Blindgänger ohne Probleme entschärft

700 Anwohner mussten bei der weiträumigen Evakuierung rund um den Unteren Schlossgarten am Sonntag Vormittag ihre Wohnungen verlassen. 

Die Entschärfung einer nicht detonierten, 500 Kilo schweren Sprengbombe aus amerikanischer Produktion verlief am Sonntag zwischen acht und elf Uhr im Unteren Schlossgarten ohne Probleme. Bereits nach 10 Minuten hatte das Team der Kampfmittelbeseitigung den Zünder entfernt. 

Günther Goedecke macht einen leicht genervten Eindruck. Der Teamchef der Kampfmittelbeseitigung Baden-Württemberg hat ständig mit den Überresten des Bombenkriegs zu tun, steht jetzt neben den rotbraunen Erdhaufen im Unteren Schlossgarten und muss den anwesenden Pressevertretern mal wieder ein Interview nach dem anderen geben. Etwas zerknirscht beantwortet er die immer gleichen Fragen. Wie viele Sprengkörper er schon entschärft hat, kann er nicht sagen. Diesmal verlief jedenfalls alles nach Plan. Schon seit Anfang März war bekannt, dass unter der Grasnarbe in fünf Meter Tiefe ein 500 Kilogramm schwerer Blindgänger liegt. Bei erneuten Auswertungen von Luftaufnahmen im Zusammenhang mit den Planung für Stuttgart 21 war man der nicht detonierten Sprengbombe auf die Spur gekommen. Schätzungsweise zehn bis fünfzehn Prozent der von den alliierten Bomberkommandos über der Stadt abgeworfenen Spreng- und Brandbomben haben ihren zerstörerischen Auftrag damals nicht erfüllt, sondern sind einfach im Boden verschwunden. Bei den 54 Luftangriffen, die im Zweiten Weltkrieg fast 4.500 Stuttgarter das Leben kostete, fielen etwa 12.000 Sprengbomben und 130.000 zwei Kilogramm schwere Brandbomben auf die Stadt. Zwar wurden schon während des Krieges und in den ersten Jahren nach dessen Ende viele der Blindgänger entschärft und abgeräumt, oft aber auch einfach nur die Einschlagtrichter zugeschüttet. Wegen ungenauer Dokumentationen gestaltet sich die Suche nach so viel Jahren schwierig. Im Zusammenhang von Bauarbeiten werden daher immer wieder Bombenfunde gemacht. So wurde zuletzt am 5. März diesen Jahres eine Phosphorbombe in Stuttgart-Rot entdeckt.

Zu dem Großkaliber im Unteren Schlossgarten hatte das Räumkommando sich mit dem Bagger bereits am Samstag Zugang verschafft und erstmal ein Problem mit dem Grundwasser. „Wir mussten die Bombe etwas nach oben verlagern, um aus dem Wasser rauszukommen,“ sagt Goedecke. Die feuchte Lagerung stellt an sich kein Sicherheitsrisiko dar, denn ohne Luftzufuhr rosten die Zünder wesentlich langsamer durch. Gefahr für die Öffentlichkeit hat also vorher zu keiner Zeit bestanden. Nur das Entschärfen ist im Wasser natürlich nicht so angenehm. Gegen 10.30 Uhr konnte Goedecke dann seinen Schraubenschlüssel ansetzen, um den defekten Zünder herauszudrehen. Zu dem Zeitpunkt vermeldete die Polizei, die mit insgesamt 300 Beamten im Einsatz war, die komplette Evakuierung der Häuserblocks zwischen Neckarstraße und Cannstatterstraße. Die 700 Anwohner dort waren schon vor Wochen über die Aktion informiert worden und verließen freiwillig ihre Wohnungen. Etwa 40 fanden sich in einer Sammelstelle in Stuttgart-Ost ein. Außerdem war der Zugverkehr zwischen dem Hauptbahnhof und Bad Cannstatt eingestellt und der Untere Schlossgarten zwischen Neckartor und Mineralbäder mit roten-weißem Absperrband abgeriegelt. Die weiträumige Absperrung war notwendig, weil die Bombe auf der Freifläche ihre Splitterwirkung fast 1.500 Meter weit entfaltet. Selbst die obersten drei Stockwerke des SWR-Gebäudes mussten geräumt werden, da sie die angrenzenden Häuser überragen. Kein Durchkommen also für die von dem frühlingshaften Vormittag in den Park gelockten Spaziergänger und Freizeitradler. Gemeckert hat wohl keiner, das Objekt flößte gehörigen Respekt ein. „Die Bürger hatten alle sehr viel Verständnis,“ sagt Polizeisprecher Florian Suckel später. Widerstand gegen Räumung und Absperrungen habe es keinen gegeben.

Auch für Günther Goedecke verlief alles nach Plan und wider Erwarten völlig reibungslos. „Es war kein schwieriger Fall. Jetzt bin ich erleichtert, dass ich mir keinen Finger geklemmt und nicht auf den Daumen gehauen habe,“ sagt er etwas verschmitzt. In die Grube war er zusammen mit einem Kollegen gestiegen und bereits nach zehn Minuten fertig. Um 10.42 Uhr konnte die Polizei Entwarnung geben. Da baumelte die überdimensionale schwarz-braune Stahlzigarre scheinbar harmlos an der Baggerschaufel. Warum der entfernte Aufschlagzünder, der etwa so groß wie eine Tube Zahncreme ist, versagt hat und die 250 Kilogramm Sprengstoff nicht zur Detonation brachte, wird unbekannt bleiben. Meistens handele es sich um mechanisches Versagen, sagt einer aus Goedeckes Team, oder Sabotage. Die Bombe wird dann mit vereinten Kräften auf einen Schlitten gehievt und in dem Transportfahrzeug verstaut. Im Munitionslager in Sindelfingen wird sie in den nächsten Tagen ferngesteuert zersägt, der Sprengstoff schließlich verbrannt. Günther Goedecke hat jetzt Feierabend und gönnt sich in einigem Sicherheitsabstand eine Zigarette. Heute wird er noch gut zu Mittag essen und einen ruhigen Tag verleben. „Heute Nachmittag trinke ich noch eine schöne Tasse Kaffee“, sagt er zum Schluss. 

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]
Blindgänger ohne Probleme entschärft

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