Anneliese Rothenberger: „Ich hatte nie Pläne!“

Anneliese Rothenberger hat sich am Montag Abend in Riedenberg die Ehre gegeben und erzählte aus ihrem Leben

Sie war der große Publikumsliebling der Fünfziger und Sechziger und verzauberte mit ihrer Stimme Opernfans auf der ganzen Welt. Auf Einladung der CDU Sillenbuch war die Kammersängerin im Augustinum zu Gast. Zwei Stunden erzählte sie aus ihrem bewegten Leben.

Am Schluss wurde dann doch noch live gesungen. Zwar nicht vom Star des Abends selbst, denn anders als viele Schlagersternchen ist Anneliese Rothenberger ein absoluter Gesangsprofi mit höchsten Ansprüchen an sich selbst. Ihr Rücktritt von der Bühne vor 20 Jahren war endgültig. Stattdessen hörte das Publikum im vollbesetzten Theatersaal des Agustinums in Riedenberg den österreichischen Bariton Markus Volpert, der Lieder von Lortzing, Mozart und Strauss intonierte. Es war der stimmige Abschluss der von der CDU Sillenbuch durchgeführten Veranstaltung, in deren Verlauf man eine erzählfreudige, agile, 82 Jahre alte Dame erleben konnte, die in bester Laune und voller Humor aus ihrem Leben berichtete.
  

Eigentlich hätte sie schon im Oktober nach Stuttgart kommen sollen, aber ein Sturz im häuslichen Schwimmbecken machte den Auftritt unmöglich. „Ich habe einen gigantischen Salto hingelegt,“ sagte sie, der aber zum Glück glimpflich ausging. Die großen, schwarzen Blutergüsse im Gesicht wollte die in zartem hellblauen Kostüm erschienene Sängerin ihrem Publikum dann aber doch nicht antun. Inzwischen weitestgehend wiederhergestellt nahm sie auf der Bühne neben Stefan Kaufmann, Vorsitzender der CDU-Sillenbuch, auf einem weißen Sofa Platz, das in seiner ausladenden Größe ihre schlanke Zierlichkeit noch unterstrich. Nur ab und zu unterbrochen von kurzen Videoeinspielern, die sie im Duett mit Weltstars wie Hermann Prey, José Carreras oder Placido Domingo zeigten, plauderte sie drauflos und kam detailgenau von einer Anekdote zur anderen. „Jetzt habe ich mich wieder verfranst,“ bemerkte sie selbst, aber das störte an diesem Abend niemanden.

So erfuhr das Publikum, dass die gebürtige Mannheimerin aus einfachsten Verhältnisse stammt, und sogar noch den Dialekt der Geburtsstadt beherrscht, allerdings die bürgerliche Variante. „Das ordinäre Mennhemmerisch haben wir nie gesprochen,“ sagte sie. Die schon beginnende Gesangsausbildung, die sie nur mit einem Stipendium absolvieren konnte, ging beinahe im totalen Krieg zu Ende, wäre da nicht die Landverschickung gewesen. Dort lernte sie eine im Inkognito lebende Hamburger Jüdin kennen. Diese Bekanntschaft stellte sich nach Kriegsende als Glücksfall heraus, denn die Dame führte sie in die Hamburger Kreise ein, wo sie schnell an der dortigen Oper Fuß fasste. Und nicht zuletzt ihren späteren Mann kennenlernte, den 1999 verstorbenen Gerd Wendelin Dieberitz. Ohne ihn, so Rothenberger, der seinen Beruf für sie aufgegeben habe, hätte sie die nun folgende Weltkarriere nie geschafft.

Die Stationen diesen Lebens mit der Musik sind denn auch beeindruckend: umjubelte Auftritte in New York, Mailand und Buenos Aires, Tourneen durch die ganze Welt, Engagements an allen großen Häusern. Doch all diese Erfolge, das machte der gestrige Abend klar, sind ihr nicht zu Kopf gestiegen. Offenbar wusste die Rothenberger immer die Stärken und die Schwächen ihrer Stimme einzuschätzen und dem entsprechende Angebote anzunehmen oder auch abzulehnen. Vorsicht, Bescheidenheit und Liebe zum Publikum – Eigenschaften, die einen großen Künstler ausmachen.

Beinahe hätte diese Karriere sie auch an die Stuttgarter Oper geführt, ein Angebot lag vor. Aber das hat sie dann recht gewieft dem Hamburger Intendanten gesteckt, der erstmal die Gage für das nächste Jahr kräftig anhob, denn die Stuttgarter hatten ihr glatt das Doppelte geboten. So geht es an diesem Abend von einer Episode zur nächsten, von den Beifallstürmen in der Sowjetunion – „ein unglaubliches Publikum“ – bis zu den ersten Fernsehauftritten. Letzteres habe sie zwar ganz gerne gemacht, aber das Format entwickelte sich etwas anders als zunächst vorgesehen, sodass sie nur ihren Vertrag über 12 Sendungen erfüllte. 1989 war dann endgültig Schluss, auch mit den geliebten Liederabenden. Nach einer Krebserkrankung zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück und widmete sich Freundschaften, Büchern und der Malerei. Dass bei Ausstellungen regelmäßig die meisten ihrer Bilder verkauft werden, beurteilt sie mit mildem Lächeln: „Das beruht doch auf meinem Sängerinnenruhm.“

Fast etwas verwundert, so scheint es, blickt sie auf ihr Leben, in dem ihr fast alles zugeflogen sei: „Ich hatte nie Pläne!“ Aber wenn die Chance da war, habe sie gekämpft im Beruf. Das Publikum in Riedenberg war jedenfalls begeistert, die Zahl der überreichten Blumensträuße zweistellig. Vielleicht lag das auch daran, dass man sich bei einem Thema sehr einig war: Die moderne Oper ist eine Katastrophe. „Die Sänger sind sicher gut, aber bei den Regisseuren fasse ich mich an den Kopf,“ sagte sie unter Beifallsstürmen. „Das war doch früher alles viel schöner!“

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

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