Wissenschaftler und Naturschützer suchen Wege zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik
Die Umweltprobleme, die mit der massenhaften Mobilität einhergehen, sind bekannt. Diese können nur durch eine nachhaltige, die begrenzten Ressourcen schonende Verkehrspolitik vermieden werden. Wie das geschehen kann, darüber haben Experten auf einem Zukunftstag des Landesnaturschutzverbandes diskutiert.
Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Flächenverbrauch und klimaschädigende Emissionen sind nur einige Probleme, die sich aus dem hohen Grad der Mobilität ergeben, den die entwickelten Industriegesellschaften erreicht haben. Was getan werden muss, um der sich zuspitzenden Lage Herr zu werden, und wie eine nachhaltige Mobilität erreicht werden kann, dazu wollte der 9. Zukunftstag des Landesnaturschutzverbandes, der am Samstag im Haus der Architekten stattfand, einen Beitrag leisten. Einschlägige Wissenschaftler und Experten skizzierten in Vorträgen ihre Thesen und diskutierten verschiedene Lösungsansätze. In diese nach eigener Aussage „Höhle des Löwen“ hatte sich auch Johannes Schmalzl gewagt, Regierungspräsident des Regierungsbezirks Stuttgart, und somit von Amts wegen verantwortlich für viele umstrittene Straßen- und Verkehrsprojekte in der Region. Auch für Schmalzl stand die Notwendigkeit außer Frage, die Mobilitätspolitik an den Kriterien der Nachhaltigkeit auszurichten. Probleme sieht er allerdings in dem Weg, wie man dahin kommen kann. Als Beispiel aus seinem Arbeitsalltag führte er eine Gemeinde im Landkreis Böblingen an, die sich eine Umgehungstrasse wünscht, um für die Bewohner die Verkehrsbelastungen zu verringern. Dafür soll im Gegenzug eine dann überflüssige Straße zurückgebaut werden. Die Proteste seien enorm, berichtet Schmalzl. „Die Menschen geben keinen Quadratmeter Straße mehr her,“ sagte er. Man müsse daher die Bürger mitnehmen, sonst laufe man Gefahr, dass diese sich dem politischen Extremismus zuwenden.
Über Lösungswege waren sich denn die Experten auch nur in einem Punkt einig: Es muss an der Kostenschraube für Mobilität gedreht werden, sonst wird sich das zerstörerische Verhalten nicht ändern. So sei zum Beispiel der Güterfernverkehr bis zu 90 Prozent subventioniert, was nur wenigen Großunternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffe. Eine Kostenwahrheit müsse daher auf allen Ebenen her, so die Mehrheit der Teilnehmer. Streitpunkt war dabei allerdings, ob dieses auch für den Öffentlichen Nahverkehr gelten soll. „Der ÖVPN ist nicht so grün, wie er tut,“ sagte Markus Friedrich, Verkehrswissenschaftler an der Universität Stuttgart. Auch Busse und Bahnen verbrauchten erhebliche Mengen an Energie. Deshalb empfahl Friedrich hier auf technische Lösungen zu setzen und weniger auf eine wenn auch wünschenswerte Änderung des Verhaltens der Menschen.
Die ist dennoch dringend geboten, denn die Prognosen sagen übereinstimmend eine gewaltige Zunahme des LKW- wie des PKW-Verkehrs voraus. Angesichts dieser Horrorszenarien warnten mehrere Teilnehmer vorsorglich vor der Arroganz der Nachhaltigkeitsstrategen. Eine Ökodiktatur, die den Menschen ohne demokratische Legitimation vorschreibe, wie sie sich zum Wohle aller zu verhalten hätten, sei keine Option. Auch auf einen Bewusstseinswandel zu setzen, wenn man die Bürger direkt mit den Problemen konfrontiere, sei nicht gangbar. „Es kann nicht sein, dass wir uns über jeden Stau freuen, weil die Menschen dann angeblich bemerken, wie bescheuert sie sich verhalten,“ sagte der Regierungspräsident. Dass es zu schmerzhaften Veränderungen im Mobilitätsverhalten kommen muss, stand für Martin Schrein von der Forstlichen Versuchs- und Forstanstalt Baden Württemberg außer Frage. Eine Zäsur in der Verkehrspolitik sei dringend notwendig und irgendwann müsse entschieden werden, wer welche Nachteile in Kauf zu nehmen habe. Es komme dabei auf die richtige Dosis an, die verabreicht wird, um eine nachhaltige Mobilität zu schaffen. Diese Dosis bestehe aus vielen kleinen Maßnahmen, wie zum Beispiel einem umfassenden Mautsystem und einer Änderung der Wohnungspolitik, die die Familien nicht mehr in die zersiedelte Peripherie drängt und noch mehr Verkehr erzeugt. Eines stellte Reiner Ehret vom Landesnaturschutzverbund aber klar: „Wir brauchen keine neuen Straßen sondern neue Wege, um die Verkehrsprobleme der Zukunft zu lösen.“ Dem zuzustimmen, fiel auch Schmalzl nicht schwer, allerdings sind seine Erfahrungen mit konkreten Projekten in der Region eher durchwachsen. Wenn er unterwegs sei, sehe er in vielen Gemeinden große Schilder, auf denen zu lesen sei, dass man dringend eine Umgehungsstraße brauche. Sich dann auf einer Bürgerversammlung hinzustellen und zu sagen „Nein, die kriegt ihr nicht!“, da wünsche er jedem viel Glück.
[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]