Mondfinsternis ohne Zuschauer

Wegen schlechten Wetters hat sich die totale Mondfinsternis gestern Nacht fast ohne Beobachter vollzogen.

Wenn sich am Himmel spektakuläre Ereignisse vollziehen, ist das Publikumsinteresse normalerweise groß. Die Mondfinsternis gestern wollte auf der Sternwarte allerdings niemand verfolgen. Der deutschlandweitweit bewölkte Himmel ließ auch in Stuttgart nur ganz kurz einen Blick auf das Spektakel zu.

„Jetzt hat es sich doch noch gelohnt!“ freut sich Helmut Christian Bauer. Der Chemiestudent aus Reutlingen und Teilzeitmitarbeiter bei der Schwäbischen Sternwarte hatte als einziger auf der Uhlandshöhe ausgeharrt, um die totale Mondfinsternis Mittwoch Nacht zu beobachten. Wie fast überall in Deutschland herrscht aber schlechtes Wetter, weshalb sich sich niemand einfand, das Spektakel zu verfolgen. Die Wahrscheinlichkeit ist zu gering, dass der wolkenverhangene Himmel einen Blick auf den Erdtrabanten zulassen würde.

Tatsächlich zieht am frühen Donnerstagmorgen eine graue, kompakte Wolkenmasse über den Talkessel. Keine Chance mit dem mechanischen Teleskop trotz imposanter Ausmaße den Durchlauf des Mondes durch den Erdschatten zu verfolgen. „Man hat immer Hoffnung,“ sagt Bauer und schaut auf der Terrasse in Richtung Westen, ob sich nicht doch noch ein Loch in den Wolken zeigt. Manchmal würden die Wolken regelrecht zerfetzt, meint er, und deutet auf die schwarzen Flecken, die über dem Killesberg erscheinen. Durchaus möglich, dass der Himmel noch aufreiße. Seine Ahnung trügt offensichtlich nicht, denn schon werden die ersten Sterne sichtbar.

Auf einmal kommt richtig Bewegung hinein und schon schimmert der Vollmond dünn am Himmel. Schnell bringt Bauer jetzt die drehbare Holzkuppel des Turms in die richtige Position und öffnet den Beobachtungsschlitz. Dann wird der historische Carl-Zeiss-Refraktor, das mit Kurbeln und allerlei wunderlicher Technik etwas altertümlich anmutende mechanische Teleskop, in Stellung gebracht. Fast hundert Jahre ist das aus blau lackiertem Gussmetall und gold poliertem Messing bestehende Fernrohr alt und scheint einem Jules-Verne-Film entnommen. Früher gehörte es einem Fabrikanten aus Korntal, bis es 1948 auf der Uhlandshöhe aufgestellt wurde. Der Blick durch die Linsen zeigt den Mond nun bildfüllend und etwas erstaunt nimmt man zur Kenntnis, das die totale Finsternis am Höhepunkt des himmelsmechanischen Großereignisses gar nicht so total ist. Es sieht mehr so aus, als sei nun ein dicker schwarzer Fleck auf dem ansonsten hellgrauen Himmelskörper. Das sei eine optische Täuschung, ausgelöst durch die Ablenkung des Lichts in der Atmosphäre, klärt Bauer auf.

 Trotzdem: es stellt sich dieses eigentümliche Gefühl ein, ein winziger Teil eines gewaltigen, universalen Spiels von Planeten zu sein, auf die mit mathematischer Exaktheit ewige Kräfte wirken, endlos im Raum kreisend. Leider ist nach zwei Minuten schon wieder alles vorbei. Der Himmel zieht sich wieder zu, das faszinierende Himmelsspektakel verwandelt sich in einen viel zu frühen, viel zu grauen, nasskalten Februarmorgen. Vielleicht wird es ja 2011 besser, dann wird es wieder einen beobachtbaren Erdschatten auf dem Mond geben.

 [Der Artikel ist am 22. Februar 2008 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Mondfinsternis ohne Zuschauer

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