Slow Baking in Stuttgart: Langsames Brot

Brot im Zeichen der Schildkröte: Langsam zur Qualität. Mit diesem Motto versuchen auch in der Region Stuttgart einige Bäcker dem mörderischen Preiskampf mit den Backdiscountern zu begegnen.

Brot ist ein Thema, das den Menschen ins Mark geht. Es hat Revolutionen ausgelöst und Kriege entfacht, ganze Zivilisationen lebten nach seinem Rhythmus. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei, das älteste Nahrungsmittel der Welt gibt es an jeder Ecke. Aber hier stellt sich das nächste Problem: Was ist das beste Brot? Dazu hat jeder eine Meinung und vertritt sie mit viel Leidenschaft. Im Stuttgarter Stadtblog brach ein Brotkrieg aus, als ein Autor über einen lokalen Großbäcker herzog.

Preis frisst Qualität
Dabei ist die Lage dieses traditionsreichen Handwerks nicht gerade rosig. Günter Semmig, Geschäftsführer der Stuttgarter Bäckerinnung, kann sich noch an Zeiten vor 20 Jahren erinnern, in denen es über 200 Mitgliedsbetriebe in der Stadt gab. Daraus sind inzwischen 47 geworden, aus vielfältigen Gründen, wie er meint: „Nachwuchsprobleme, Zurückhaltung der Banken und die wirtschaftliche Macht von Filialisten und Discountern haben den Einzelbäckern in den letzten Jahren zugesetzt. Aber die Situation bessert sich. Es gibt ein deutliches Licht am Ende des Tunnels.“ Ursache dieser Entwicklung sind wie immer die Konsumenten. Zwar rennen viele nach wie vor in die Discounter, die in Fabriken vorgefertigte Teiglinge in Heißluftöfen ausbacken und diese dann noch warm an den Endkunden bringen – zu Preisen, mit denen die eingesessenen Bäckermeister nicht konkurrieren können. Auf der Strecke dieses Herstellungsverfahrens bleibt aber die Qualität. Denn Brot ist ein lebendiger Werkstoff, der sich nicht beliebig industriell anfertigen lässt. Das Problem also: Der Preis frisst die Qualität.

Slow Baking als Gegenstrategie
Eine fatale Entwicklung, der Einhalt zu gebieten, sich Werner Kräling aus dem sauerländischen Winterberg vorgenommen hat. 2003 hat er den Verein    Slow Baking ins Leben gerufen. „Wir wollen die Betriebe ermutigen, wieder verstärkt auf traditionelle Verfahren zurückzugreifen, ein authentisches Handwerk auszuüben und damit eine Qualität im Premium-Bereich zu liefern.“ Eine ständig steigende Zahl von Betrieben verschreibt sich den Zielen seines Vereins oder lässt sich sogar nach dessen strengen Richtlinien zertifizieren. Im Vergleich zum Gesamtmarkt bewegt sich die Zahl der langsamen Bäcker allerdings im einstelligen Prozentbereich.

Slow baking? Was soll das jetzt wieder sein? Klar, der Begriff „slow“ im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln wurde durch die Slow-Food-Bewegung in der genussfreundlichen Öffentlichkeit bekannt gemacht – als Gegensatz zum teuflischen Fast Food. Bei Slow Food geht es vor allem um die Abneigung gegen die geschmackstötende industrielle Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln mit all ihren Problemen beim Energieverbrauch, beim Tierschutz, bei der Landschaftszerstörung und dem Verkehrschaos, um nur einige zu nennen. Gegen diese Horrorszenarien werden Werte wie regionale, traditionell hergestellte und verarbeitete Lebensmittel gesetzt. Schmecken einfach besser, auch im Kopf.

Das langsame Backen
Und das langsame Backen? Das bezieht sich jetzt hauptsächlich nicht auf den Backvorgang als solchen, sondern um den Zeitraum davor, den Prozess der Teigherstellung. Von vorne: Was ist Brot? Grob gesagt: gemahlenen Grassamen wird Wasser in einem Knetvorgang zugesetzt, diese Masse wird unter Zusatz von Hefepilzen zum Gären gebracht und dann im Ofen unter Hitzeeinwirkung das Wasser wieder entzogen. So einfach, so schwierig, denn vor allem die Reife des Teigs kostet Zeit und hört nicht von allein wieder auf. Und das gebackene Ergebnis soll ja auch schön „rösch“ auf den Tisch kommen.

Im Sinne der Slow-Food-Bewegung
Roman Lenz, Vorsitzender von    Slow Food Stuttgart, kann sich mit den Zielen des Slow Baking durchaus identifizieren, vor allem was die technologische Seite der Brotherstellung betrifft: „Dieses Prinzip der langen Teigführung und der ausgereiften Natursauerteige entspricht unseren Zielen. Allerdings ist für uns die regionale Organisation der Zutaten, der Herstellung und des Vertriebs auch ein sehr wichtiger Punkt.“ Die Wünsche von Lenz gehen allerdings noch weiter: „Holzofenbrot bekommt man in der Region nur noch in einigen dörflichen Gemeinschaftsbackhäusern, die übrigens wieder im Aufschwung sind. Ich glaube, was in der Innenstadt aus Gründen des Emmissionsschutzes früher kaum genehmigungsfähig war – es qualmt einfach zu stark – müsste doch heute technisch machbar sein…“ Für Lenz beeinflusst die Art der Herstellung ganz elementar den Geschmack und deshalb hat der Rückgriff auf die fast schon ausgestorbenen Methoden auch nichts mit Traditionspflege oder purer Nostalgie zu tun. Ein bisschen teurer darf es denn auch sein…

Der Stuttgarter Slow-Baking-Bäcker
Genau in diesem Premium-Segment versucht Wolfgang Treiber sein Unternehmen aus Leinfelden-Echterdingen zu positionieren. Wolfgang Treiber ist Mitglied bei slow baking, wirkt nicht wie ein esoterischer Fantast, sondern ist ein gestandener, schwäbischer Mittelständler in den besten Jahren. Seit drei Generationen ist die Familie im Bäckerhandwerk tätig und das Unternehmen ist inzwischen auf 18 Filialen und 300 Mitarbeiter gewachsen. Über 150 verschiedene Backwaren verlassen täglich frisch die zentrale Fertigung und Treiber kann über die landläufigen Meinungen zu dieser Art der Organisation nur den Kopf schütteln. „Die Leute meinen, wenn das Brot aus einem 2-Mann-Betrieb kommt, sei es per se besser. Das ist totaler Quatsch!“ Denn ob in Fabriken industriell gebcken wird oder ob der Bäcker vor Ort industriell hergestellte Vorprodukte weiterverarbeitet, läuft letztendlich auf das Gleiche hinaus. „Mir ist die Qualität wichtig und der Geschmack. Sie müssen mal eines von diesen noch warmen Brötchen aus dem Backdiscounter aufbrechen und tief dran riechen – das stinkt ja förmlich nach Chemie!“

Slow Baking in Backnang
Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Geschmacksverstärker, chemische Frischhaltemittel, Emulgatoren – all das kommt auch bei Bernd Mildenberger nicht in Teig. In Backnang und den umliegenden Gemeinden vertreibt er in 29 Filialen seine Backwaren. Seine Mitgliedschaft bei Slow Baking sieht er entspannt. „Im Grunde haben wir das schon immer so gemacht. Ich möchte diese gute Sache aber unterstützen und habe mir auch schon die eine oder andere Anregung von dort geholt.“ Auch er hofft, dass sich bei auch bei den Brotessern letztendlich die Qualität durchsetzt und dass sie bereit sind, für die weltweit einmalige Vielfalt an Backwaren etwas mehr zu bezahlen.

[Veröffentlicht in LIFT 11/2007]

Slow Baking in Stuttgart: Langsames Brot

2 Gedanken zu „Slow Baking in Stuttgart: Langsames Brot

  1. Aurelio Ingrassia schreibt:

    Sie sollten Ihren Beitrag dringend aktualisieren.
    Mittlerweile ist der einzige Betrieb mit zertifizierten Slow-Baking Produkten in Stuttgart der „Königsbäck“ in Gablenberg.
    Die genannten Betriebe sind nur Mitglieder von Slow-Baking, doch sie besitzen keinerlei Zertifizierung.

    1. Dirk Baranek schreibt:

      Artikel in Blogs werden nur in den Kommentaren aktualisiert. Deswegen haben sie einen Zeitstempel. Außerdem steht unter dem Artikel eine Notiz zum Veröffentlichungsdatum. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf ewige Aktualität. Das kann aber gerne in den Kommentaren stattfinden. Deshalb vielen Dank für Ihren Beitrag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert