Dem Denkmal werden die Flügel gestutzt

Bonatz-Experte kritisiert den Teilabrisss des Hauptbahnhofs im Zuge von Stuttgart21

Im Zentrum der Veränderungen, die im Rahmen von Stuttgart 21 umgesetzt werden sollen, steht der Hauptbahnhof. Matthias Rosen, Denkmalschützer und Bonatz-Experte, kritisierte bei einer Veranstaltung in der Universität die Umbaupläne des Bonatz-Baus scharf.

Bei einer Veranstaltung im Kunsthistorischen Institut der Universität Stuttgart hat am Donnerstag Abend der Denkmalpfleger Matthias Rosen die im Rahmen von Stuttgart 21 geplanten baulichen Veränderungen des Hauptbahnhofs scharf kritisiert. Der Abriss des Nord- und Südflügels, nach seiner Meinung integrale Bestandteile des von Paul Bonatz entworfenen Gebäudes, werde den verbleibenden Rest nur noch als Torso zurücklassen. Rosen, der in Stuttgart ein Planungsbüro für Denkmalpflege betreibt, ist ausgewiesener Bonatz-Experte. Sowohl seine Diplomarbeit und als auch eine Promotion beschäftigen sich mit den Arbeiten des Stuttgarter Architekten, der 1911 den Planungswettbewerb für den Hauptbahnhof mit einem vom Neuen Bauen geprägten Entwurf gewann. Nach Meinung von Rosen steht der 1928 vollendete Bau in einer Reihe mit ähnlich bahnbrechenden Entwürfen der damaligen Zeit, die die Gestaltung solcher Funktionsbauten neu definiert hätten.

Allerdings sei der aktuelle Zustand Gebäudes stellenweise aus denkmalpflegerischer Sicht bereits eine „Verhunzung“. Falsch erneuerte Kunststoffenster, unsensibel angebrachte Vordächer und ästethisch fragwürdige Geschäftsräume nehmen dem Gebäude viel von seiner gestalterischen Strenge. Von den nach Zerstörung und Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren erforderlichen Veränderungen gar nicht zu reden. So waren die Wände der Schalterhallen ursprünglich unverputzte Mauern aus Ziegel und Beton, was wegen der Bombenschäden dann nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Heute ist alles verputzt und farbig angestrichen. Trotz dieser Mängel gibt es aber noch viele, original erhaltene Details. Rosen hält das Ensemble daher für ein wichtiges, in seiner Gesamtheit erhaltenswertes Baudenkmal. Und das sei trotz aller Beteuerungen der Deutschen Bahn oder auch des Oberbürgermeisters durch die geplanten Umbauten stark gefährdet. Dem Bahnhof drohe ein ähnliches Schicksal wie der Restruine des Alten Lusthauses, die im Mittleren Schlossgarten ihrem Ende entgegenwittere.

Nach den aktuellen Planungen für Stuttgart 21 sollen sowohl der Südflügel, der jetzt entlang der Straße „Am Schlossgarten“ gegenüber dem Busbahnhof steht, als auch der Nordflügel gegenüber dem LBBW-Forum abgerissen werden. Stattdessen wird dort dann das Dach des Tiefbahnhofs zu sehen sein, das auch die aktuelle Gleishalle daziwchen einnimmt. Der Platz wird bestimmt von vielen etwa fünf Meter hohen Kegeln, die Licht in den Untergrund bringen sollen. „Ich nenne diesen Höcker mit Warzen den Bullaugenkorridor. Der wird zum Terrain der Sprayer und Skater,“ sagte Rosen, der sich selbst als strikten Gegner von Stuttgart 21 bezeichnete. Allerdings betonte er auch seinen realistischen Ansatz beim Umgang mit dem Großprojekt – „Das Ding läuft halt.“ – und sucht nach Kompromissen. Dafür sieht er noch Spielraum. Denn schon früher hätten Proteste aufmerksamer Bürger fatale Abrisspläne verhindert. Sowohl das Neue Schloss als auch die Markthalle hätten seinerzeit gerettet werden können. Wohingegen das Kaufhaus Schocken und das Kronprinzenpalais ohne Widerstand abgerissen wurden, ein Umstand den heute jeder bedauere. Das soll sich beim Bonatz-Bau nicht wiederholen.

Denn die aktuellen Pläne, die nicht nur die Flügel betreffen sondern auch im Inneren große Veränderungen bringen, da der ganze Bahnhof eine Ebene tiefer gelegt wird, machten aus dem Denkmalbahnhof einen „sinnentleerten Restbau“. Es werde eine große Chance verspielt, den Bahnhof noch besser in den Stadtorganismus zu integrieren. „Warum Abriss und nicht eine Symbiose?“, fragt sich Rosen und möchte auch den Schlossgarten noch besser anbinden. Dass die Flügel trotz einiger Probleme in die Planung einbezogen werden könnten, sei nach seinem Kenntnisstand ohne weiteres möglich. Entsprechende Vorschläge seien aber von der Jury nicht berücksichtigt worden. Einige dieser Entwürfe hatten eine raumgreifende Glasüberdachung vorgesehen. Stattdessen werde jetzt eine „Tropfsteinhöhle“ gebaut, wie der Tiefbahnhof mit den markanten Lichtluken sarkastisch aus dem Publikum bei der anschließenden Diskussion genannt wurde. Die anwesenden Architekten und Stadtplanern befürchteten denn auch einen erheblichen Imageschaden für die Stadt: „Wir werden uns zum Gespött machen!“

[Der Artikel ist am 20. Januar 2008 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Dem Denkmal werden die Flügel gestutzt

„Wir sind nicht die Prozesshanseln!“

Mit einem Fest im Landespavillon feierte das Bündnis gegen Stuttgart 21 gestern Abend den Erfolg ihrer Unterschriftenaktion für ein Bürgerbegehren.

 Einen Etappensieg haben die Gegner von Stuttgart 21 erreicht, aber das eigentliche Ziel ist nach wie vor in weiter Ferne. Auf einem Fest im Landespavillon rechnete gestern Abend niemand mit der Zustimmung des Gemeinderats zum Bürgerentscheid. Die Aktivisten sind entschlossen, sich juristisch zu wehren. 

Die Gegner von Stuttgart 21 geben kämpferisch und motiviert für neue Aktionen. Zuversichtlich stimmt vor allem die Zahl der gesammelten Unterschriften für das Bürgerbegehren. Mit Nachläufern ist man nun bei 71.000 Stuttgartern angekommen, die sich in die Listen eingetragen haben. „Wir werden durchsetzen, dass das Statistische Amt der Stadt jede einzelne prüft,“ kündigte Werner Wölfle an, Fraktionsvorsitzender der Grünen Gemeinderat. Selbst gibt er gerne zu, dass er an einen solchen Erfolg zu Beginn der Aktion nicht geglaubt hat. „Sie haben bewiesen, dass diese Stadt nicht schläft, sondern lebt,“ rief er den 400 Unterstützern und Sympathisanten zu, die sich gestern Abend im Landespavillon zu einem kleine Fest versammelt hatten. Mit einem Begrüßungssekt, einem kleinen Buffet und musikalischen Einlagen des Frauen-Jazzchores VokalLadies wollte sich das Aktionsbündnis für die Unterstützung bedanken.

Neben der zufriedenen Rückschau auf den „wichtigen Etappensieg“ stand allerdings in den Gesprächen die verzwickte Gegenwart weit eher im Mittelpunkt des Interesses. Inzwischen gehen die Gegner von Stuttgart 21 davon aus, dass es im Gemeinderat am 20. Dezember zu einer Abstimmung über die Durchführung des Bürgerbegehrens kommen wird. Viel Hoffnung macht sich Gangolf Stocker, einer der drei Vertretungsberechtigten des Bürgerentscheids, über das Resultat der Abstimmung nicht. Die werde wohl negativ ausfallen. Um im Vorfeld die öffentliche Meinung zu mobilisieren, hat Stocker inzwischen eine Demonstration mit 5.000 Teilnehmern für den 15. Dezember auf dem Schlossplatz angemeldet. „Es werden aber bestimmt deutlich mehr werden,“ sagte Stocker, der im Falle des Scheiterns im Gemeinderat sogar vor einer „vorrevolutionären Stimmung“ warnte. Was das konkret bedeutet, blieb unklar.

Angesichts des Umstandes, dass sowohl die Aktivisten als auch der Unterstützer sich zumeist im gereiften Alter befinden, scheinen Aktionen außerhalb der demokratischen Spielregeln allerdings eher unwahrscheinlich. Ganz im Gegenteil beschuldigte Werner Wölfle den Oberbürgermeister und die Ratsmehrheit, Angst vor einer Volksabstimmung über das Bahnhofsprojekt zu haben. „Wir sind lupenreine Demokraten und werden uns dem Ergebnis einer Abstimmung unterwerfen,“ sagte er. Bis dahin scheint es aber noch ein steiniger Weg zu werden, dass war allen Anwesenden klar. Notfalls werde man den juristischen Weg beschreiten müssen, falls der Gemeinderat wegen der rechtlichen Problematik die Abstimmung nicht zulasse, kündigte Stocker an. Man sieht sich bereits als „Prozesshanseln“ in die Querulanten-Ecke gestellt, aber es seien doch die Unterstützer des Großprojektes, die jetzt die juristischen Fallstricke auswerfen, um die den Bürgerentscheid zu verhindern.

Damit werde man sich aber auf gar keinen Fall abfinden und mit Sicherheit den Klageweg beschreiten. Dann würde eben die ganze Zeit das „Damoklesschwert des gerichtlichen Scheiterns“ über dem Bauprojekt schweben. Einstweilige Verfügungen gegen einzelne Maßnahmen würden demnach an der Tagesordnung sein. „Die sollen das angesichts ihres zeitlich eng bemessenen Projektmanagements gut bedenken, auf was sie sich ohne endgültige Klärung durch einen Bürgerentscheid einlassen,“ warnte Gerhard Pfeifer vom Aktionsbündnis.

[Der Artikel ist am 30. November 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

„Wir sind nicht die Prozesshanseln!“

Der Widerstand formiert sich

Plieninger Bürger befürchten weitere Belastungen durch den angedachten Bau einer zweiten Start- und Landebahn am Flughafen

Bei einer Veranstaltung der Lokalen Agenda Plieningen haben sich gestern Abend 50 Bürger über die Pläne zum Bau einer zweiten Start- und Landebahn informiert. Der erneute drastische Eingriff in die Filderlandschaft stieß auf einhellige Ablehnung.

Wie sehr die Konflikte um die großen Bauprojekte rund um den Flughafen die Menschen auf den Fildern geprägt hat, konnte man gestern Abend bei einer Veranstaltung der Lokalen Agenda Plieningen erleben. Etwa 50 interessierte Bürger waren gekommen, um sich von Steffen Siegel, dem Vorsitzenden der streitbaren Schutzgemeinschaft Filder, über den aktuellen Stand der Pläne für eine zweite Start- und Landebahn des Flughafen informieren zu lassen.

Konkrete Details konnte Siegel zu diesem Thema naturgemäß nicht liefern, ist doch das ganze Projekt eigentlich nicht mehr als eine Idee der Flughafengesellschaft. Im Moment warten alle Beteiligten auf die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie, die zwar schon vorliegen soll, sich aber noch in der Endredaktion befindet. Dieser Umstand löste bei den Anwesenden teilweise höhnisches Gelächter aus. Durch die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ist das Vertrauen in die Unabhängigkeit von Fachleuten auf dem Nullpunkt. Zu oft entstand der Eindruck, dass deren Ergebnisse gemäß den Zielen der Auftraggeber zurechtgeschnitzt werden. Das könnte auch jetzt wieder geschehen, so die Befürchtung von Siegel.

Zwar habe Ministerpräsident Oettinger eine Art „Obergutachten“ in Aussicht gestellt, das werde aber angesichts der Tatsache, dass die Flughafengesellschaft zu gleichen Teilen der Stadt und dem Land gehöre, bestimmt nicht unabhängig ausfallen. Die für den Bau notwendigen Eingriffe in die Landschaft illustrierte Siegel mit selbst gezeichneten Karten und die offenbarten drastische Perspektiven. Vor allem die nördlich der Autobahn gelegene Variante schiebt sich bedrohlich nahe an die äußeren Viertel von Plieningen heran. Angesichts der auch von Umweltministerin Gönner konstatierten, außerordentlichen hohen Lärmbelastung, wie von der StZ berichtet, hält Siegel diese Lösung für unvorstellbar.

Aber auch am südlichen Rand gebe es erhebliche Probleme. Es müssten gigantische Erdmassen aufgeschüttet werden, um die neue Startbahn an das Niveau des Flughafens anzupassen. „Die wollen dort bestimmt das Material vom Tunnelbau für Stuttgart 21 verwenden,“ rief ein Zuhörer zur allgemeinen Erheiterung. Zudem löse die Süd-Variante die Kapazitätsprobleme im Flugverkehr nur unvollständig, denn gleichzeitige Starts auf den zu nah nebeneinander liegenden Betonpisten seien zumindest für große Flugzeuge unmöglich. Siegel vermutet, die gesamte Diskussion könnte ein taktisches Manöver der Flughafengesellschaft sein, um das eingeschränkte Nachtflugverbot aufzuweichen. Insgesamt zeigte sich der Vorsitzende der laut Selbstauskunft ältesten Bürgerinitiative Deutschlands optimistisch, dass dieses Projekt wegen des Widerstandes der Anwohner nicht umgesetzt wird. „Wir haben Rückhalt wie noch nie,“ sagte er.

Vor allem in den südlich des Flughafens gelegenen Gemeinden gebe es in den politischen Gremien eine parteiübergreifende Ablehnung. Auch die Kreiskonferenz der SPD-Stuttgart hat ihre Fraktion im Gemeinderat aufgefordert, sich gegen das Projekt auszusprechen. Dort wartet man noch auf die Studie. Die Lokale Agenda Plieningen wird ihre Aktivitäten dessen ungeachtet ausweiten. Im November soll in einem größeren Rahmen das Projekt diskutiert werden. Eines wurde bei der Veranstaltung deutlich: Die Bewohner der Filder haben es gründlich satt, erneut die Zeche der wirtschaftlichen Expansion zu zahlen. Die Neue Messe konnte zuletzt zwar nicht verhindert werden, aber resignieren wird man nicht.

[Der Artikel ist am 13. Oktober 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Der Widerstand formiert sich