Plädoyer eines glühenden Europäers

Vor der Schwäbischen Gesellschaft zeichnete Erwin Teufel am Dienstag Abend in einem einstündigen Vortrag ein zwiespältiges Bild vom Zustand und Zukunft der Europäischen Union. Die 300 anwesenden Honoratioren waren trotzdem begeistert.

„Europa in eine bessere Verfassung bringen“ – so lautet der Titel des Vortrags, den der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel am Dienstag Abend in der BW-Bank am Kleine Schlossplatz auf Einladung der Schwäbischen Gesellschaft gehalten hat. Vor etwa 300 Zuhörern zeichnete Teufel ein differenziertes Bild vom Zustand und Zukunft der EU und lieferte gleichzeitig ein engagiertes Plädoyer für den europäischen Einigungsprozess, an dem er selbst viele Jahre aktiv beteiligt war.

An diese Tätigkeit des „glühenden Europäers“ erinnerte in seiner Einführung auch Dietrich Dörner, der scheidende Präsident der staatsbürgerlichen Zielen verpflichteten Gesellschaft. Dörner freute sich ob der gut gefüllten, zum bestuhlten Saal umgewandelten Schalterhalle über das starke Interesse an der Veranstaltung. Nur der Vortrag von Hans Küng habe einen ähnlichen Zuspruch ausgelöst. „Aber mit dem sind Sie ja auch befreundet,“ sagte er an Erwin Teufel gerichtet. Dieser war offensichtlich bester Laune, begrüßte viele Zuhörer persönlich und trat mit einem Lächeln vor das Rednerpult.

Dort skizzierte er in einem etwa eine Stunde dauernden, rhetorisch brillianten Vortrag seine Sicht des europäischen Verfassungsprozesses. An diesem Grundgesetz, das zu Teufels Bedauern wohl nicht mehr zustande kommen wird, hatte er im Verfassungskonvent als Vertreter für die deutschen Bundesländer selbst mitgearbeitet und konnte den Zuhörern daher aus erster Hand fundierte Einschätzungen der Lage vermitteln. Diese ist nach seiner Meinung nicht gut, aber auch nicht aussichtslos. Dreh- und Angelpunkt von Teufels Kritik ist die überbordende Aneignung von Kompetenzen durch die Europäischen Institutionen auf Grund der fehlenden Durchsetzung des Prinzips der Subsidiarität.

Dieses Modell der Verteilung staatlicher Macht, Teil der katholischen Soziallehre, beruht auf der Grundannahme der Selbstverantwortlichkeit des Individuums. Nur wenn der Einzelne sich auf Grund widriger Umstände nicht selbst versorgen könne, dürfe er auf gemeinschaftlich organisierte Hilfe zurückgreifen. Angewandt auf die Organisation staatlicher und transnationaler Institutionen brachte es Teufel auf eine einfache Formel: „Was unten geht, soll auch unten gemacht werden.“ Die schwäbischen Städte wüssten bei vielen Dingen, wie es geht, ebenso das Land oder die Bundesrepublik. Europäische Handlungsfelder sieht Teufel daher vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik, bei technologisch herausfordernden Großprojekten und bei der Schaffung einer europäischen Identität, die sich aus dem gemeinsamen Kulturerbe der klassischen Antike, des Christentums und der Aufklärung zusammensetze.

Trotz aller Kritik im einzelnen verkündete Teufel aber sein unverbrüchliches Credo: „Jeder, der bei Verstand ist, ist Europäer!“ Die versammelten Honoratioren aus Wirtschaft, Politik und Kultur waren jedenfalls begeistert, wie sich am mehr als freundlichen Schlussapplaus und der aufgeräumten Stimmung beim anschließenden Viertele mit Brezeln ablesen ließ.

[Der Artikel ist am 10. Oktober 2007 in der Stuttgarter Zeitung erschienen]

Plädoyer eines glühenden Europäers

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