Soziale Berufe müssen attraktiver werden

Landespolitiker sind sich angesichts der Folgen des demografischen Wandels einig, die Heil- und Pflegeberufe aufzuwerten

Weniger Kinder und mehr ältere Menschen und Hochbetagte – der demografische Wandel vollzieht sich bereits. Welche Folgen diese Entwicklung für die sozialen Berufe haben wird, diskutierten Experten und Landespolitiker bei einer Podiumsdiskussion des Diakonischen Werks Württemberg. Fazit: Vieles hängt am Geld. 

Manchmal entscheidet schon ein simples Satzzeichen über den Verlauf eines ganzen Abends. Am Donnerstag wollte jedenfalls Helmut Beck, Vorstand des Evangelischen Schulwerks, als er das Thema der abendlichen Diskussionsrunde einleitete, das Motto „Soziale Berufe haben Zukunft“ ausdrücklich nicht mit einem Frage- sondern mit einem Ausrufezeichen enden lassen. Eingeladen hatte das Diakonische Werk Württemberg, um über die Folgen des demografischen Wandels in Bezug auf die Heil-, Erziehungs- und Pflegeberufe zu diskutieren.

Dass sich in dieser Arbeitswelt in den nächsten Jahren viel ändern wird, machte der grundlegende Vortrag von Rainer Wolf klar, der neuesten Zahlen und Projektionen des Statistischen Landesamtes präsentierte. Dabei betrachtete er drei Bereiche der sozialen Berufe, die recht unterschiedlich betroffen sind. So kann man zwar bei der frühkindlichen Erziehung von insgesamt weniger Kindern ausgehen, allerdings wird die sinkende Geburtenrate wohl durch die Bemühungen neutralisiert, mehr Angebote zu schaffen. Deshalb sind die insgesamt stagnierenden Zahlen bei der Ausbildung von Fachkräften wohl nicht weiter besorgniserregend. Auch in Bezug auf die allgemeine Gesundheitsversorgung konnte der Statistiker kaum Aussagen über den zukünftigen Bedarf machen, gehören doch alle Altersgruppen der Gesellschaft zum Klientel dieses Bereichs und daher vom demografischen Wandel auf der Nachfrageseite vermutlich weniger betroffen.

In Bezug auf die Struktur der zukünftigen Berufsanfänger allerdings sind eindeutige Trends erkennbar. Immer mehr Absolventen kommen aus den Fachhochschulen, wohingegen die Fachschulen von weniger jungen Menschen absolviert werden. Der Bereich mit den größten Veränderungen wird nach Ansicht der Statistiker die Altenpflege sein. Bis 2030 wird sich der Bedarf an Mitarbeitern wohl fast verdoppeln. Ausgebildet werden aber im Moment viel zu wenige. Allerdings befürchteten die anwesenden Experten nicht nur durch diese Entwicklung in Personalnot zu geraten, sondern zu schaffen macht auch der zunehmende Konkurrenzkampf mit anderen Branchen. Gegen groß angelegte Image-Kampagnen der Metallindustrie, mit der diese ihrem Fachkräftemangel beikommen will, können die sozialen Berufe nicht mithalten. Denn noch ist das Gehaltsniveau zu unterschiedlich, wie Brigitte Lösch, Abgeordnete der Grünen im Landtag, bemängelte.

Dass hier Nachholbedarf besteht und dass insgesamt die Branche mehr akademisch ausgebildete Fachkräfte benötigt, darin war sich die versammelten Fachpolitiker aller Parteien denn auch einig. Klar machten sie aber auch, dass angesichts der emotional geführten Diskussion um die so genannte „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ solche Strukturveränderungen nur langfristig umzusetzen sind. Ohne Beteiligung der Patienten selbst wird es da wohl nicht abgehen, wie Katrin Altpeter von der SPD deutlich machte: „Es gibt einen Anspruch auf gute Pflege, aber keinen auf ein gutes Erbe!“ Um dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel beizukommen, entwickelten Podium und Publikum diverse Lösungsansätze. Eine modulare Ausbildung, die verstärkte Rekrutierung von Männern, ein höheres Selbstbewusstsein der Beschäftigten angesichts der gesellschaftlich wertvollen Tätigkeiten und eine Abkehr vom Weg der Ökonomisierung im Gesundheits- und Pflegewesen standen dabei im Raum.

„Wir müssen das Image dieser Berufe aufwerten,“ sagte Wilfried Klenk (CDU), der als Vorsitzender des Sozialausschusses im Landtag für den Oktober eine Kampagne ankündigte, mit der Schulabgänger für die Erziehungsberufe interessiert werden sollen. Das sei zwar alles ganz gut und schön, meinte Helmut Beck, aber das Entscheidende seien doch die aktuellen Arbeitsbedingungen in Krankenhäusen sowie bei der stationären und ambulanten Pflege. „Der Druck durch die Finanzierungssysteme ist extrem gestiegen,“ sagte er und vermisste den menschlichen Bezug bei der Lösung der Probleme. Mit Methoden, die aus der Optimierung der Warenproduktion kommen, steuere das System in die Katastrophe. 

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

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