Forscher von der Uni Hohenheim starten heute ins All

Zoologen von der Universität Hohenheim experimentieren mit Buntbarschen, um mehr über das menschliche Gleichgewichtsorgan zu erfahren. 30 Jungfische werden an Bord eines russischen Satelliten ins All geschossen.

Heute morgen beginnt für 30 junge Buntbarsche eine große Reise, die sie in die Schwerelosigkeit des Weltalls führen wird. Zunächst im Handgepäck von Reinhard Hilbig (62) und Ralf Anken (43) vom Fachbereich Zoologie der Universität Hohenheim geht es nach Moskau und zum russischen Weltraumbahnhof Bajkonur in Kasachstan.

Am 14. September, so die Planung, werden sie in einem Aquarium mit einem Satelliten in eine Umlaufbahn um die Erde befördert und kehren nach 12 Tagen zurück auf die Erde. Wo genau das sein wird, wissen die Forscher nur ungefähr. „Das Zielgebiet ist 2.000 Kilometer lang und 1.000 breit,“ sagt Privatdozent Anken. Genaueres weiß man erst kurz vor der Landung, die die kleinen Passagiere hoffentlich unbeschadet überstehen. „Uns wäre es schon lieber, wenn wir sie lebendig im Empfang nehmen könnten. Dann kriegen wir einfach noch mehr raus, wie die Entstehung der Otolithen gesteuert wird.“

Otolithen sind die kleinen Steinchen aus Kalziumkarbonat, die Wirbeltiere im Innenohr haben. Damit werden dem Gehirn über feine Häärchen Informationen zur Verortung des Körpers im Raum geliefert. Den Forschern geht es bei dem Experiment, das 2003 mit dem Unfall des Space Shuttles Columbia schon einmal gescheitert war, um die Erforschung des Gleichgewichtssinns. Das ist Grundlagenforschung, denn bisher weiß man recht wenig über einige Aspekte dieses Organs. Vor allem der Prozess der Entstehung der kleinen Steinchen ist relativ unbekannt. „Das wird wahrscheinlich vom Gehirn mit einem Enzym gesteuert, welches ein bestimmtes Ionenmillieu im Innenohr erzeugt und damit die Mineralisierung anregt,“ erläutert Anken.

Fische sind dabei ein besonders geeignetes Forschungsobjekt, weil durch den Auftrieb des Wassers die Schwerkraft nicht so stark wirkt. Darum haben die Tiere im Verhältnis zur Körpermasse einen besonders großen Stein im Ohr. Bei einem Fisch von der Größe eines Menschen entspricht das etwa einen Zuckerwürfel, während Homo Sapiens nur über ein Kristall dieses Würfels verfügt. Buntbarsche wiederum werden verwendet, weil diese eine relativ robuste Gattung sind.

Temperaturschwankungen des Wassers zum Beispiel machen ihnen in einer gewissen Bandbreite gar nichts aus. Obendrein verfügen die frisch geschlüpften Jungtiere über einen Dottersack, aus dem sie sich in den ersten Tagen selbst ernähren. „Die haben ihr Butterbrot immer dabei und müssen zunächst nicht gefüttert werden,“ sagt Anken. Den Sauerstoff erhalten sie in dem 18 Kilogramm schweren Forschungsmodul von einer Algenpopulation, die Kollegen von der Universität Erlangen beisteuern. Die Kosten für die Hohenheimer Mission betragen etwa eine Million Euro, die zum größten Teil vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und damit vom Bundeswirtschaftsministerium übernommen werden.

Welcher praktische Nutzen genau aus dem Experiment abgeleitet werden kann, ist naturgemäß noch nicht absehbar, nur um die Buntbarsche geht es den Zoologen nicht. „Die Fische sind uns egal. Wir wollen mehr über die Funktionsweise und die Entstehungsprozesse des Gleichgewichtsorgan beim Menschen herausfinden. Aus diesen Erkenntnissen können im Idealfall Therapien entwickelt werden, um Menschen mit entsprechenden Krankheiten zu helfen,“ sagt Anken.

[Der Artikel ist am 8. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Forscher von der Uni Hohenheim starten heute ins All

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