Auf der Suche nach der richtigen Dosis

Wissenschaftler und Naturschützer suchen Wege zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik

Die Umweltprobleme, die mit der massenhaften Mobilität einhergehen, sind bekannt. Diese können nur durch eine nachhaltige, die begrenzten Ressourcen schonende Verkehrspolitik vermieden werden. Wie das geschehen kann, darüber haben Experten auf einem Zukunftstag des Landesnaturschutzverbandes diskutiert. 

Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Flächenverbrauch und klimaschädigende Emissionen sind nur einige Probleme, die sich aus dem hohen Grad der Mobilität ergeben, den die entwickelten Industriegesellschaften erreicht haben. Was getan werden muss, um der sich zuspitzenden Lage Herr zu werden, und wie eine nachhaltige Mobilität erreicht werden kann, dazu wollte der 9. Zukunftstag des Landesnaturschutzverbandes, der am Samstag im Haus der Architekten stattfand, einen Beitrag leisten. Einschlägige Wissenschaftler und Experten skizzierten in Vorträgen ihre Thesen und diskutierten verschiedene Lösungsansätze. In diese nach eigener Aussage „Höhle des Löwen“ hatte sich auch Johannes Schmalzl gewagt, Regierungspräsident des Regierungsbezirks Stuttgart, und somit von Amts wegen verantwortlich für viele umstrittene Straßen- und Verkehrsprojekte in der Region. Auch für Schmalzl stand die Notwendigkeit außer Frage, die Mobilitätspolitik an den Kriterien der Nachhaltigkeit auszurichten. Probleme sieht er allerdings in dem Weg, wie man dahin kommen kann. Als Beispiel aus seinem Arbeitsalltag führte er eine Gemeinde im Landkreis Böblingen an, die sich eine Umgehungstrasse wünscht, um für die Bewohner die Verkehrsbelastungen zu verringern. Dafür soll im Gegenzug eine dann überflüssige Straße zurückgebaut werden. Die Proteste seien enorm, berichtet Schmalzl. „Die Menschen geben keinen Quadratmeter Straße mehr her,“ sagte er. Man müsse daher die Bürger mitnehmen, sonst laufe man Gefahr, dass diese sich dem politischen Extremismus zuwenden. 

Über Lösungswege waren sich denn die Experten auch nur in einem Punkt einig: Es muss an der Kostenschraube für Mobilität gedreht werden, sonst wird sich das zerstörerische Verhalten nicht ändern. So sei zum Beispiel der Güterfernverkehr bis zu 90 Prozent subventioniert, was nur wenigen Großunternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffe. Eine Kostenwahrheit müsse daher auf allen Ebenen her, so die Mehrheit der Teilnehmer. Streitpunkt war dabei allerdings, ob dieses auch für den Öffentlichen Nahverkehr gelten soll. „Der ÖVPN ist nicht so grün, wie er tut,“ sagte Markus Friedrich, Verkehrswissenschaftler an der Universität Stuttgart. Auch Busse und Bahnen verbrauchten erhebliche Mengen an Energie. Deshalb empfahl Friedrich hier auf technische Lösungen zu setzen und weniger auf eine wenn auch wünschenswerte Änderung des Verhaltens der Menschen. 

Die ist dennoch dringend geboten, denn die Prognosen sagen übereinstimmend eine gewaltige Zunahme des LKW- wie des PKW-Verkehrs voraus. Angesichts dieser Horrorszenarien warnten mehrere Teilnehmer vorsorglich vor der Arroganz der Nachhaltigkeitsstrategen. Eine Ökodiktatur, die den Menschen ohne demokratische Legitimation vorschreibe, wie sie sich zum Wohle aller zu verhalten hätten, sei keine Option. Auch auf einen Bewusstseinswandel zu setzen, wenn man die Bürger direkt mit den Problemen konfrontiere, sei nicht gangbar. „Es kann nicht sein, dass wir uns über jeden Stau freuen, weil die Menschen dann angeblich bemerken, wie bescheuert sie sich verhalten,“ sagte der Regierungspräsident. Dass es zu schmerzhaften Veränderungen im Mobilitätsverhalten kommen muss, stand für Martin Schrein von der Forstlichen Versuchs- und Forstanstalt Baden Württemberg außer Frage. Eine Zäsur in der Verkehrspolitik sei dringend notwendig und irgendwann müsse entschieden werden, wer welche Nachteile in Kauf zu nehmen habe. Es komme dabei auf die richtige Dosis an, die verabreicht wird, um eine nachhaltige Mobilität zu schaffen. Diese Dosis bestehe aus vielen kleinen Maßnahmen, wie zum Beispiel einem umfassenden Mautsystem und einer Änderung der Wohnungspolitik, die die Familien nicht mehr in die zersiedelte Peripherie drängt und noch mehr Verkehr erzeugt. Eines stellte Reiner Ehret vom Landesnaturschutzverbund aber klar: „Wir brauchen keine neuen Straßen sondern neue Wege, um die Verkehrsprobleme der Zukunft zu lösen.“ Dem zuzustimmen, fiel auch Schmalzl nicht schwer, allerdings sind seine Erfahrungen mit konkreten Projekten in der Region eher durchwachsen. Wenn er unterwegs sei, sehe er in vielen Gemeinden große Schilder, auf denen zu lesen sei, dass man dringend eine Umgehungsstraße brauche. Sich dann auf einer Bürgerversammlung hinzustellen und zu sagen „Nein, die kriegt ihr nicht!“, da wünsche er jedem viel Glück.

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Auf der Suche nach der richtigen Dosis

Luftballons mit guten Wünschen für Tibet

Aktion der Tibetinitiative am Schlossplatz parallel zur Abschlussfeier bei Olympia. Florian Norbu Gyanatshang weiter in Haft.

Pünktlich um 15 Uhr stiegen gestern 100 Luftballons in den Stuttgarter Himmel. Die Stuttgarter Tibetinitiative wollte parallel zur olympischen Abschlussfeier in Peking ein Zeichen setzen. Die Situation für den Stuttgarter Deutsch-Tibeter Florian Norbu Gyanatshang ist unverändert.

Florian Norbu Gyanatshang, der Stuttgarter Deutsch-Tibeter, der Mittwoch Nacht in Peking anlässlich einer schnell und gewaltsam beendeten Protestaktion gegen die Menschenrechtslage in Tibet verhaftet wurde, befindet sich weiter in chinesischer Haft. Das berichtete gestern Jan Weber, Vorsitzender der Stuttgarter Tibetinitiative, der in engem Kontakt mit der Schwester des Menschenrechtsaktivisten steht. Er sei körperlich unversehrt und werde von der deutschen Botschaft betreut, so seine Informationen. „Wir finden die Aktion bewundernswert und sehr mutig. Florian hat ein sinnvolles Zeichen für die internationalen Medien gesetzt,“ sagte Weber gestern am Rande einer Aktion der Initiative am Schlossplatz. 

Parallel zur großen Abschlussfeier der Olympischen Spiele in der chinesischen Hauptstadt stiegen etwa hundert Luftballons in den blauen Himmel. Die orangenen Ballons trugen auf angehängten Postkarten Wünsche für Tibet in den Himmel. Etwa 50 Personen hatten sich gegenüber der Kunstgalerie eingefunden, beantworteten an einem Infostand Fragen von Passanten und sammelten Unterschriften für eine Petition an den deutschen Außenminister. Die Demonstranten, darunter einige Exil-Tibeter, waren sich einig, dass die Aktion von Florian Norbu Gyanatshang zu begrüßen ist. Für Lekshiy Hofheinz, einem mit deiner Deutschen verheirateten Tibeter, der vor etwa drei Jahren aus Indien nach Deutschland kam, hat sie sogar Vorbildcharakter. „Das ist großartig! Meine Freude und ich fragen uns ständig, warum wir nicht so etwas machen, statt hier entspannt zu demonstrieren,“ sagte er. Florian Norbu Gyanatshang kennt er gut und als streitbaren Menschen, der die Konsequenzen bewusst in Kauf genommen habe. Für den 30-Jährigen Sozialarbeiter, dessen Eltern 1962 aus Tibet nach Indien kamen und der noch letzte Woche mit seinem als Bauer in Ost-Tibet lebenden Bruder telefoniert hat, ist die Motivation hoch, sich für sein Land einzusetzen. 

Die Lage sei teilweise katastrophal für die Landbevölkerung. Kaum Schulbildung, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, die Pflicht, Chinesisch zu sprechen seien nur einige der bedrückenden Punkte. In dem Dorf des Bruders würden die Gemeindemitarbeiter, durchweg Chinesen, jeden Morgen bewaffnet und militärischer Kleidung durch die Straßen marschieren. Schnelle Lösungen für das Problem kann Hofheinz nicht erkennen, weil die Chinesen, auch solche, die hier in Deutschland leben, in der Tibet-Frage zunächst mal Nationalisten seien, unabhängig von einer Zustimmung zum aktuellen Herrschaft der Kommunistischen Partei. „Das wird noch lange dauern,“ sagte er. Die Olympischen Spiele sieht er im Rückblick durchaus differenziert. Durch das weltweite Medieninteresse sei auch die Situation im Himalaya wieder mehr in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Den Olympia-Veranstaltern sei es nicht gelungen, die Probleme Tibets aber auch ihre eigenen Defizite bei der demokratischen Entwicklung vollständig hinter der Propagandashow zu verstecken.

Das ist auch die Meinung von Jan Weber. Zwar hätten sich schon nach den teilweise gewalttätigen Protesten in Tibet im Frühjahr diesen Jahres viele neue Gesichter bei der Initiative eingefunden, aber durch das Sportereignis sei die mediale Resonanz auf ihre Mahnwachen und Aktion sehr hoch gewesen. Trotzdem bleibe ein „schaler Beigeschmack“, nämlich dass China überhaupt die Olympischen Spiele habe austragen dürfen. Nach dem Großereignis werden sicherlich etwas mehr Ruhe einkehren, aber immerhin bleibe den Aktivisten nun auch mal etwas Zeit um durchzuatmen. Natürlich werde die Initiative weiter arbeiten und auch Spenden sammeln. Interessenten könnten sich im Internet (www.tid-stuttgart.de) auf dem Laufenden halten. Die Erfolgschancen der Arbeit sieht Weber ohne Illusionen, vor allem was die Forderung nach einem eigenen Staat für Tibet angeht. „Wir fordern nur das, was Mao damals versprochen hat: kulturelle und teilweise politische Autonomie,“ sagte Weber. Wenn das im Rahmen eines demokratischen, chinesischen Staates erreicht sei, dann könne man weitersehen. Aktuell werde man dem sicherlich bald nach Stuttgart zurückkehrenden  Florian Norbu Gyanatshang einen herzlichen Empfang am Stuttgarter Flughafen bereiten, falls die organisatorisch möglich ist.

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Luftballons mit guten Wünschen für Tibet

Europas Jugend mischt sich ein

Stadtjugendring startet EU-Projekt zur Mitwirkung Jugendlicher in der Kommunalpolitik.

Mit einem Workshop hat der Stadtjugendring ein Projekt zu Mitwirkung Jugendlicher an kommunalen Entscheidungsprozessen in der EU gestartet. Eingeladen waren Jugendliche aus den Partnerstädten Straßburg und Lodz. Der Bedarf ist vor allem bei den EU-Neumitgliedern groß, wie die polnischen Teilnehmer berichteten. 

Die politische Beteiligung Jugendlicher auf kommunaler Ebene zu verbessern, ist eines der Ziele, das sich die Europäische Union auf die Fahne geschrieben hat. Konkret umgesetzt werden solche Politikziele zumeist in der Förderung entsprechender Projekte. Eines davon ist das Projekt Participation Now, das der Stuttgarter Stadtjugendring entwickelt hat und dessen erste Stufe am Wochenende durchgeführt wurde. Je zwei Jugendliche aus der Landeshauptstadt sowie deren Partnerstädten Lodz und Straßburg waren zusammengekommen, um eine Konferenz thematisch vorzubereiten, die im September in der Elsassmetropole stattfinden wird. Bei diesem Jugendhearing sollen die Ergebnisse auch direkt in die Politik eingespeist, genauer: den Entscheidungsträgern im Europäischen Parlament vorgestellt werden. Zuletzt wird es im Sommer 2009 eine Ergebniskonferenz im polnischen Lodz geben, um die erzielten Fortschritte zu protokollieren und weitere Ziele zu definieren. 

Während des Treffens in Stuttgart wurde allerdings auch deutlich, wie groß im Moment die Unterschiede in den Partnerstädten bei den Möglichkeiten der politischen Mitwirkung sind. Während Stuttgart mit seinen in den letzten Jahren sich immer besser entwickelndem System der Jugendstadträte hier durchaus Vorbildcharakter hat, stehen die Jugendlichen aus Lodz noch ganz am Anfang. Wie Mateusz Stasiak berichtete, gibt es in der ostpolnischen Millionenstadt zwar ebenfalls eine Art kommunaler Jugendvertretung, aber die lokalen Politiker würden deren Arbeit nicht recht ernst nehmen. Die Folge ist ein Mangel an nichtkommerziellen Freizeitangeboten mit der Konsequenz, dass viel auf der Straße stattfinde, was der 15-jährige Kacpar Zawratynski überhaupt nicht gut fand. „Die Jugendlichen müssen auf den Plätzen in der Stadt herumlungern, rauchen und trinken Alkohol,“ sagt er.

Als Ergebnis des Wochenendes stand denn auch die Schaffung von Treffpunkten ganz oben auf der Themenagenda der Teilnehmer. Spielstätten einzurichten wie zum Beispiel Plätze zum Skateboardfahren, offene Treffpunkte wie das Jugendcafé in Weil im Dorf zu unterhalten oder legale Möglichkeiten, um dem so beliebten Grafitti-Sprayen nachzugehen – das sind Angebote, für die sich die Jugendliche mehr Unterstützung von den europäischen Institutionen erhoffen. Die sollen Richtlinien erlassen, in denen eine verbindliche Einführung jugendlicher Gremien zur institutionellen Mitwirkung an kommunalen Entscheidungen festgeschrieben wird. Wie Marc Fischer vom Stadtjugendring Stuttgart feststellte, ist diese Partizipation auch Teil des gerade stockenden Lissabon-Prozesses und des gerade von den Iren abgelehnten Vertragswerkes. „Im Lissabon-Vertrag steht, dass alle Bürger an Entscheidungen auf lokaler Ebene zu beteiligen sind und dazu gehören dann ja auch die Jugendlichen,“ sagte er. Des weiteren konstatierten die Teilnehmer des Workshops Defizite bei der Herausbildung einer europäischen Bürgerschaft. Hier müsste in den Schulen und den beruflichen Ausbildungsstätten noch viel mehr getan werden, stellten sie fest. Die Förderung der Sprachkompetenzen, der Ausbau von Austauschmöglichkeiten und die Propagierung der Gemeinsamkeiten soll das etwas kopflastige Konstrukt EU mit konkreten Leben als Europäer füllen. 

Finanziert wird das Stuttgarter Projekt aus EU-Mitteln, mit Unterstützung der beteiligten Städte. Bei deren Auswahl hat der Stadtjugendring bewusst auf die existierenden Städtepartnerschaften zurückgegriffen. Wie Bettina Schäfer berichtete, habe man damit der Tatsache Rechnung getragen, dass es durch die langjährigen Kontakte einige sehr gute Netzwerke gäbe. Auf die habe man zurückgegriffen, um mit dem Workshop und den zwei Konferenzen Europas Politiker auf allen Ebenen für die Anliegen und Bedürfnisse Jugendlicher zu sensibilisieren. Das könne nur überzeugend gelingen, wenn die Jugendlichen selbst die Themen entwickelten und transportierten. Mit dem Stuttgarter Treffen wurde hier erfolgreich ein Anfang gemacht.

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Europas Jugend mischt sich ein

Neues Stadtteilzentrum soll Standort Killesberg stärken

Auf der alten Messe entstehen über 5.000 Quadratmeter Ladenfläche neu. Bisher fließt Kaufkraft ab.

Der Einzelhandel im Stuttgarter Norden befindet sich im Umbruch. Bisher weichen die Bewohner wegen des ausgedünnten Angebots in andere Bezirke und die City aus. Durch den Neubau des Forum Killesberg soll die Kaufkraft im Bezirk gehalten werden.

Das an Stelle der alten Messe geplante Stadtteilzentrum Forum Killesberg entspricht den Bedürfnissen der Anwohner und wird die bestehenden Einkaufsstandorte nicht beeinträchtigen. Zu dieser Einschätzung kam am gestrigen Abend der städtische Wirtschaftsförderer Klaus Vogt, der die Planungen der Stadt auf einem Informationsabend der CDU Nord vorstellte. Dass es weiterer Einkaufsmöglichkeiten im Norden bedarf, ist auch die feste Überzeugung von Donate Kluxen-Pyta, Vorsitzende der Bezirks-CDU.

Seit Jahren hat sich das Angebot an kundennahen Dienstleistungen aber auch an Geschäften mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs immer weiter ausgedünnt. Diese Beobachtung wurde durch die Zahlen gestützt, die sich aus den Ergebnissen einer Untersuchung ergeben, die stadtweit die Handelsstruktur quantifiziert hatte. Für den Norden bedeutet das, dass für die 20.000 Bewohner des Einzugsgebiets rund um den Killesberg etwa 3.500 Quadratmeter Verkaufsfläche bereitstehen, unter anderem in den zwei kleinen Stadtteilzentren in der Helfferichstraße und im oberen Teil der Birkenwaldstraße. Die Standortanalyse habe eindeutig belegt, dass es in der Versorgung erhebliche Lücken gibt. Die Folge: Viele Anwohner machen ihre Einkäufe außerhalb des Stadtteils. „Das Nachfragepotenzial ist da, wird momentan aber nicht genutzt,“ sagte Lang. So würden Angebote in den Bereichen Bekleidung, Foto oder Sport einfach nicht existieren.

Diese Lücken soll das Forum Killesberg schließen. Dort werden nach den bisherigen Planungen insgesamt 5.700 Quadratmeter Ladenfläche neu entstehen. Neben einem Vollsortimenter mit einem breiten Warenangebot sollen kleinere Fachhandelsgeschäfte den Bedarf decken. Die Geschäftsleute an den existierenden Standorten sehen diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Zwar ist der Stuttgarter Norden weit davon entfernt, als sozialer Brennpunkt zu gelten, bei dem jede Geschäftsschließung als Vorbote einer schleichenden Verelendung gedeutet wird. Leerstand von Läden ist am Killesberg unbekannt. Trotzdem will man vorbeugen. Die Helfferichstraße wird schon in Kürze durch die Schaffung von Parkplätzen auf dem Mittelstreifen und weiterer Maßnahmen aufgewertet. Vor der Brenzkirche soll eine platzähnliche Situation entstehen, die dann die Birkenwaldstraße direkt mit dem Forum Killeberg verbinden soll. Lang verwies auf die positiven Erfahrungen, die man zum Beispiel am Cannstatter Carree gemacht habe. Dort waren die Besorgnisse der angrenzende Geschäfte zu Beginn groß, aber nach drei Jahren könne man feststellen, dass sich die Kundenfrequenz auch in den anliegenden Straßen merklich erhöht habe. Leerstand gibt es dort jetzt keinen mehr. Außerdem werden durch die am Killesberg geplante Wohnbebauung auch 1.000 neue Einwohner für eine Erhöhung der Nachfrage sorgen.

Für die Geschäftsleute im Bezirk bieten sich sogar neue Chancen, denn die Stadt will dafür sorgen, dass diese im Stadtteilzentrum eine exklusive Zugriffsmöglichkeit auf die neuen Läden erhalten, um ihre Geschäftstätigkeit eventuell auszudehnen. Da sei man in guten Gesprächen mit dem Betreiber. „Der wird auf Sie zukommen,“ kündigte Lang an. Der ebenfalls anwesende Stadtteilmanager Torsten von Appelt gab den Geschäftsleuten denn auch den Rat, sich besser zu organisieren. „Die Stadt braucht starke institutionelle Ansprechpartner, um über Defizite zu reden,“ sagte er. Der Wille, mit vereinzelten städtebaulichen Maßnahmen die alten Standorte zu stärken, ist auf jeden Fall vorhanden. Ob das neue Forum allerdings die von der CDU-Vorsitzenden Kluxen-Pyta gewünschte Kommunikation der Bewohner untereinander verbessern kann, muss die Zukunft zeigen, wenn die Killesberger den offen gestalteten Stahl-und-Glas-Bau mit Leben erfüllen.

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Neues Stadtteilzentrum soll Standort Killesberg stärken

Plädoyer eines glühenden Europäers

Vor der Schwäbischen Gesellschaft zeichnete Erwin Teufel am Dienstag Abend in einem einstündigen Vortrag ein zwiespältiges Bild vom Zustand und Zukunft der Europäischen Union. Die 300 anwesenden Honoratioren waren trotzdem begeistert.

„Europa in eine bessere Verfassung bringen“ – so lautet der Titel des Vortrags, den der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel am Dienstag Abend in der BW-Bank am Kleine Schlossplatz auf Einladung der Schwäbischen Gesellschaft gehalten hat. Vor etwa 300 Zuhörern zeichnete Teufel ein differenziertes Bild vom Zustand und Zukunft der EU und lieferte gleichzeitig ein engagiertes Plädoyer für den europäischen Einigungsprozess, an dem er selbst viele Jahre aktiv beteiligt war.

An diese Tätigkeit des „glühenden Europäers“ erinnerte in seiner Einführung auch Dietrich Dörner, der scheidende Präsident der staatsbürgerlichen Zielen verpflichteten Gesellschaft. Dörner freute sich ob der gut gefüllten, zum bestuhlten Saal umgewandelten Schalterhalle über das starke Interesse an der Veranstaltung. Nur der Vortrag von Hans Küng habe einen ähnlichen Zuspruch ausgelöst. „Aber mit dem sind Sie ja auch befreundet,“ sagte er an Erwin Teufel gerichtet. Dieser war offensichtlich bester Laune, begrüßte viele Zuhörer persönlich und trat mit einem Lächeln vor das Rednerpult.

Dort skizzierte er in einem etwa eine Stunde dauernden, rhetorisch brillianten Vortrag seine Sicht des europäischen Verfassungsprozesses. An diesem Grundgesetz, das zu Teufels Bedauern wohl nicht mehr zustande kommen wird, hatte er im Verfassungskonvent als Vertreter für die deutschen Bundesländer selbst mitgearbeitet und konnte den Zuhörern daher aus erster Hand fundierte Einschätzungen der Lage vermitteln. Diese ist nach seiner Meinung nicht gut, aber auch nicht aussichtslos. Dreh- und Angelpunkt von Teufels Kritik ist die überbordende Aneignung von Kompetenzen durch die Europäischen Institutionen auf Grund der fehlenden Durchsetzung des Prinzips der Subsidiarität.

Dieses Modell der Verteilung staatlicher Macht, Teil der katholischen Soziallehre, beruht auf der Grundannahme der Selbstverantwortlichkeit des Individuums. Nur wenn der Einzelne sich auf Grund widriger Umstände nicht selbst versorgen könne, dürfe er auf gemeinschaftlich organisierte Hilfe zurückgreifen. Angewandt auf die Organisation staatlicher und transnationaler Institutionen brachte es Teufel auf eine einfache Formel: „Was unten geht, soll auch unten gemacht werden.“ Die schwäbischen Städte wüssten bei vielen Dingen, wie es geht, ebenso das Land oder die Bundesrepublik. Europäische Handlungsfelder sieht Teufel daher vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik, bei technologisch herausfordernden Großprojekten und bei der Schaffung einer europäischen Identität, die sich aus dem gemeinsamen Kulturerbe der klassischen Antike, des Christentums und der Aufklärung zusammensetze.

Trotz aller Kritik im einzelnen verkündete Teufel aber sein unverbrüchliches Credo: „Jeder, der bei Verstand ist, ist Europäer!“ Die versammelten Honoratioren aus Wirtschaft, Politik und Kultur waren jedenfalls begeistert, wie sich am mehr als freundlichen Schlussapplaus und der aufgeräumten Stimmung beim anschließenden Viertele mit Brezeln ablesen ließ.

[Der Artikel ist am 10. Oktober 2007 in der Stuttgarter Zeitung erschienen]

Plädoyer eines glühenden Europäers