Kirche zwischen Anpassung und Ablehnung

Beim Stadtrundgang „Der Haken am Kreuz“ erlebt man das zwiespältige Verhältnis der Kirchen zum NS-Staat

Seit fünf Jahren gibt es eine Führung durch die Innenstadt, mit der man teilweise an Originalschauplätzen mehr erfährt über das Verhältnis der Kirchen zur Hitlerdiktatur. Es wird klar: Es gab viel Anpassung, aber auch radikale Verweigerung.

Auf einmal verteilt Harald Hellstern Flugblätter. Die beidseitigen Kopien haben keine reißerische Überschrift, keine emotionalen Grafiken sondern bestehen aus zwei Seiten einfachem, purem Text, mit Schreibmaschine getippt. Der Inhalt ist brisant, umstürzlerisch, radikal anti-nazistisch und das Verteilen wurde mit dem Tod bestraft. Es ist ein Faksimile der Weißen Rose, 1944 von dem Kreis um die Geschwister Scholl angefertigt. „Mit mathematischer Sicherheit führt Hitler das deutsche Volk in den Abgrund,“ steht da.

So ist es dann gekommen, auch wenn heute davon nicht mehr viel zu sehen ist. Dieser Umstand mach Harald Hellstern zu schaffen. Das Vergessen greift um sich. Die immer wieder sichtbaren Zeichen, die Kriminelle mit ihrem gewalttätigen Glauben an totalitäre Heilsversprechungen hinterlassen, wie jüngst die Schändung des jüdischen Friedhofs in Freudental, sind dafür ein Beleg. Mit der Führung „Der Haken am Kreuz“, die Hellstern zusammen mit dem Stadtjugendring und der Organisation Pax Christi anbietet, arbeitet er seit fünf Jahren gegen das Verdrängen. Der Titel ist programmatisch, denn das Verhältnis der Kirche zur NS-Diktatur und ihr Handeln in diesen Jahren ist das eigentliche Thema.

Folgerichtig beginnt der zweieinhalbstündige Rundgang in der Königstraße im Foyer der Kirche Sankt Eberhard. In der befindet sich ein Gedenkraum für den 1987 selig gesprochenen Priesters Rupert Mayer, einem gebürtigen Stuttgarter. In München legte er sich vor 1933 mehrfach mit den Nazis an, die ihn dann ins KZ verschleppten und in das Kloster Ettal verbannten, wo er den Krieg überstand. Mayers unbeugsame Haltung war in der katholischen Kirche nach dem Konkordat NS-Deutschlands mit dem Papst keineswegs unumstritten, das stellt Hellstern unmissverständlich klar. Oft wandte sich der kirchliche Protest nicht gegen die Entrechtung ganzer Bevölkerungsgruppen sondern nur gegen die Gleichschaltungspolitk der Nazis und gegen deren Versuche, ihre letztlich unchristliche Ersatzreligion durchzusetzen. Wie weit sie damit gingen, verdeutlicht Hellstern vor der Tür der Schlosskirche. In den braunen Jahren habe auf dem Altar nicht die Bibel, sondern Hitlers Hetzschrift Mein Kampf gelegen. Denn diese Kirche war die Gemeinde der Deutschen Christen, der NS-Organisation der Protestanten. Nach dem Krieg lieh sich der neue Pfarrer als erstes von den Katholiken ein Weihrauchfass, um mit dem heiligen Qualm die alten Geister auszutreiben.

Solche fast schon heiteren Anekdoten gibt es nicht viele. Zu grausam und zu vernichtend war diese Zeit. Hellstern erinnert an die Zerstörung der Stadt. Der Umstand, dass er die Führung durch folierte Bilder ergänzen muss, die durch die Gruppe gereicht werden, zeigt, wie total die Vernichtung war, die eben auch die Zeugnisse der Gewaltherrschaft getilgt hat. Stehen geblieben ist das neoklassizistische Haus in der Dorotheenstraße 10, das alte Hotel Silber, die ehemalige Gestapozentrale. Ein Foto wird herumgereicht, das den Abtransport des katholischen Zentrumspolitkers Eugen Bolz an eben dieser Stelle zeigt. Von oben sieht man den geschassten, verhafteten, soeben verhörten Innenminister von Württemberg im Fond des offenen Fahrzeugs sitzen, umringt von einem Menschenpulk. „Die Nazis hatten einen Auflauf organisiert. Beim Abtransport wurde er dann von denen mit Unrat beworfen,“ erzählt Hellstern.

Es sind diese kleinen Dinge, die den Rundgang, der manchmal zu stark in die innerkirchlichen Details abschweift, so lebendig und lehrreich machen. Gegen das Vergessen und die Verharmlosung, das ist allerdings ein Kampf, der schon 1933 begann, auch innerhalb der Kirche. Am Eingang zum Bohnenviertel erinnert Hellstern an die dort lebende jüdische Gemeinde, über die der Pfarrer der benachbarten Leonhardtskirche sagte: „Plötzlich waren sie weg.“ Wegschauen, weghören, wegdiskutieren – auch die Kirchen haben passiv und aktiv an der Entwicklung des NS-Staates mitgewirkt. „Erst als es eng wurde, ist man aufgewacht,“ sagt Hellstern. Aber man stellt sich der schonungslosen Analyse und zieht daraus Lehren für die Gegenwart. Diese Führung ist ein Teil davon.

[Der Artikel ist am 16. Oktober 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

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