Stuttgarter Weblogs 2006: Stimmen der Stadt

 

In Stuttgart werden täglich Weblogs mit Meldungen, Meinungen und Mitteilungen befüllt. Ein Rundgang durch die hiesige Blogosphäre.

Ein Weblog kann jeder mit ein paar Klicks beginnen. Vielleicht 2.000 Internetnutzer aus der Region Stuttgart haben dies bisher getan, denn Bloggen ist einfach. Bloggen kann jeder, der einen Internetanschluss hat und eine Datenmaske ausfüllen kann. Technische Kenntnisse braucht es kaum und Anbieter, bei denen man gratis ein Weblog anlegen kann, gibt es inzwischen dutzendweise. Die meisten dieser Blogs kranken allerdings an der Frage: Was schreiben? Denn bei den meisten Schreibern handelt es sich um junge Leute, die oft nicht mehr zu sagen haben, als dass sie sich gerade langweilen und nicht wissen, was sie schreiben sollen. Die allermeisten Blogs sind denn auch Totgeburten, werden nicht weitergeführt und stehen als Datenmüll im Internet. Wenn man diese Spreu vom Weizen getrennt hat, stößt man jedoch auf eine wachsende Zahl von Blogs, die von (halb-)professionellen Autoren geführt werden oder literarisch ambitioniert sind. Deren Lektüre lohnt dann wirklich, weil sie Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnen, die man sonst nicht so einfach erhält. Denn Blogs sind per definitionem radikal persönlich, was den entscheidenden Reiz ausmacht.

 Poodlepop (www.poodlepop.net) und Rabenwerk (www.rabenwerk.de) gehören in diese Kategorie. Zwar wird nicht jeden Tag veröffentlicht, aber beide Blogger haben sich inzwischen mit sehr lesbaren Texten in die erste Liga der deutschen Blog-Landschaft geschrieben. Unter dem Motto „Der weite Weg vom Hundersten ins Tausendste“ werden bei Poodlepop alltägliche Begebenheiten und Auffälligkeiten sarkastisch kommentiert. Oder eine Liste der „schlimmen Städte“ veröffentlicht (Sindelfingen, Böblingen, Singen). Stuttgart ist übrigens nicht dabei, wird ganz im Gegenteil im Kommentarteil sogar heftigst verteidigt. Nicht alles ganz so ernst gemeint, aber nett zu Lesen. Bei Rabenwerk hingegen geht es ernster zu, denn die Bloggerin schreibt anspruchsvolle Kurzgeschichten von einiger Qualität.

Eine neue Entwicklung sind Stadtblogs, also Angebote, die sich thematisch auf die Stadt konzentrieren, aus der die Autoren kommen. „In einer Stadt mit knapp 600.000 Einwohnern muss es doch tausende von verschiedenen Meinungen, Sichtweisen und Positionen geben. Die sollen sich äußern können.“ sagen Ralf Schmid und Diana Wagner von der Stuttgarter Agentur 6B Neue Medien und setzen auf das Mitteilungsbedürfnis normaler Großstadtbewohner. Deshalb haben sie vor ein paar Monaten www.stuttgart-blog.net gegründet. Sie verstehen sich dabei als Katalysatoren und wollen die notwendige Kontrolle bald möglichst wieder abgeben. Eigene Texte veröffentlichen kann hier jeder, der sich zuvor per E-Mail angemeldet hat. Etwa 20 Autoren schreiben inzwischen regelmäßig Beiträge oder Kommentare. Meist handelt es sich um Erlebnisse aus dem Alltag. Berichte über Probleme mit dem Kabelfernsehen stehen neben Weihnachtsfantasien, Gedichten, Ärger mit der Bahn oder Meinungen zum Tunneldeckel an der Kulturmeile – alles sehr persönlich, komplett unausgewogen und von unterschiedlicher Qualität. Die Kosten für die technische Infrastruktur halten sich in Grenzen, sodass 6B nicht daran denkt, Werbung auf die Seiten zu holen.

Das ist bei dem Blognetzwerk www.medienrauschen.com von Thomas Gigold aus Ludwigsburg anders. Gigold ist Netzpionier, Mitbegründer des renommierten Blogs www.medienrauschen.deund Betreiber mehrerer Newsblogs, z.B. von gadgetmania.de, bei dem eine handvoll Schreiber Nachrichten um merkwürdige technische Produktneuheiten kolportieren. Ganz aktuell hat Gigold ein neues Stadtblog ins Leben gerufen, das sich der Region Stuttgart widmet: www.stuttgart-leben.de. Schreiben wird ein fester Stamm professioneller Autoren über und aus der Region. Finanziert werden soll das Ganze durch Werbung. Oliver Gassner aus Vaihingen/Enz gehört zum Team und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Blogging-Phänomen. Neben seinem eigenen Blog – www.typo.twoday.net – betreibt er mit Schriftstellern und literarisch Interessierten aus Baden-Württemberg das litblog.literaturwelt.de. Neben Infos zu Lesungen und aus der Literaturszene sowie neuen Texten gibt es Rezensionen aktueller Publikationen. Sehr ernsthaft das Ganze wie z.B. auch das Blog des Stuttgarter Kulturjournalisten Jürgen Hartmann, der klassische Konzerte, Opern und Ausstellungen kommentiert kulturchronist.blogger.de).

 

Das ist bei den meisten privaten Stuttgarter Blogs ganz anders. Viel Ironie und Sinnfreies kann man hier lesen wie zum Beispiel bei monsterfrosch.blogg.de, in dem ein wöchentliches Foto den Inhalt eines öffentlichen Paperkorbs im Rosensteinpark dokumentiert – eine wunderbare Chronik der Alltagskultur von ganz unten. Auch bei Jan Theofel, IT-Unternehmer aus Zuffenhausen, ist alles sehr persönlich. In „Jans Küchenleben“ (www.theofel.de) kann man private Kochversuche verfolgen, mit Rezepten und Fotos der fertigen Gerichte. Aus seinem wechselvollen Studentenleben berichtet täglich Henrik Holzhausen (www.vcinfo.blog.de) inklusive Kneipentouren, WG-Leben und Lieblingsmusik. Das alles sind aber nur Beispiele aus der sehr vielfältigen Stuttgarter Blogosphäre. Wer mehr Stimmen der Stadt entdecken möchte, geht auf eine der Blogsuchmaschinen (z.B. bei Blogsuch von Googleoder Technorati), tippt “Stuttgart” ein und lässt sich überraschen.

[Der Artikel entstand Anfang Januar 2006 und wurde veröffentlicht in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 25.01.2006]

 

Stuttgarter Weblogs 2006: Stimmen der Stadt

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