Jeder zehnte Stuttgarter ist bereits bei der Internetplattform Xing registriert, um private und berufliche Kontakte zu pflegen.
Die Möglichkeit, ein eigenes Netzwerk aus persönlichen Kontakten zu erstellen und nutzbar zu machen, ist das Erfolgskonzept des Webservice Xing. Bei den dort anzutreffenden Stuttgarter Gruppen stehen geschäftliche Interessen nicht unbedingt im Vordergrund.
„Die Stuttgarter waren schon immer besonders aktiv,“ sagt Daniela Hinrichs, Pressesprecherin von Xing. Jeder zehnte Einwohner der Landeshauptstadt sei bereits registriertes Mitglied bei der Netzwerkplattform und jeden Tag kommen 50 bis 100 neue hinzu. Sehr beliebt bei Xing sind die Gruppenfunktionen. Registrierte Nutzer können fast zu jedem Thema eine gründen oder den bestehenden 8.000 Gruppen beitreten. Wer sich in die Gruppenliste einträgt, kann an Diskussionen zum jeweiligen Thema teilnehmen. Außerdem werden Rundschreiben per E-Mail an die Mitglieder versendet und Termine organisiert werden. Allein mit Stuttgarter Bezug gibt es über ein Dutzend Gruppen, die sich teilweise regelmäßig zu persönlichen Treffen zusammenfinden.
Die größte nennt sich StuttgartBC, feierte jüngst ihren dritten Geburtstag und hat über 5.000 Mitglieder. Etwa 150 kommen zu den einmal im Monat in der Rosenau stattfindenden Treffen, „hauptsächlich Reingeschmeckte, Schwaben eher weniger“ sagt Michael Schommer, einer der Moderatoren. Wer allerdings annimmt, er könne diese Treffen sofort mit gefüllten Auftragsbüchern verlassen, der irre gewaltig. Zwar werden fleißig Visitenkarten ausgetauscht und die Teilnehmer haben alle Antennen auf Empfang gestellt, aber die Treffen, auf denen sich Neulinge in einem Kurzvortrag vorstellen können, sind eher locker und unverbindlich. Netzwerke wirken eben höchstens langfristig, fast zufällig. Man lernt sich kennen und schätzen und wenn man die Kompetenzen des anderen braucht, wird darauf zurückgegriffen. „Ich habe hier schon Leute kennengelernt, die später zu Kunden wurden,“ sagt Oliver Gassner aus Vaihingen an der Enz, der Unternehmen bei Internetaktivitäten berät. Gassner schätzt besonders die Funktion der dynamischen Adressverwaltung. „Man vergisst manchmal Kontakte. Bei Xing bleibt die erhalten und sind immer aktuell, denn jeder hat ein Interesse, seine Profilinformationen selbst zu pflegen.“ So hat sich Xing zum Tummelplatz von selbstständigen Anbietern unternehmensnaher Dienstleistungen und Freiberuflern entwickelt. Denn mit einer regen Aktivität in den Gruppen kann man sich professionell profilieren und für Entscheider und Personaler interessant machen.
Eher persönliche Interessen verfolgen die Angestellten, die etwa die andere Hälfte der Mitglieder ausmachen. Bei Emel Özbek, die bei der Daimler AG im Onlinebereich tätig ist, liegt das Interesse klar im privaten Bereich. Vor sechs Jahren ist die in Norddeutschland geborene Diplomkauffrau nach Stuttgart gezogen und ist in der Gruppe „Stuttgart Deutsch-Türkische Community“ aktiv. Die über 1.000 Mitglieder verbindet nicht nur der Wohnort sondern auch das Interesse an der türkischen Kultur. „Wir sind eine Gemeinschaft für die dritte Generation,“ sagt Özbek und meint damit meist bestens ausgebildete und integrierte Mitbürger mit türkischen Wurzeln. Man tauscht sich aus, unterstützt sich gegenseitig und organisiert gemeinsame Unternehmungen meist kultureller Art mit Bezug zur Türkei. Politik wird eher gemieden. „Das polarisiert zu sehr,“ meint Özbek, die von den Möglichkeiten der Plattform schwärmt, unkompliziert Gleichgesinnte zu welchem Thema auch immer zu finden.
Auch für Tom Eich, Prokurist bei der LBBW, und seine Mitstreiter der Gruppe „Stuttgart Connection“ steht der geschäftliche Nutzen nicht im Vordergrund. Deren über 2.000 Mitglieder haben sich ganz dem sozialen Engagement verschrieben. „Es gibt so viele Leute, die sich gerne mehr gesellschaftlich engagieren möchten, die aber keinen Ansatzpunkt finden. Den versuchen wir zu organisieren und dafür ist Xing einfach perfekt,“ sagt Eich. Um auch rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, befindet sich ein Verein in Gründung, über den Spenden gesammelt werden sollen, für das Olgäle beispielsweise.
Alles gut also in der schönen neuen Netzwerkwelt? Nicht ganz, denn wie im realen Leben gibt es auch hier Grenzen, Tabus und manchmal Nerverei. Streng untersagt sind plumpe Werbemails und Bettelbriefe sind nicht gern gesehen. Diese Belästigungen halten sich also in Grenzen. Allerdings geht es manchmal in den Foren recht ruppig zur Sache, bis hin zu persönlichen Beleidigungen, ein Phänomen, dass allerdings viele offene Diskussionssysteme im Internet beklagen. Die Offenlegung der teilweise sehr persönlichen Daten ist ebenfalls etwas gewöhnungsbedürftig. Die Tatsache, dass die Daten nur freigeschalteten Mitgliedern zugänglich sind, schützt vor Missbrauch. Negative Erfahrungen hat auch Angelika von Hubatius noch keine gemacht, im Gegenteil, die Trainerin schwört auf Xing, wie viele ihrer Kollegen aus dem Bildungsbereich. Seit zwei Jahren sammelt sie eifrig Kontakte, aktuell sind es 143, und kann nun ihre Seminarangebote gezielt vermarkten. Das Engagement geht aber darüber hinaus. „Ich will beruflich wie privat den Austausch mit netten Menschen pflegen.“ Offenbar findet man die eher im Internet als im urbanen Alltag.
Über das globale Netzwerk Xing
Über vier Millionen registrierte Mitglieder weltweit hat die Internetplattform Xing, 40 Prozent davon aus Deutschland. 2003 als Open Business Club gegründet ist das Unternehmen mit Sitz in Hamburg eines der größten seiner Art. Mit dem Börsengang 2006 wurde der Name in Xing geändert und die internationalen Aktivitäten ausgeweitet. Inzwischen beschäftigt Xing etwa 120 Mitarbeiter an mehreren Standorten im In- und Ausland. Xing versteht sich als Plattform zum Aufbau eines persönlichen Netzwerks. Damit ist die Pflege von Kontakten zu Bekannten gemeint, die einem privat oder beruflich verbunden sind. Dazu erstellt man nach der kostenlosen Registrierung zunächst sein persönliches Profil. Das besteht aus den Kontaktdaten, einem Foto, dem Lebenslauf und der Nennung dessen, was man sucht und was man anbietet. Durch ausgefeilte Funktionen kann man die Daten anderer Mitglieder durchsuchen und so aktuelle oder potenzielle Geschäftspartner sowie alte und neue Bekannte finden und ansprechen. Die Nutzer sind in der Mehrzahl zwischen 25 und 55 Jahre alt und haben einen akademischem Bíldungshintergrund. Haupteinnahmequelle von Xing ist eine kostenpflichtige Mitgliedschaft, die etwa 10 Prozent der Nutzer abonniert haben. Für monatlich sechs Euro kann man dann besondere Funktionen nutzen.
[Der Artikel ist am 2. Januar 2008 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]