Carsharing: Ich habe 195 Autos

Carsharing wird in Deutschland immer beliebter. Die Teilnehmerzahlen steigen und die der Anbieter auch. Neben den seit einigen Jahren in großen Städten bestehenden lokalen Organisationen sehen jetzt auch klassische Mobilitätsanbieter Chancen in dem Markt für Fahrzeuge zur kurzfristigen Ausleihe. Die Bahn (Flinkster) oder auch Daimler (Car2Go) setzen auf eine wachsende Kundschaft, die nur sporadisch ein Auto benötigt. Online-Redakteur Dirk Baranek ist seit vielen Jahren Nutzer von Carsharing und berichtet im Folgenden von seinen Erfahrungen.

Ich habe kein Auto

„Ich habe kein Auto sondern 195.“ Das ist meine zugegeben etwas mürrisch wirkende Standardantwort auf die Frage, ob ich eigentlich ein Auto besitze. Ist nicht so gemeint, löst aber beim Fragesteller zumeist ein lächelndes Stirnrunzeln aus, denn dass ich nicht so viele Fahrzeuge in der Garagenhalle stehen habe, versteht sich von selbst. So muss ich regelmäßig etwas weiter ausholen, um zu erklären, was ich damit meine.

Das Mobilitätsbudget

Zunächst mal lebe ich mit dem fast luxuriösen Umstand, dass wir in der Familie kein täglich nutzbares Automobil benötigen. Wir wohnen zentral und Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplatz und Schule sind zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.

Aber ganz ohne fahrbaren Untersatz geht es dann doch nicht. Ein Außentermin bei einem Kunden, Einkäufe im Möbelhaus auf der grünen Wiese oder der Besuch der Schwiegermutter im Dorf südlich von Frankfurt – das ist alles ohne Auto arg umständlich. In solchen Situationen greifen wir auf Fahrzeuge unseres Carsharing-Anbieters zurück, die manchmal auch preisgünstiger sind als der ÖPNV.

Bei jeder geplanten Transportleistung steht daher die Frage im Raum: Wer ist der günstigste Anbieter? Geht es besser mit der Bahn, mit dem Fahrrad, zu Fuß, der U- oder S-Bahn, dem Taxi, dem Carsharing, einem Mietwagen oder per Flugzeug? Natürlich immer in Abhängigkeit der äußeren Umstände. Konkret: Einen Kunden im 15 Kilometer entfernten Industriegebiet zu besuchen, ließe sich mit ÖPNV auch machen, dauert aber bestimmt dreimal so lange. Außerdem regnet es gerade und die Mehrkosten von vier Euro sind vertretbar.

Ein Energiespareffekt hat das Ganze natürlich ebenfalls, da wir öfter auf den ÖPNV zurückgreifen, als wenn wir ein Auto besitzen würden. Hier kommt die einfache Tatsache zum tragen, dass ein Auto auch kostet, wenn es nicht benutzt wird. Wenn sich also ein Autobesitzer für den ÖPNV entscheidet, zahlt er sowohl für die Fahrkarte, als auch für sein Auto. Unser Mobilitätsbudget hingegen wird weniger belastet.

Die Unterschiede zum Mietwagen

Carsharing unterscheidet sich von der bekannten Dienstleistung des Mietwagens in einigen wichtigen Punkten. So muss man zum Beispiel Mitglied beim Carsharing-Anbieter werden. Ohne diese Anmeldung kann man auf dessen Angebote nicht zurückgreifen. Die Mitgliedschaft kostet eine geringe Jahresgebühr. Dafür wird man mit einer Chipkarte ausgerüstet. Jetzt kann man Fahrzeuge buchen. Entweder per Service-Telefon oder am heimischen Rechner muss im Voraus festgelegt werden, welches noch nicht von anderen Nutzern gebuchte Fahrzeug an welchem Standort man für einen bestimmten Zeitraum nutzen möchte. Im Unterschied zum Mietwagen können die Fahrzeuge stundenweise gebucht werden, ein erheblicher Kostenvorteil. Allerdings muss das Auto immer wieder an den Standort zurückgebracht werden, an dem es ausgeliehen wurde.

Immer das passende Auto

Insgesamt verfügt mein Carsharing-Anbieter über 195 Fahrzeuge an 73 Stationen im Stadtgebiet Stuttgart. Eine große Station befindet sich dreihundert Meter von unserer Wohnung entfernt. Dort können wir Fahrzeuge in vier Typenklassen mieten. Vom Kleinwagen, über Mittelklasse-Limousinen bis zum Transporter ist alles dabei. Je nach Art der Fahrt kann man also das passende Fahrzeug auswählen und wieder Geld und Energie sparen, denn die Autos kosten je nach Größe unterschiedlich.

Kosten: Zeit- und Entfernungstarif

Die Kosten für die Ausleihe werden von verschiedenen Faktoren bestimmt: der Fahrzeugklasse, der gebuchten Zeit und der zurückgelegten Entfernung.

Zunächst gibt es einen Stundentarif. Dabei wird die im Voraus gebuchte Zeit berechnet. Je nach Fahrzeugtyp fallen 1,30 bis 3,70 Euro pro Stunde an. Es gibt Rabatte für komplette Tages- und Wochenbuchungen.

Der zweite Kostenfaktor sind die tatsächlich gefahrenen Kilometer. Ein Kilometer kostet brutto zwischen 18 und 29 Cent – allerdings inklusive der Benzinkosten! Die Kilometer werden anhand eines Fahrtenbuchs abgerechnet, das sich im Fahrzeug befindet und in dem man nach Abschluss der Fahrt die entsprechenden Eintragungen vornimmt. Einmal im Monat kommt eine schriftliche Rechnung mit Aufstellung aller Fahrten.

Wenn man die Fahrten kalkuliert, ergeben sich teilweise Beträge, die auf den ersten Blick etwas hoch erscheinen. Zwei Beispiele. Drei Stunden Ausleihe eines Kleinwagen, mit dem man dann 30 Kilometer fährt, kostet 9,30 Euro. Der Tagesausflug zur Schwiegermutter mit der Limousine – 400 Kilometer in zehn Stunden – verursacht Kosten von immerhin 118 Euro.

Bevor man hier allerdings zurückzuckt, sollte man sich vergegenwärtigen, wie hoch die Kosten sind, die man als Autobesitzer trägt, ohne auch nur einen einzigen Kilometer gefahren zu haben. Ein Beitrag von jährlich 3.000 Euro für Abschreibung, Steuern und Versicherung ist sicherlich nicht zu niedrig angesetzt. Dazu kommen je nach Fahrleistung die Kosten für den Kraftstoff und eventuell für Instandhaltung. Das Mobilitätsbudget eines normalen Autobesitzers liegt also bei vier- bis fünftausend Euro im Jahr – die Fahrten zur Arbeit noch gar eingerechnet. Bis wir das für Carsharing ausgeben, da können wir einiges verfahren …

Und bequem ist es auch…

Neben der Kostenfrage gibt es noch ein paar Dinge, die Carsharing wirklich angenehm machen. Man hat einfach kein Auto mehr, um das man sich kümmern muss. Die Sorge um Parkplatz, Pflege und Werkstattkram entfallen komplett. Bei Carsharing stehen uns stets neuwertige Mittelklasse-Modelle zur Verfügung, die immer perfekt gewartet und meistens sauber sind. Vorab buchen, aus dem Standort-Tresor mit der Chipkarte den Schlüssel entnehmen, losfahren – so einfach ist Carsharing. Und wer hätte nicht gerne Zugriff auf 193 Autos, für jeden Anlass das passende?

Stadtmobilautos

Foto: Parkplatz eines Stuttgarter Carsharing-Anbieters: Ein Teil meiner 195 Autos.

Carsharing: Ich habe 195 Autos

Demokratie 2.0: Web mit Fallstricken

Die Politik drängt ins Internet, aber muss hierzulande noch viel lernen und eine neue politische Kultur entwickeln

Die neuen Internetmedien erfahren rasante Zuwächse. Angesichts der bevorstehenden Wahlkämpfe fragen sich die Parteien, wie sie diese Angebote für ihre Zwecke einsetzen können. Obama hat es vorgemacht, aber einfach wird es nicht, wie auf einer Veranstaltung vorgestern klar wurde.

Von Dirk Baranek

Welche Konsequenzen ziehen deutsche Politiker angesichts der in diesem Jahr anstehenden Wahlkämpfe aus den Erfolgen, die der US-Präsident Obama bei seiner Kampagne erzielen konnte? Das sollte eine Veranstaltung unter dem Titel Demokratie 2.0 klären, zu der zwei Stuttgart PR-Agenturen Mittwoch Abend eingeladen hatten. Denn, das machte der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneiderin in seinem Vortrag klar, ein wesentlicher Faktor des Wahlkampfs von Obama war der massive Einsatz der neuen Internettechnologien.

Vor allem die als Web 2.0 bezeichneten, auf starken Dialog mit dem einzelnen Wähler ausgerichteten Plattformen trugen wesentlich zu einer optimalen Orchestrierung aller Kommunikationskanäle bei. Es war der richtige Mix aus Themensetzung, der Schaffung suggestiver Bilder und dem Einsatz der richtigen Mittel, die Obama quasi aus dem Nichts in das Weiße Haus brachten. Das Internet sieht Brettschneider dabei eher als zwar wichtigen, aber noch nicht allein entscheidenden Faktor. Zu groß ist nach wie vor die Bedeutung der traditionellen Massenmedien.

Bezogen auf die deutsche Politikerzunft sah der Hohenheimer Professor bisher nur „gut gemeinte Versuche“, aber dies bezog er ausschließlich auf den Anspruch, mit bestimmten Bildern etwas Sympathie für die eigene Person zu erzeugen. Dabei seien viele Fehler gemacht worden, wie zum Beispiel der ewig lächelnde FDP-Chef, der das Image eines Luftikus einfach nicht mehr los werde. „Die Wähler sind eben nicht so dumm, wie manche glauben. Die Frisur alleine ist nicht das entscheidende,“ so Brettschneider.

Ob das Internet, in dem viele Politiker das Wahlkampfinstrument schlechthin sehen, in der Zukunft wirklich entscheidend dazu beiträgt, den Wählern die wichtigen Botschaften beizubringen, blieb an dem Abend unklar. Noch gibt es viele Fallstricke bei der Benutzung dieser neuen Techniken. Schwerer wiegt aber, dass viele Akteure in den Parteien noch nicht wirklich bereit sind, in den offenen Dialog mit den Wählern zu treten und die Einbahnstraßenkommunikation zu verlassen. Denn mit einer einfachen Homepage ist heute nicht getan.

Kommunikation in den sozialen Onlinenetzwerken aber will gelernt sein, wie Bernhard Jodeleit, Kommunikationsberater bei der Agentur Sympra, an Hand des neuen Dienstes Twitter ausführte. Bevor man hier glaubwürdig agieren könne, müsse man erstmal zuhören, wie die Nutzer dort ticken. Das falle noch manchem schwer und viele unterschätzten auch den zeitlichen Aufwand.

Bei der anschließenden Diskussion schilderte auch Daniel Mouratidis, Landesvorsitzender der Grünen, seine Erfahrungen. Bei seinem letzen Wahlkampf in Backnang habe er sich bewusst gegen „Veranstaltungen im Hinterzimmer“ entschieden und stattdessen Diskussionen im Internet angeregt. Mit dem Ergebnis zeigte er sich recht zufrieden und er habe mit Sicherheit mehr Menschen damit erreicht.

[Der Artikel ist in redigierter Fassung am 27. März 2009 im Lokalteil der Stuttgarter Zeitung erschienen.]

Demokratie 2.0: Web mit Fallstricken

Der Kompass fehlt

In einer Podiumsdiskussion mit dem katholischen Bischof Fürst ist über die Basis der Zivilcourage

Kann der Widerstand im Nationalsozialismus ein Beispiel sein für Zivilcourage in der Gegenwart? Über diese Frage diskutierte auf einem Geschichtstag der katholischen Kirche unter anderem deren Bischof Gebhard Fürst. Fazit der Teilnehmer: Die pluralistische Gesellschaft mit ihrer Informationsflut, ihrer Komplexität und Werteverlust macht es den Menschen nicht einfacher.

Von Dirk Baranek

Was bedeutet Zivilcourage heute? Über dieses Thema hat sich am Samstag die katholische Kirche in Form einer Podiumsdiskussion Gedanken macht. Neben dem Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst nahmen daran Alfred Geisel vom Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie und Peter Steinbach von der Forschungsstelle Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten teil. Die Veranstaltung war Teil eines Geschichtstages aus Anlass des 60. Todestages des ehemaligen Bischofs Joannes Baptista Sproll, der sich 1938 geweigert hatte, an der Reichstagswahl und der damit verbundenen Abstimmung über den „Anschluss“ von Österreich an das Deutsche Reich teilzunehmen. Dieser Akt von Zivilcourage kostete ihn sein Amt, das er erst nach dem Krieg wieder einnehmen konnte.

Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass die Katastrophe des Nationalsozialismus unter anderem deshalb geschehen konnte, weil zu wenige Menschen den Mut aufbrachten, gegen die drohende Gefahr Widerstand zu leisten. Allerdings, so gab Peter Steinbach zu bedenken, sei es aber neben dem persönlichen Mut auch Voraussetzung für eine solchen Schritt, überhaupt zu erkennen, dass die Mehrheitsgesellschaft sich auf einem falschen Weg befinde. Man müsse sich dann in den Gegensatz zu seinen Mitmenschen setzen, was ohne grundlegendes Wertesystem, an dem die Geschehnisse der Zeit gemessen werden, nicht möglich sei.

Gerade dieses Wertesystem vermisste Gebhard Fürst in der aktuellen Gegenwart, wobei man aber auch sehen müsse, dass in der heutigen Zeit Zivilcourage angesichts der freiheitlichen Demokratie und der soweit vorhandenen sozialen Gerechtigkeit weit weniger notwendig sei. Außerdem brauche man angesichts der komplexen Zusammenhänge ein enormes Maß an Sachverstand, um überhaupt zu einem ausgewogenen Urteil kommen zu können. Zwar sei durch die Möglichkeiten des Internet der globale Zugriff auf eine riesige Menge an Informationen möglich geworden, aber diese seien nicht konsistent. Die Fülle trage eher zur Verwirrung bei. „Das ist das große Dilemma unserer Zeit,“ sagte Fürst. Viele Menschen fühlten sich daher überfordert und wollten sich zurücklehnen, um die angenehmen Seiten der „Wohlfühldemokratie“ zu genießen. Als Beispiel nannte Fürst sehr aufschlussreiche Vorträge auf der Deutschen Bischofskonferenz letzte Woche. Dort hätten Finanzexperten erläutert, dass es in der Wirtschaft durchaus das Gesetz der produktiven Zerstörung gebe. Nicht erhaltenswerte Unternehmen müssten danach untergehen, um die Zukunftsfähigkeit des Systems zu erhalten. „Aber soll sich jetzt ein Bischof vor die Opelaner stellen und ihnen mitteilen, ihre Werke müssten geschlossen werden, damit die Wirtschaft insgesamt weiterleben könne?“ Die fast entsetzte Reaktion des Publikum zeigte, dass er mit diesem Zweifel wohl im Einklang mit den Menschen steht.

Auch Peter Steinbach führte die aktuelle Krise in der Finanzwelt an, um den bedauernswerten Hang der Menschen zu illustrieren, Verantwortung abzugeben und sich bequem zurückzulehnen. „Wir leisten uns Experten, um nicht selbst Verantwortung zu übernehmen,“ sagte. Diese hätten allerdings versagt, was bei ihm allerdings so viel Mitleid auslöse, wie gegenüber einem Lottospieler, der immer nur verliere. Als weiteres Thema, bei dem der Informationsmangel die Urteilsfähgkeit der Menschen trübe, führte Gebhard Fürst die Einstellungen gegenüber Flüchtlingen und Asylanten an. Er habe oft erlebt, dass sich zum Beispiel in Fällen, in denen bei drohenden Abschiebungen das Kirchenasyl als letzte Maßnahme ergriffe werde, die wahren Motivationen der Flüchtlinge nicht zur Kenntnis genommen werden. „Wir werden dann als irgendwelche Gutmenschen bezeichnet, dabei wissen wir oft mehr über das wahre Schicksal dieser Menschen,“ sagte Fürst. Durch das weltweite Netz der Kirche sei er oft viel besser informiert über die tatsächlichen Umstände. Über ähnliche Erfahrungen berichtete Alfred Geisel. Er sei während seiner Tätigkeit als Abgeordneter im Landtag drei Mal in Burundi gewesen. Die dortigen Zustände seien nur dann im Fokus der Öffentlichkeit, wenn die in wirtschaftlichen Zusammenhängen diskutiert werden.

Alle Teilnehmer waren sich einig, dass es darauf ankomme, gerade jungen Menschen einen moralischen Kompass zu vermitteln, um selbst die Wirklichkeit beurteilen zu können. Hier seien die Familien, aber auch Schulen und Vereine gefragt. In diesem Zusammenhang nahm Gebhard Fürst zur aktuellen Diskussion in Berlin Stellung, wo die Wiedereinführung des Religionsunterrichts diskutiert wird. „Wir möchten den Religionsunterricht, um eine Werteorientierung in das demokratische Gemeinwesen einzuspeisen.“

(Artikel für die Stuttgarter Zeitung / Lokalteil)

Der Kompass fehlt

Stuttgart zwitschert

[Artikel für das Stuttgarter Stadtmagazin LIFT, Dezember 2008, nie erschienen]

Der Onlinedienst Twitter macht in den letzten Monaten Furore. In Stuttgart berichten etwa 1.000 Nutzer aus ihrem Alltag.

Es ist halb neun, die Sonne geht auf in Twitterland. „Wunderschönen guten Morgen“, schreibt Webstyler, was jeder lesen kann, der die kurzen Nachrichten der IT-Spezialistin aus dem Westen abonniert hat. Denn auf Twitter entscheidet jeder Nutzer selbst, wessen veröffentlichte Infos, Gedanken, Kommentare und Absurditäten man liest. Twitter gibt es seit zwei Jahren, kommt aus den USA und ist der aktuell am schnellsten wachsende Webdienst weltweit.

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Stuttgart zwitschert

Neues Quartier für alle Generationen

In der Cannstatter Innenstadt hat der Bau für das Projekt SeelbergWohnen begonnen

Mit einem Spatenstich haben gestern Stadt, Bauherr und Architekten den Baubeginn für ein neues Wohnquartier auf dem Gelände der ehemaligen Strickwarenfabrik Terrot markiert. Das Projekt zeichnet sich durch die Verbindung von Wohnungen und sozialen Einrichtungen aus.

Von Dirk Baranek

Mit einem Spatenstich von Bürgermeister Föll und den beteiligten Bauherren und Architekten wurde gestern in der Cannstatter Innenstadt der Baubeginn für ein ganz neues Stadtquartier markiert. In dem Carree Wildunger und Kreuznacher Straße entstehen bis Ende 2011 in zwei Bauabschnitten 76 Eigentumswohnungen, 23 betreute Seniorenwohnungen und ein Mehrgenerationenzentrum mit einer Kindertagesstätte und einem Altenpflegeheim. Etwa 45 Millionen Euro werden von dem Siedlungswerk im „SeelbergWohnen“ genannten Quartier investiert. Da auch die Stadt unter anderem durch die Einbringung eines Grundstücks beteiligt ist, werden die auf vier Häuser verteilten Stadtwohnungen zu einem Drittel nach sozialen Kriterien vergeben und komplett barrierefrei errichtet.

„Heute ist mit dem Baubeginn für dieses bedeutende Quartier ein besonders guter Tag für Cannstatt und Stuttgart,“ sagte denn auch Bürgermeister Föll. Seit vor fünf Jahren der Insolvenzverwalter der vorher an gleicher Stelle produzierenden und inzwischen abgerissenen Strickwarenfabrik Terrot mit dem Vorschlag der Neubesiedlung auf die Stadt zukam, habe sich sich jetzt der Kreis geschlossen. Es folgten viele Diskussionen in den städtischen und bezirklichen Gremien, die aber letztlich alle sehr positiv verliefen, wie der Geschäftsführer des Siedlungswerks Bruno Möws feststellte.

Wichtig war den Planern einen Wohnort für alle Generationen zu schaffen. Familien mit Kindern, Senioren, Körperbehinderte und Pflegebedürftige sollen auf dem innenstadtnahen Filetstück zusammenfinden. Diese Vision wird auch durch die Schaffung von Treffpunkten untermauert. Sogar ein neuer öffentlicher Platz wird in der Verlängerung der Dürrheimer Straße auf dem bisher abgeschotteten Gelände entstehen. Untermauert wird dieser Anspruch auch durch den Umbau des sogenannten „Blauen Hauses“ in ein Mehrgenerationenzentrum mit einer Wohngemeinschaft für Senioren, einer Wohngruppe für Körperbehinderte, einer in letzter Minute ausgehandelten Kindertagesstätte und sechs Mietwohnungen. Außerdem wird das bisher in der Wildunger Straße befindliche Pflegeheim der Sankt Anna Schwestern Ellwangen auf das Gelände umziehen.

Bürgermeister Föll zeigte sich denn auch überzeugt, dass das Siedlungswerk bei dem Projekt für eine hohe Qualität sorgen werde und damit ein lebendiges Viertel für 350 bis 400 Menschen entstehen wird. Offensichtlich sehen dies die potenziellen Käufer der Eigentumswohnungen ähnlich, denn das Interesse sei groß und viele der Wohneinheiten bereits vergeben, wie Bruno Möws berichtete. Dazu beitragen mag auch das innovative Energiekonzept, mit dem die Anlage ausgestattet werden soll. Nach seinem Wissenstand sei es das erste Projekt in der Landeshauptstadt überhaupt, so Möws, bei dem die Wohnungen aus der Energie des Abwassers mit Heizungswärme versorgt werden. Technisch befindet man sich also auf der Höhe der Zeit und dem entsprechend werden Förderungen aus diversen öffentlichen Programmen zum Klimaschutz in Anspruch genommen. Im ersten Bauabschnitt werden 76 Eigentumswohnungen mit drei bis fünf Zimmern verteilt auf vier Häuser errichtet.

Nach deren Fertigstellung wird dann das Pflegeheim und das Mehrgenerationenzentrum in Angriff genommen. „Es wird ein Quartier für alle Generationen in allen Lebenslagen entstehen,“ sagte Bürgermeister Föll, der sich auch beeindruckt zeigte, angesichts der Dimension der Anlage. Obwohl er nur 200 Meter entfernt wohne, sei ihm die Größe der neuen Fläche nie so klar gewesen.

(Artikel für die Stuttgarter Zeitung / Lokalteil)

Neues Quartier für alle Generationen