in München einige der späteren Protagonisten des Werkbundes kennengelernt. Von 1919 bis 1923 konnte er dann als dessen Geschäftsführer und bis 1933 im Vorstand für seine vom liberalen Elternhaus geprägten Vorstellungen eines sozialen Bauens werben. Ein Geschäft, dass er beherrschte, war Heuss doch Zeit seines Lebens vor allem Journalist und Publizist. In der Ausstellung befindet sich auch eine Sonderbeilage des Stuttgarter Neuen Tagblatts, erschienen 1927 zwei Tage vor der Eröffnung der Weissenhofsiedlung. „Die Zeit und ihre Form“ ist die Überschrift des Aufmacherartikels, Autor Theodor Heuss.

 Nach dem ausführlichen Einblick in das künstlerisch-intellektuelle Leben geht die Führung den Hügel hinunter in Richtung der Alten Messe mit einem Zwischenstopp an der Kochenhofsiedlung, dem „traditionalistischen Gegenpol“ des Weissenhofs, wie Brigitte Knorr meint. 1933 wurde das Ensemble mit kräftigem Einfluss der NS-Diktatur mit Satteldächern und unter Verwendung von „deutschem Holz“ gebaut. Ähnlich erging es auch der Brenzkirche, die noch 1933 modern gebaut, dann als „Schand fürs Schwabenland“ diffamiert und zuletzt 1938 zu einem massiven Objekt umgemodelt wurde. Das ist den Häusern von Gropius oder Le Corbusier, in dessen Haus die Führung endet, erspart geblieben. Nur der Bombenkrieg hat Narben gerissen. Heuss hat sich die düsteren Jahren mehr schlecht als Recht mit seiner Schreibarbeit durchgeschlagen, Thema einer anderen Führung.

Nächste Führung am 9. März 2008, ab 14 Uhr. Kosten 12 Euro. Reservierung erforderlich unter 0711.2535558. Für Gruppen flexibel buchbar.

 [Der Artikel ist am 11. Februar 2008 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Mit Theodor Heuss in die Architekturmoderne

Von der Notbedachung bis zur Eierkartonfassade

Das Viertel rund um den Hans-im-Glück-Brunnen war das Thema des zweiten Stadtspaziergangs

Der zweite Stadtspaziergang, den die Stiftung Geißstraße und die Stuttgarter Zeitung gemeinsam anbieten, führte am Samstag durch das Viertel rund um den Hans-im-Glück-Brunnen. Der langjährige städtische Denkmalpfleger Helmut Feeß erläuterte bei dem Rundgang die Geschichte des Viertels.

Die meisten der vielen Vergnügungssüchtigen, die durch die mit gastronomischen Angeboten jeglicher Art lockenden Straßen rund um den Hans-im-Glück-Brunnen streifen, ahnen wahrscheinlich nicht, dass sie sich in der ersten Flächensanierung der Stadt befinden. Hier ist kein Stein, keine Fensterlade, kein Erker älter als hundert Jahre, auch wenn es manchmal anders aussieht, denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Block zwischen Eberhardt-, Nadler- und Steinstraße komplett neu bebaut worden. Die Geschichte dieses recht beschaulichen, verkehrsbefreiten Gebäudeensembles erzählte am Samstag Helmut Feeß den etwa 20 Teilnehmern am zweiten Stadtspaziergang, den die Stiftung Geißstraße zusammen mit der Stuttgarter Zeitung organisierte.

Die Führung beginnt mit einer aus zwei Gründen atemberaubenden Station, der Besteigung des der Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglichen Turms des Graf-Eberhard-Baus. Feeß kennt sich hier mehr als gut aus, denn als städtischer Denkmalpfleger hat er in dem mächtigen Haus bis 2005 seinen Dienstsitz gehabt. Das erste Mal stockt der Atem, weil die Gruppe zu Fuß das Turmzimmer erklimmen muss, am Wochenende fährt der Fahrstuhl nicht. Die über 200 Stufen lassen so manchen Teilnehmer aus der Puste kommen. Das zweite Mal stockt der Atem, weil oben angekommen die Aussicht auf die verwinkelten Dächer des Viertels recht spektakulär ist. Wer aber geglaubt hat, hier direkt bis ins Mittelalter zu schauen, der irrt gewaltig.

Feeß erzählt die Geschichte von Eduard von Pfeiffer einem hoch angesehen wie wohlhabendem Bürger dieser Stadt. Pfeiffer hatte soziale Neigungen und widmete sich mit Bauprojekten seines Vereins zum Wohl der arbeitenden Klassen den widrigen Lebens- und Wohlverhältnisse der einfachen Leute in der engen Stadt. Mehrere Siedlungsprojekte hat er um die Jahrundertwende initiert und kaufte unter anderem die Grundstücke im Geißviertel. 1901 wurde die vorhandene niedrige Bebauung komplett abgerissen und neu bebaut – heller, luftiger und romantisch. 1909 war alles fertig und nur der Straßenverlauf erinnerte noch an das alte Viertel. „Alles rückwärtsgewandte Architektur. Es sollte heimelig werden,“ sagt Helmut Feeß und meint den Stilmix aus Renaissance, Baukunst süddeutscher Handelshäuser und Neoklassizismus. Das Viertel kam allerdings an, die Mischung aus Geschäften und Wohnungen funktionierte.

Zurück auf dem Boden der Geißstraße geht die Führung um die Ecke vor den Graf-Eberhard-Bau. Der war bis 1977 voll mit Büchern, denn der Barsortimenter Koch, Neff und Oettinger hatte hier seinen Stammsitz. Jetzt wird hinter den massiven Mauern die Stadt der Zukunft entworfen, denn seit über 20 Jahren gehört der Bau der Stadt und beherbergt das Stadtplanungsamt.

Weiter geht es die Eberhardstraße hoch bis zur Ecke Steinstraße. Feeß erzählt nun die Geschichte des Tagblatturms und die des Kaufhauses Schocken gegenüber. Letzteres gibt es seit 1960 nicht mehr, dort steht jetzt die Stein gewordene architektonische Fragwürdigkeit mit Namen Galeria Kaufhof, ein Umstand, der den Denkmalpfleger immer noch auf die Palme bringt. „Wir stehen hier vor einer der größten Bausünden der Stadt,“ sagt er. Das Schocken war ein Experiment des neuen Bauens, materialisierte den Bauhaustraum aus Glas, Metall und klaren Linien. Abgerissen wurde er, unter Protest der gesamten Architektenschaft der Stadt, weil die Straße davor drei Meter zu schmal war, um als Querspange innerhalb des Cityrings zu funktionieren. Die Folgen dieser Fehlentscheidung werden vor allem in der Steinstraße offensichtlich, bei dem der Blick hoch auf die Eierkartonfassade geht, die der Kaufhauskonzern bundesweit in die Städte geklotzt hat. „Das wird niemals in den Denkmalschutz kommen,“ sagt Feeß später fast verächtlich. Der Anblick läuft jedem halbwegs geschultem ästhetischem Empfinden zuwider.

Zuletzt biegt die Gruppe in die Nadlerstraße ein. Hier Feeß weist auf die städtebaulichen Narben hin, die die Bombenangriffe vor über 60 Jahren bis heute hinterlassen haben. „Dort an der Ecke sieht man noch die Notbedachung, die nach dem Krieg draufgesetzt wurde,“ sagt er. Auch sonst gibt es inzwischen an einigen Gebäuden erheblichen Sanierungsbedarf, aber weil die Stadt keinen Euro für die finanzielle Unterstützung mehr bereitstelle, werde sich hier auch weiter nichts tun, so Feeß. Die Führung endet am original erhaltenen Hans-im-Glück-Brunnen mit dem Gefühl, dass der Schutz der historischen Bausubstanz in Stuttgart keine Aufgabe ist, der man von Seiten der Stadtoberen besondere Priorität einräumt.

[Der Artikel ist am 24. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Von der Notbedachung bis zur Eierkartonfassade

Gegen den Trend der schrumpfenden Stadt

Bei einem Expertenhearing im Rathaus stand die Situation und Zukunft des Stuttgarter Wohnunsmarktes auf der Agenda.

Wie wollen in Zukunft wie viele Menschen leben und was bedeutet das für die Entwicklung des Wohnungsmarktes? Auf diese Frage versuchten gestern Experten Antworten zu geben, um daraus Eckpunkte für eine zukunftsorientierte Stadtplanung zu entwickeln.

Das Stadtplanungsamt Stuttgart führte gestern Abend im Rahmen des Entwicklungsprogramms „urbanWohnen“ ein Expertenhearing durch, um die aktuelle Situation des hiesige Wohnungsmarktes zu analysieren. Aber vor allem sollte ein wenig in die Zukunft geschaut werden, um mit einer neuen Strategie wandelnden Erfordernissen gerecht zu werden. Rund 200 Interessierte waren dem Aufruf des Stadtplanungsamtes gefolgt, Vertreter von Baugesellschaften, Stadtplaner, Architekten, Hausverwalter und Wohnungswirtschaftler, um sich von den vortragenden Wissenschaftlern über die derzeitige Situation informieren zu lassen und Lösungsansätze zu diskutieren. Handeln tut Not, denn die gesellschaftlichen Veränderungen werden erhebliche Auswirkungen auf die Stadtgesellschaft haben.

Bezüglich der aktuellen Lage waren sich alle Experten einig, dass die Landeshauptstadt eine hohe Lebensqualität bietet. Aber das ist nicht genug, um die weitreichenden Veränderungen der Zukunft zu meistern. Diese Veränderungen werden durch die Bedürfnisse und Wünsche der Bewohner bestimmt und deren Lebensverhältnisse werden bis 2020, so weit geht die perspektivische Planung, ziemlich andere sein als heute. Vor allem der demografische Wandel, also die zunehmende Alterung der Gesellschaft, stand bei allen Vorträgen als der die Entwicklung am stärksten beeinflussende Faktor im Vordergrund. Immer mehr ältere Menschen, die sich grüne, ruhige Innenstadtquartiere wünschen, weniger junge Familien, die im Umland bauen wollen, so die grobe Richtung, die auch von Professor Hanspeter Gondring, Leiter des Studiengangs Immobilienwirtschaft an der Berufsakademie Stuttgart, skizziert wurde. Er sieht vor allem in der Revitalisierung der Altbaubestände eine Chance und hält nicht viel von Neubauten. Diese werden aber trotz gleichbleibender Bevölkerungszahl notwendig sein, wie Detlef Kron, Leiter des Stadtplanungsamtes ausführte.

Allerdings ist ein gutes Stück Hoffnung dabei, denn die städtischen Planer wollen es schaffen, dass die Bevölkerungszahl bis 2020 nicht um etwa 15.000 Einwohner schrumpft, wie einige Prognosen vorhersagen. Da die Menschen aber in Zukunft anders leben wollen als heute, vor allem größer, schöner, ruhiger und doch zentral, muss die Zahl der Wohnungen um 20.000 wachsen, um für die stagnierende Bevölkerungszahl ein attraktives Angebot vorzuhalten. Das entspricht auch der Erwartung hiesiger Experten, wie sich aus einer Umfrage ergibt, deren erst Ergebnisse gestern vorab präsentiert wurden. Der Anstieg von Mieten und Preisen, ein erhöhter Bedarf beim Wohnflächenkonsum, ein starkes Wachstum in gewissen Marktnischen, zum Beispiel beim barrierefreien Wohnen für Senioren, und erhöhte eine Nachfrage nach Innenstadtlagen werden von den hiesigen Immobilienfachleuten als die Trends der Zukunft bezeichnet.

Das Häuschen im Grünen hat dabei für bestimmte soziale Milieus deutlich an Attraktivität verloren, so die Einschätzung von Rotraut Weeber vom Institut für Stadtplanung und Sozialplanung (Stuttgart-Berlin). „Die Miniaturausgabe der großbürgerlichen Villa ist für die selbstbewusster werdende Mitte der Gesellschaft kein erstrebenswertes Ziel mehr,“ sagt Weeber. Sie prognostiziert eine sich stärker differenzierende Gesellschaft, für die der Neubau im Einheitslook einfach nicht attraktiv genug ist. Eine Möglichkeit, den weiter vorhandenen Wunsch nach Eigentum, und zwar möglichst individuellem, nachzukommen, könnte eine breit angelegte Entwicklungsstrategie für die vorhandenen Stadtquartiere sein. Irene Weeber fordert ein verbessertes Qualitätsmanagement, um sozial problematische Quartiere mit höherwertigen Wohnungen und Infrastrukturen zu versorgen.

Denn nach wie vor ist für die Planer die soziale Entmischung, die im Moment stattfindet, ein Horrorszenario, aus dem viele Probleme erwachsen. Clever gestaltete Low-Budget-Wohnungen neben individuellen Stadthäusern, die sich solvente Baugemeinschaften errichten, das ist in etwa die Vorstellung, mit der die Stadtplaner zukünftigen Entwicklungen Raum schaffen wollen. Ob allerdings die Zukunft so eintrifft, wie von den Experten vorhergesagt, bleibt naturgemäß unklar. „Die Alten von morgen werden andere sein, als die Alten von heute,“ sagt Irene Weeber. Welche Art von Wohnungen die Generation 50plus bevorzugen wird, die 2020 etwa die Hälfte der Einwohner ausmacht, weiß im Moment niemand im Saal.

[Der Artikel ist am 18. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Gegen den Trend der schrumpfenden Stadt

Das Wahrzeichen ist erstaunlich filigran

Im Rahmen einer Leseraktion lädt die STUTTGARTER ZEITUNG in diesem Jahr zu über 36 Führungen durch. Dieses Mal geht es in den Fernsehturm Stuttgart.

Er war jahrzehntelang das Wahrzeichen der Stadt, denn immer wenn ein Grafiker die Aufgabe hatte, ein Bildsymbol für Stuttgart zu entwerfen, das Modernität und Fortschritt ausstrahlt, dann war die Betonnadel mit dem charakteristischen Korb gefragt. In der letzten Zeit hat er allerdings Konkurrenz vor allem durch die neuen Museen bekommen, die Kreativen wollen halt auch mal was anderes machen. Kurzum: Der Stuttgarter Fernsehturm kommt in die Jahre, aber noch nicht aufs Altenteil, denn er wird noch gebraucht und unter Denkmalschutz steht er sowieso. Obgleich der Name an sich inzwischen leicht gelogen ist. „Eigentlich müsste er jetzt Radioturm heißen, denn es wird kein Fernsehsignal mehr ausgestrahlt,“ sagt Klaus Grabbe verschmitzt. Der ist hier Betriebsleiter und führt die 16-köpfige Gruppe durch die Betonröhre. Nichts anderes ist der Turm, wie schon bei der ersten Station eindrucksvoll klar wird. Die führt in das Fundament und auf die Bodenplatte, die die Stahlbetonkonstruktion über den Köpfen trägt.

Diese ist mit Spitze 217 Meter hoch und wiegt 1.500 Tonnen. Vom Prinzip her ist sie konstruiert wie ein Stehaufmännchen: unten dick und schwer, oben dünn und leicht. Damit das Prinzip aufgeht, sind die Betonwände der Röhre am Fundament ein Meter dick. Die runde, mit 30 Meter Durchmesser gar nicht so große Platte, auf der das Ganze am Rand und in der Kreismitte steht, ist mit Stahlträgern wie eine Radfelge konstruiert und wiegt ebenfalls 1.500 Tonnen. Dazu noch 4.000 Tonnen Füllmaterial rundrum stellen sicher, dass selbst bei stärksten Wind der Turm nicht umfällt, sondern höchstens sanft mitschwingt „Oben auf der Spitze schlägt es bis zu 1,50 Meter aus, im Turmcafé sind es noch 30 Zentimeter“, sagt Herr Grabbe und fügt beruhigend hinzu: „Das merkt man aber eigentlich kaum. Nur das Wasser im Glas wackelt ein bisschen.“

Dass man den Turm überhaupt besteigen kann, ist eine Idee des Schöpfers Prof. Fritz Leonhardt. Als man Anfang der 50er Jahr beschloss, mit einem Sendemast aus Stahl für die Versorgung des Kessels mit TV-Signalen zu sorgen, schlug er vor, doch eine Betonkonstruktion zu bauen, die auch Besucher besteigen können, natürlich gegen Entgelt. Das sollte die Kosten wieder reinbringen und so wagte man das Experiment, denn dieser Turm war der erste seiner Bauart. Die Idee war ein voller Erfolg. Die Stuttgarter standen ab Februar 1956 Schlange und schon nach fünf Jahren hatte der SWR als Bauherr und Besitzer die Baukosten amortisiert.

Nach den Grundlagen geht es mit der Besichtigung weiter per Fahrstuhl in eine Höhe von 75 Metern. Dort ist eine Plattform, auf der sich dessen Technik bewundern lässt. „Lauschen Sie mal, da hört man nix“, sagt Herr Grabbe. Tatsächlich, die zwei Kabinen rauschen lautlos vorbei und verschwinden in der Höhe der Röhre, in die man hier sehr hoch schauen kann. Angesichts einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Sekunde wirkt das leicht unheimlich. Herr Grabbe weist noch auf die Kabelstränge und Versorgungsrohre. „Nach dem Turmbrand in Moskau 2003 wurde hier alles erneuert, damit es möglichst lange oben Strom gibt und Kommunikation möglich ist.“ Allerdings sei der Stuttgarter Turm anders konstruiert und deshalb schließt Herr Grabbe eine ähnliche Katastrophe aus. In dieser Höhe geht die den ganzen Turm durchziehende Nottreppe von einer Wendeltreppe über in eine Treppenhauskonstruktion. 762 Stufen sind es insgesamt und ein Lachen geht durch die Besuchergruppe, als Herr Grabbe auf jeden Fall Muskelkater verspricht, egal man hoch oder hinunter steigt. Das will jetzt keiner ausprobieren, sondern man steigt lieber wieder in den Fahrstuhl, der jetzt auf eine Höhe von 150 Meter rast, in die erste Etage des Korbs.

Hier ist viel Technik untergebracht, zur Versorgung aber auch für die Sendefunktionen. Neben den SWR-Radiostationen wird der Polizeifunk sowie eine Richtfunkstrecke nach Karlsruhe betrieben, die dem internen Datenverkehr des Senders dient. Rundum ist alles verglast und obwohl der ganze ferne Ausblick auf die Alb wegen des diesigen Wetters nicht möglich ist, hat man dennoch einen kompletten Blick auf die Fildern und die City im Nesenbachtal. 585 Meter über dem Schlossplatz befindet man sich jetzt und die Stadt wirkt ein bisschen wie ein Spielzeugland.

Einen Stock höher erwartet die Gruppe das allen Blendwerks entkleidete ehemalige Gourmetrestaurant, heute genutzt von den Theater Rampe und Altes Schauspielhaus. Man sieht die Wandkonstruktion, die den Korb zusammenhält, und staunt leicht beklommen, dass dazu diese paar 20 Zentimeter dicken Betonpfeiler genügen. „Es sollte so filigran wie möglich werden, damit das Konstruktionsprinzip aufgeht,“ sagt Herr Grabbe und strahlt eine Sicherheit aus, die alle Zweifel und Höhenschwindel verjagen. Deshalb zieht es auch noch mal alle zur Besucherplattform, wo der Blick nach oben geht auf die 65 Meter hohe, mit diversen Antennen bestückte Stahlkonstruktion der Spitze. Große Scheinwerfer blinken in weiß und rot, aber diese Hindernisfeuer sind im Grunde nur noch Zierat, dem Denkmalschutz geschuldet. Flugzeuge brauchen so etwas heutzutage nicht mehr. An dieser Stelle verabschiedet sich Herr Grabbe von der sichtlich beeindruckten Gruppe. Haben wir was vergessen: Ach ja, der Stuttgarter Fernsehturm ist zwar weltweit der älteste seiner Art, aber inzwischen auch der kleinste. Ein Grund mehr, ihn richtig liebzuhaben. Als Wahrzeichen hat er noch lange nicht ausgedient.

Filigrane Konstruktion

Fabian Engeser (27) begeistert sich vor allem für das Konstruktionsprinzip. „Ich hatte gar nicht gedacht, dass der Turm so filigran gebaut ist,“ sagt der Student der Angewandten Physik an der Uni Tübingen. „Alles überhaupt nicht bombastisch, sondern sehr tricky.“ Aus seinem Mund hat diese Einschätzung eine besondere Bedeutung, ist er doch quasi Spezialist für feingliedrige Systeme. Engeser steckt mitten in seinen Abschlussprüfungen zum Diplom, das er mit einer Arbeit über Teilchenoptik erlangen will. Grob gesagt ist das eine Technik, mit deren Hilfe man fast bis in die atomare Struktur hineinschauen kann. Der Fernsehturm ist für den aus Hechingen stammenden Studenten, der seit letztem Jahr in Degerloch wohnt, schon fast ein Stück Heimat. „Ich sehe ihn vom Fenster meiner Wohnung und wenn ich von Tübingen zurückkomme, sehe ich ihn schon von Weitem und weiß: ‚Gleich bist du zuhause.'“

Der Artikel ist am 1. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Das Wahrzeichen ist erstaunlich filigran