Wo die schönen Bilder sind: www.flickr.com

Die digitale Revolution der Fotografie ist fast vollzogen. Inzwischen sind 90% aller verkauften Apparate digitale Geräte und die meisten Handys haben integrierte Kameras. Das Aufnehmen von Bildern ist so billig wie nie geworden und es geschieht massenhaft. Das ist aber nur der erste Schritt. Der nächste findet mit Fotoportalen im Internet statt.

Fotos bleiben digital

Überall und jederzeit wird fotografiert. Aber wo bleiben all die Millionen Bilder, die tagaus tagein geknipst werden? Noch werden brav Papierabzüge bestellt oder es wird ausgedruckt – zum Lagern in Kartons oder Klebealben. Aber auf der Ausgabeseite zeichnet sich eine völlig andere Entwicklung ab: Die Fotos bleiben digital. Der Medienbruch löst sich auf.

www.flickr.com

Diese Entwicklung ist nur logisch, denn zur digitalen Kamera gehört fast symbiotisch der Computer. Erstmal verkabelt werden am Monitor die Fotos gesichtet und für die Reproduktion ausgewählt. Die entscheidende Weiterentwicklung ist die Veröffentlichung von Fotos im Internet. Online-Portale, die das anbieten, gibt es inzwischen dutzendweise. Kostenlos kann man Bilder hochladen, zu Alben zusammenstellen und festlegen, wer die Fotos anschauen darf. Einen entscheidenden Schritt weiter geht der 2002 von der kanadischen Firma Ludicorp gegründete Dienst Flickr (www.flickr.com). Mit inzwischen über zwei Millionen Nutzern weltweit und und fast 100 Millionen Bildern hat sich Flickr – zu deutsch etwa „Flackern“ – zur größten Foto-Community im Internet entwickelt.

Der Erfolg der Kommunikation

Der Erfolg von Flickr beruht zum einen auf der smarten Benutzeroberfläche, die ohne grafische Extravaganz auskommt und mit minimalen Englischkenntnissen bedient werden kann. Zum anderen gibt es viele kommunikative Funktionen, die aus einem einsamen Knipser das geachtete Mitglied einer weltweiten Gemeinschaft von Fotoenthusiasten machen. Wichtigste Flickr-Funktion ist die Möglichkeit, die eigenen Bilder mit Schlagworten zu versehen, englisch „tags“ genannt. Jedes Mitglied kann mit deren Hilfe Bilder von Nutzern aus aller Welt betrachten, die unter dem gleichen Schlagwort veröffentlicht wurden. Außerdem können fremdem Bildern Schlagworte hinzugefägt werden. Daraus entstehen dann ganz neue Bedeutungszusammenhänge.

Je nach Häufigkeit der verwendeten Schlagworte bildet Flickr anklickbare Begriffswolken oder auch Cluster von Schlagworten, die zusammenhängend verwendet werden. Damit nicht genug: Es wird angezeigt, wie oft die eigenen Bilder aufgerufen werden. Bilder fremder Fotografen können kommentiert werden. Es gibt Ranglisten mit den am häufigsten aufgerufenen oder kommentierten Fotos. Man kann frei thematische Gruppen bilden, zu denen jedes Mitglied Fotos beisteuern kann. Andere Mitglieder werden als bevorzugte Kontakte bestimmt, deren aktuelle Fotos beim Betreten der Webseite angezeigt werden, und vieles andere mehr. Der nahezu werbefreie Basisdienst ist selbstverständlich kostenlos und nur durch eine Beschränkung auf 200 neue Fotos pro Monat begrenzt. Wer mehr will, der abonniert den Pro-Service für 20 € pro Jahr. Und vergisst über dem Flackern der Welt seine Fotoalben in der Schublade…

 

[Der Artikel wurde im März 2006 in der Stuttgarter Zeitung veröffentlicht.]

Wo die schönen Bilder sind: www.flickr.com

Stuttgarter Weblogs 2006: Stimmen der Stadt

 

In Stuttgart werden täglich Weblogs mit Meldungen, Meinungen und Mitteilungen befüllt. Ein Rundgang durch die hiesige Blogosphäre.

Ein Weblog kann jeder mit ein paar Klicks beginnen. Vielleicht 2.000 Internetnutzer aus der Region Stuttgart haben dies bisher getan, denn Bloggen ist einfach. Bloggen kann jeder, der einen Internetanschluss hat und eine Datenmaske ausfüllen kann. Technische Kenntnisse braucht es kaum und Anbieter, bei denen man gratis ein Weblog anlegen kann, gibt es inzwischen dutzendweise. Die meisten dieser Blogs kranken allerdings an der Frage: Was schreiben? Denn bei den meisten Schreibern handelt es sich um junge Leute, die oft nicht mehr zu sagen haben, als dass sie sich gerade langweilen und nicht wissen, was sie schreiben sollen. Die allermeisten Blogs sind denn auch Totgeburten, werden nicht weitergeführt und stehen als Datenmüll im Internet. Wenn man diese Spreu vom Weizen getrennt hat, stößt man jedoch auf eine wachsende Zahl von Blogs, die von (halb-)professionellen Autoren geführt werden oder literarisch ambitioniert sind. Deren Lektüre lohnt dann wirklich, weil sie Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnen, die man sonst nicht so einfach erhält. Denn Blogs sind per definitionem radikal persönlich, was den entscheidenden Reiz ausmacht.

 Poodlepop (www.poodlepop.net) und Rabenwerk (www.rabenwerk.de) gehören in diese Kategorie. Zwar wird nicht jeden Tag veröffentlicht, aber beide Blogger haben sich inzwischen mit sehr lesbaren Texten in die erste Liga der deutschen Blog-Landschaft geschrieben. Unter dem Motto „Der weite Weg vom Hundersten ins Tausendste“ werden bei Poodlepop alltägliche Begebenheiten und Auffälligkeiten sarkastisch kommentiert. Oder eine Liste der „schlimmen Städte“ veröffentlicht (Sindelfingen, Böblingen, Singen). Stuttgart ist übrigens nicht dabei, wird ganz im Gegenteil im Kommentarteil sogar heftigst verteidigt. Nicht alles ganz so ernst gemeint, aber nett zu Lesen. Bei Rabenwerk hingegen geht es ernster zu, denn die Bloggerin schreibt anspruchsvolle Kurzgeschichten von einiger Qualität.

Eine neue Entwicklung sind Stadtblogs, also Angebote, die sich thematisch auf die Stadt konzentrieren, aus der die Autoren kommen. „In einer Stadt mit knapp 600.000 Einwohnern muss es doch tausende von verschiedenen Meinungen, Sichtweisen und Positionen geben. Die sollen sich äußern können.“ sagen Ralf Schmid und Diana Wagner von der Stuttgarter Agentur 6B Neue Medien und setzen auf das Mitteilungsbedürfnis normaler Großstadtbewohner. Deshalb haben sie vor ein paar Monaten www.stuttgart-blog.net gegründet. Sie verstehen sich dabei als Katalysatoren und wollen die notwendige Kontrolle bald möglichst wieder abgeben. Eigene Texte veröffentlichen kann hier jeder, der sich zuvor per E-Mail angemeldet hat. Etwa 20 Autoren schreiben inzwischen regelmäßig Beiträge oder Kommentare. Meist handelt es sich um Erlebnisse aus dem Alltag. Berichte über Probleme mit dem Kabelfernsehen stehen neben Weihnachtsfantasien, Gedichten, Ärger mit der Bahn oder Meinungen zum Tunneldeckel an der Kulturmeile – alles sehr persönlich, komplett unausgewogen und von unterschiedlicher Qualität. Die Kosten für die technische Infrastruktur halten sich in Grenzen, sodass 6B nicht daran denkt, Werbung auf die Seiten zu holen.

Das ist bei dem Blognetzwerk www.medienrauschen.com von Thomas Gigold aus Ludwigsburg anders. Gigold ist Netzpionier, Mitbegründer des renommierten Blogs www.medienrauschen.deund Betreiber mehrerer Newsblogs, z.B. von gadgetmania.de, bei dem eine handvoll Schreiber Nachrichten um merkwürdige technische Produktneuheiten kolportieren. Ganz aktuell hat Gigold ein neues Stadtblog ins Leben gerufen, das sich der Region Stuttgart widmet: www.stuttgart-leben.de. Schreiben wird ein fester Stamm professioneller Autoren über und aus der Region. Finanziert werden soll das Ganze durch Werbung. Oliver Gassner aus Vaihingen/Enz gehört zum Team und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Blogging-Phänomen. Neben seinem eigenen Blog – www.typo.twoday.net – betreibt er mit Schriftstellern und literarisch Interessierten aus Baden-Württemberg das litblog.literaturwelt.de. Neben Infos zu Lesungen und aus der Literaturszene sowie neuen Texten gibt es Rezensionen aktueller Publikationen. Sehr ernsthaft das Ganze wie z.B. auch das Blog des Stuttgarter Kulturjournalisten Jürgen Hartmann, der klassische Konzerte, Opern und Ausstellungen kommentiert kulturchronist.blogger.de).

 

Das ist bei den meisten privaten Stuttgarter Blogs ganz anders. Viel Ironie und Sinnfreies kann man hier lesen wie zum Beispiel bei monsterfrosch.blogg.de, in dem ein wöchentliches Foto den Inhalt eines öffentlichen Paperkorbs im Rosensteinpark dokumentiert – eine wunderbare Chronik der Alltagskultur von ganz unten. Auch bei Jan Theofel, IT-Unternehmer aus Zuffenhausen, ist alles sehr persönlich. In „Jans Küchenleben“ (www.theofel.de) kann man private Kochversuche verfolgen, mit Rezepten und Fotos der fertigen Gerichte. Aus seinem wechselvollen Studentenleben berichtet täglich Henrik Holzhausen (www.vcinfo.blog.de) inklusive Kneipentouren, WG-Leben und Lieblingsmusik. Das alles sind aber nur Beispiele aus der sehr vielfältigen Stuttgarter Blogosphäre. Wer mehr Stimmen der Stadt entdecken möchte, geht auf eine der Blogsuchmaschinen (z.B. bei Blogsuch von Googleoder Technorati), tippt “Stuttgart” ein und lässt sich überraschen.

[Der Artikel entstand Anfang Januar 2006 und wurde veröffentlicht in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 25.01.2006]

 

Stuttgarter Weblogs 2006: Stimmen der Stadt

Stuttgarter Blogger: Globaler Stammtisch in 60 Millisekunden

Weblogs, diese kurz „Blogs“ genannten persönlichen Internet-Tagebücher, machen Furore. Auch in der Region Stuttgart sind einige Netzenthusiasten als aktive Blogger am Werk. LIFT-Autor Dirk Baranek hat sich der hiesigen Blogosphäre umgesehen und war auf einem Blogger-Treffen in Vaihingen an der Enz.

Durch die leergefegten Gassen der abendlichen Vaihinger Altstadt wehen dörfliche Gerüche. Auf dem Marktplatz liegt eine Sandfläche verlassen da – inzwischen macht wohl jedes Kaff auf Paris Plage – ein paar Jugendliche produzieren sich lautstark bei Cola, Eis und Bier. Hier soll das Epizentrum der Stuttgarter Bloggerszene sein, dem zurzeit größtem Internet-Hype?

Zwischen 60 bis 250 Tausend Weblogs – je nach Zählweise – soll es in deutscher Sprache inzwischen geben und auch in der Region Stuttgart wächst die Zahl der Internet-Tagbücher jeden Tag. Bloggen ist einfach. Bloggen kann jeder, der am Computer ein Formular ausfüllen kann. Blogs sind persönlich. Blogs können deshalb sehr spannend sein und zu oft ziemlich langweilig – „…gebloggt wird in 90% der Fälle sowieso immer das selbe„, schreibt der Stuttgarter Kommunkationsdesigner Andreas Mayer in seinem – Stuttgarts erstem? – Blog www.anarchiv.com/p/weblog).

Oliver Gassner hat mit der Masse kein Problem: „99,9 % aller Bücher, die erscheinen, lese ich ja auch nicht.“ Gassner hat zum monatlichen Bloggertreffen „BlogMeetSKa“ im Gasthaus Engel geladen und ist seit Jahren im Netz aktiv, als Pädagoge, Journalist, Berater und bezahlter Profi-Blogger. Inzwischen entdecken immer mehr Freiberufler und Unternehmen das Marketing-Potenzial der Blogosphäre, wie sich die internationale Blog-Gemeinde selbst bezeichnet. Zum Teil beruht dieser Effekt auf dem Google-Prinzip: Wer am häufigsten durch andere Webangebote verlinkt ist, der rutscht bei der Trefferanzeige nach oben. Der Reiz des Bloggens liegt also an der starken Vernetzung: Die Tatsache, dass ein neuer Beitrag veröffentlicht wurde, wird automatisch an die gesamte Bloggerwelt gemeldet. Andere Blogger lesen mit, haben das Blog abonniert, kommentieren Beiträge, verlinken und analysieren: Wie Wellen gehen News und Meinungen durch das Internet. Die Konsequenz ist starker Verkehr auf den Ausgangsseiten, die den ersten Stein ins Wasser geworfen haben und nebenbei sich selbst, ihre Produkte und Dienstleistungen bekannt machen.

Letzeres versucht Thomas Gigold (   www.gigold.de) aus Ludwigsburg mit seinen Projekten. Angefangen hat er mit einem klassischem Tagebuchblog zu Zeiten seelisch bedrückender Arbeitslosigkeit. „Bloggen hat sich bei mir dann verselbstständigt„, gibt er unumwunden zu. Mit Gadgetmania, ein News-Blog zu seltsamen Geräten, und Space42, einem Portal für anspruchsvolle Netzprojekte, versucht er sich jetzt als Medienunternehmer. Auch Jan „UMTS“ Theofel (   www.theofel.de) aus Feuerbach sieht bloggen als Chance, seine Kompetenzen schnell und billig zu kommunizieren. Er betreibt einen IT-Technik-Blog und hat gute Erfahrungen damit gemacht. „Ich habe bereits vier Monate, nachdem ich mit dem Blog begonnen habe, die ersten Anfragen von Kunden erhalten, die zu dem Thema einen Dienstleister suchten.

Für Frank „dev“ Scholz ist das Ganze ein rein privates Vergnügen www.netzflocken.de). Er ist seit 1992 im Netz, kommt aus der IT-Branche und betont die kommunikative Kraft an dem ganzen System: „Die Blogger-Welt ist ein globaler Stammtisch in 60 Millisekunden.“ Allerdings bezieht sich das nicht unbedingt auf politische Diskussionen. „Das Feld des politischen Blogs wird in Deutschland bisher nicht bestellt – anders als in den USA. Die Leute hierzulande scheuen offensichtlich, sich öffentlich klar zu positionieren.

Angesichts der Masse von Angeboten kann keiner einen thematischen Schwerpunkt feststellen – für jedes Nischenthema gibt es inzwischen einen Blog. Allerdings ist man sich einig, dass Blogs den Charme des realen, nicht immer perfekten Lebens haben müssen: authentisch, persönlich, ehrlich. „Viele haben Angst, dass die gesamte Blogosphäre über sie herfällt, wenn sich herausstellt, dass sie da irgendeinen Mist geschrieben haben„, meint Gassner, auch deshalb begeben sich manche in die Anonymität. Scholz pflichtet bei: „Anonyme Blogs sind für einige Leute ein Ventil, um z.B. über ihren Boss herzuziehen, und dann mag das durchaus Sinn machen.“ Aber Achtung: Wie der Fall der Mannheimer CDU-Funktionäre zeigt, die unter verschiedenen Pseudonymen üble Beleidigungen im Forum des Mannheimer Morgens veröffentlicht haben, ist es mit der Anonymität ganz schnell vorbei.

 Gassner ist trotzdem eine Feststellung wichtig: „Das Internet verbindet eben Menschen und nicht Maschinen.“ Einige dieser Spezies haben ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis und breiten ihre emotionalen Hochs und Tiefs vor der ganzen Welt aus. Folgerichtig gibt es jetzt einen US-Dienst (www.bloginspace.com), auf dem man sein Blog anmelden kann und der neue Einträge ins All sendet. Aus dem mittelalterlichen Gasthof an der Enz in die unendlichen Weiten des Raums: Ich blogge, also bin ich!

[Der Artikel entstand im Juli 2005 und wurde veröffentlicht in LIFT 09/2005]

Stuttgarter Blogger: Globaler Stammtisch in 60 Millisekunden