Der Trend zum sozial kompatiblen Familientier

Die Tiermesse Animal hat am Wochenende viele Möglichkeiten geboten, sich über die Haltung von Tieren zu informieren  

Viele tausend Tiere und noch mehr Menschen fanden sich am Wochenende auf der Tiermesse Animal ein. Der Trend zum Haustier ist ungebrochen und geht, dass wurde bei einem Rundgang deutlich, zum wohlerzogenen, möglichst artgerecht gehaltenen Familienmitglied. 

Zunächst die gute Nachricht für alle, die es nicht unbedingt schätzen, wenn sich ihre lieb gewonnenen Bilder über die Welt da draußen ständig verändern: Die ältere alleinstehende Dame mit dem Wellensittich gibt es noch! Das bestätigt jedenfalls Erich Ernst, der am Killesberg eine Tierarztpraxis betreibt, an Hand seiner alltäglichen Erfahrungen. Am Wochenende war Ernst auf der Tiermesse Animal als eine Art Wachhabender für die ambulante Betreuung der über 5.000 vierbeinigen Teilnehmer der IRAS zuständig, der Internationale Rassehundeausstellung. Bei so vielen Tieren auf engem Raum kann es schon mal zu bissigen Ausfällen kommen. „Heute ist alles total ruhig, bisher ist nichts passiert,“ sagte Ernst.
 

Nach seiner Meinung sind die Hunde inzwischen besser erzogen. Die Diskussionen der letzten Jahre, in denen die Angriffe aggressiver Hunde die Öffentlichkeit aufschrecken ließ, hat die Halter offensichtlich nicht unberührt gelassen. Man besucht vermehrt Hundeschulen, beschäftigt sich mit der Verhaltenslehre und ist bemüht, sozial kompatible Familienmitglieder heranzuziehen. Vom Aufsammeln der Hinterlassenschaften gar nicht zu reden. Auf diese Entwicklung haben nach Ansicht von Ernst auch die Züchter reagiert. Ästhetisch vielleicht wünschenswerte körperliche Merkmale, die aber die physiologische Natur der Hunde ad absurdum führen, sind inzwischen verpönt, das Beschneiden von Schwanz und Ohren nach dem neuen Tierschutzgesetz sogar verboten. Probleme bereitet aber immer wieder die starke Nachfrage nach bestimmten neuen Rassen, die gerade mal in Mode sind. „Wenn die Nachfrage stark zunimmt, kommen die hiesigen Züchter nicht nach und es werden vermehrt Tiere aus dem Osten eingeführt, die aber oft nicht gesund sind,“ sagt Ernst.

Im Moment betrifft das den Mops, der vor allem bei jungen Leuten, die sich ihren ersten Hund kaufen, sehr beliebt ist und eine echte Renaissance erlebt. Die aktuell beliebtesten Rassen lassen sich auch ganz gut an den Zahlen der Kleinanzeigen bei Deine-Tierwelt.de ablesen, nach eigenen Angaben Deutschlands größter Tiercommunity im Internet. Labrador, Golden Retriever, Chihuahua und Jack Russel führen die Listen mit Abstand an. Drei Millionen Nutzer besuchen die Seite im Monat und suchen dort nicht nur Infos sondern auch die Möglichkeit der tierischen Selbstdarstellung, so Carolin Lohse, die das Marketing der Webseite leitet. „Bei uns ist nicht das Profil des Nutzers das Wichtigste, sondern die ausführliche Präsentation seines Haustieres,“ sagte sie. Das Tier als Ausdruck der Persönlichkeit seines Besitzers scheint ein echter Trend zu sein. Und wer will heutzutage schon als ungepflegter, schlecht erzogener, gar bissiger Mensch gelten?

Probleme scheint es allerdings verstärkt zu geben, wenn sich das Verhältnis mit dem Tier nicht so entwickelt, wie man sich das gewünscht hat. Davon kann Marion Wünne erzählen, Leiterin des Tierheim Stuttgart, das ebenfalls mit einem Stand vertreten ist. Immer mehr Menschen würden sich sang- und klanglos von ihren Tieren trennen. Besonders zu schaffen machen den Tierschützern die in freier Wildbahn ausgesetzten oder vor dem Tierheim angebundener Exemplare. „Wir kennen dann die Vorgeschichte nicht, was alles nur noch schwieriger macht,“ sagte Wünne. Sie würde sich wünschen, dass die Halter ohne schlechtes Gewissen ins Tierheim kommen, um die Kreaturen abzugeben. Beschimpft würde dort niemand. Von der Politik fordert Wünne ein Gesetz, wie es die Schweiz inzwischen hat. Dort müssen alle Tierhalter vor dem Kauf einen Tierführerschein vorlegen, um Sachkunde über die artgerechte Haltung nachzuweisen. In einigen Fällen wird man dann sogar verpflichtet, zwei Exemplare des Tieres zu halten, wenn die Einzelhaltung nicht artgerecht ist.

Während also die einen ihre tierische Anschaffung illegal entsorgen, wenn es den persönlichen Lebensumständen nicht mehr entspricht, steigt bei den anderen mit der verstärkten Identifikation der Wunsch, dieser Verbundenheit auch über den Tod hinaus Ausdruck zu verschaffen. Davon profitieren die auf der Messe mit einigen Ständen vertretenen Tierkrematorien. „Die emotionale Bedeutung des Ablebens des Haustieres wächst,“ sagte zum Beispiel Heidi Riekert vom Tierschutzzentrum Pfullingen, das in Hedelfingen einen Tierfriedhof betreibt. Erd- oder Urnenbestattungen für Hunde, Katzen, Hasen – es gibt auch hier inzwischen eine Lösung für jeden Geschmack.   

Dieses Problem stellt sich in einem aktuell boomenden Hobby nicht, das die Interessengemeinschaft Vogelspinnen Stuttgart an ihrem Stand vorstellt. In den ausgestellten Glasvitrinen befinden sich handtellergroße Exemplare, die bei den Besucher Faszination und leichten Ekel auslösten. Trotzdem kann sich der Verein nicht über Zuspruch beklagen, wie Steffen Haller vom Vereinsvorstand berichtete. Bei den monatlichen Treffen finden sich regelmäßig bis zu 60 Interessierte ein, sogar immer mehr Frauen, für Haller ein erstaunlicher Umstand. Er selbst hält in einem Zimmer seiner Wohnung etwa 300 Exemplare, die aber selbst in freier Natur nicht viel mehr Platz benötigen.    

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Der Trend zum sozial kompatiblen Familientier

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