Das Band wird belastbarer

Die Besinnungsstunde zur Reichspogromnacht wurde durch Beiträge von Schülergruppen zu einer lebendigen Veranstaltung

Zum Gedenken an die Ereignisse der Reichspogromnacht vor 70 Jahren hatte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit zu einer Stunde der Besinnung eingeladen. Dabei traten diverse Schülergruppen auf, die für eine trauerüberwindende, unerwartet hoffnungsvolle Stimmung sorgten.

Am Ende der Besinnungsstunde zur Reichspogromnacht, zu der die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit am Montag Abend ins Rathaus eingeladen hatte, brachte es deren Vorsitzender die im Publikum entstandene Stimmung auf den Punkt: „Was wir heute gesehen haben, macht deutlich, dass das Gedenken nicht in ‚unseligen Ritualen‘ erstarrt, wie es Martin Walser in seiner umstrittenen Rede behauptet hat. Schade, dass er das heute nicht miterleben konnte.“
  

Tatsächlich sorgten vor allem die musikalischen und theatralischen Beiträge von über 100 Schülern für einen würdevollen wenngleich eben auch optimistisch stimmenden Rahmen der Veranstaltung. Chöre der Jugendkantorei und des Eberhard-Ludwig-Gymnasiums trugen Lieder von Leonard Bernstein und Zwi Avni vor, ein Saxofonquintett intonierte eine Klezmoresque und wieder andere tanzten sogar Hip-Hop. Diese verhaltene Fröhlichkeit wirkte deshalb nicht geschichtsvergessen und war dem Anlass durchaus angemessen, weil die schrecklichen Ereignisse vor 70 Jahren, zu deren Gedenken sich auch diverse Vertreter des Gemeinderats, der Stadt, der Kirchen und des öffentlichen Lebens eingefunden hatten, immer sichtbar blieben.

Wie grundsätzlich sich die jüdischen Mitbürger damals durch die brutalen Aktionen des Nazi-Mobs getroffen wurde, machte Martin Widerker von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg in seiner Ansprache deutlich. In jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 sei das Band zwischen Deutschen und Juden zerrissen. Außerdem symbolisiere diese den Beginn der Shoah, der systematischen Ermordung der europäischen Juden durch das NS-Regime. Trotz der Jahrzehnte des zeitlichen Abstands stehe man erst am Anfang, diesen „Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte“ zu überwinden. Aber man bewege sich gemeinsam in die richtige Richtung, meinte Widerker und betonte dabei die Rolle der christlichen Kirchen. Zum ersten Mal hätten am Abend des 9. November alle Stuttgarter Kirchen zum mahnenden Gedenken geläutet. „Dieses Zeichen haben wir sehr wohl wahrgenommen,“ sagte er. Durch das gemeinsame Innehalten werde das neu entstandene Band wieder belastbarer.

Dazu trägt auch die Arbeit des Stadtjugendrings bei, der sich nach dem Krieg mit dem Ziel zusammenfand, Jugendliche gegen den Rechtsextremismus stark zu machen. Die Auftritte der Schülergruppen bei der Besinnungsstunde, die vom Stadtjugendring koordiniert wurden, waren denn auch lebendiger Ausdruck dieser Aufgabe. Die Beiträge der Schüler füllten das Motto des Abends „Gemeinsam gedenken – handeln – Zukunft gestalten“ durch ihre  manchmal perfekten, manchmal etwas ungelenken, aber immer authentischen und ehrlichen Beiträge mit einem Leben, das wohl manche der Anwesenden an diesem Abend positiv überraschte.

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Das Band wird belastbarer

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