Der Schlossplatz wird zum Aktionsraum für Flash-Mob

Am Samstag Abend versetzen Geocaching-Fans mit einer ungewöhnlichen Aktion die Passanten in Erstaunen

Bei Sommerwetter und keiner Wolke weit und breit mit einem aufgespannten Regenschirm fünf Minuten vor dem Königsbau zu verharren – das war die absurde Aufgabe, die sich hiesige Fans des Freizeitsports Geocaching gestellt hatten. Etwa 100 machten mit und lösten bei den Passanten durchweg Heiterkeit aus.

Punkt 19 Uhr gingen die Schirme auf. Etwa 100 in allen Farben und Größen machten am Samstag den Schlossplatz rund um den Pavillon fast zum Ort einer Kunstaktion. Erinnert wurde man ein wenig an das Ehepaar Christo, die bereits einmal eindrucksvoll ganze Landschaften mit tausenden Sonnenschirmen in ein liebliches Ensemble verwandelten. Die Regenschirme in der Stuttgart City wurden allerdings nicht von Künstlern aufgespannt, um ästhetische oder gar politische Botschaften zu kommunizieren, sondern von Mitbürgern, die damit ihrem gemeinsamen Hobby frönten, dem so genannten Geocaching. 

Das basiert auf den Möglichkeiten tragbarer Ortungssysteme. Mit deren Hilfe werden in einer Art Schnitzeljagd tote Briefkästen gesucht, deren geografische Koordinaten im Internet verbreitet werden. Wer eine dieser Boxen findet, trägt sich in ein dort gebunkertes Logbuch ein und hinterlässt einen Gegenstand. Der Reiz dieser Suche resultiert aus dem Umstand, dass diese auf Grund der unscharfen GPS-Systeme manchmal schwierig ist, zu in der Regel außergewöhnlichen Plätzen führt und im Internet protokolliert wird, in diesem Fall bei www.geocaching.com. In dem Angebot sind allein in Baden-Württemberg fast 6.000 Orte verzeichnet, an denen ein Logbuch hinterlegt wurde. Der normale Geocacher wandert also sich ortend durch die Landschaft wie es auch die beiden Wendlinger fast jedes Wochenende tun, die sich in der virtuellen F´Gemeinschaft „border“ und „smallgrisu“ nennen.

Beide sind Anfang 40 und begeisterte Anhänger dieses modernen Freizeitsports. Allein border hat in den letzten fünf Jahren bereits über 3.000 Geocaches aufgesucht. Die als Flashmob-Event im Internet angekündigte Aktion ist allerdings für beide eine absolute Premiere. 

Diese aus den USA stammende Aktionsform – wörtlich „Blitzmenge“ – besteht in einer kurzzeitigen, nur eingeweihten Kreisen bekannten, meist absurden Intervention im öffentlichen Raum. Wie aus dem Nichts versammeln sich Menschen, veranstalten höchstens zehn Minuten lang in der Öffentlichkeit seltsame Dinge und zerstreuen sich dann wieder. Am Samstag Abend bestand die Aufgabe darin, sich unauffällig vor dem Königsbau einzufinden, um 19 Uhr auf Kommando einen Regenschirm aufzuspannen und dann fünf Minuten regungslos zu verharren. „Das hat keine soziale oder künstlerische Botschaft, sondern dient einfach nur dem Spaß in der Gemeinschaft,“ meinte border zu dem Sinn der Aktion. Dem Aufruf waren über 100 Teilnehmer gefolgt, deren Verhalten angesichts des sommerlichen Wetter bei den zahlreichen Passanten auf amüsiertes Unverständnis stieß. Für die feierfreudigen Damen von Andreas Junggesellinnenabschied war es ein willkommener Jux, für das New Yorker Ehepaar Parker, seit kurzem in Stuttgart bei der Army beschäftigt, ein Anlass zum Staunen. So etwa hätten sie noch nie gesehen, meinten sie lächelnd. 

Nach fünf Minuten war alles vorbei, die Schirme schlossen sich wieder. „Das waren die peinlichsten fünf Minuten meines Lebens,“ sagte border danach. Vier Mal sei er von Passanten angesprochen worden und habe sich sogar getraut, deren Fragen mit dem Satz „Es regnet gleich!“ zu beantworten. Seine Mitstreiter versammelten sich anschließend um Organisator Jürgen Räuchle, dem sie ihre Logzettel in einen Einkaufskorb warfen. Diese werden in den nächsten Tagen als Teilnahmebeleg online veröffentlicht. Nach einem letzten Gruppenfoto zogen sich die Geocacher in ein schwäbisches Traditionslokal zurück, um sich bei Bier und Erfrischungsgetränken in aufgeräumter Stimmung über das Erlebte auszutauschen. Denn das war vielleicht der einzige Sinn dieser Aktion: sich durch ein ungewöhnliches Zeichen als Teil einer Gruppe zu definieren, deren Gemeinschaft ansonsten nur im Internet stattfindet.

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

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