Im Rahmen einer Leseraktion lädt die STUTTGARTER ZEITUNG in diesem Jahr zu über 36 Führungen durch. Dieses Mal geht es in den Fernsehturm Stuttgart.
Er war jahrzehntelang das Wahrzeichen der Stadt, denn immer wenn ein Grafiker die Aufgabe hatte, ein Bildsymbol für Stuttgart zu entwerfen, das Modernität und Fortschritt ausstrahlt, dann war die Betonnadel mit dem charakteristischen Korb gefragt. In der letzten Zeit hat er allerdings Konkurrenz vor allem durch die neuen Museen bekommen, die Kreativen wollen halt auch mal was anderes machen. Kurzum: Der Stuttgarter Fernsehturm kommt in die Jahre, aber noch nicht aufs Altenteil, denn er wird noch gebraucht und unter Denkmalschutz steht er sowieso. Obgleich der Name an sich inzwischen leicht gelogen ist. „Eigentlich müsste er jetzt Radioturm heißen, denn es wird kein Fernsehsignal mehr ausgestrahlt,“ sagt Klaus Grabbe verschmitzt. Der ist hier Betriebsleiter und führt die 16-köpfige Gruppe durch die Betonröhre. Nichts anderes ist der Turm, wie schon bei der ersten Station eindrucksvoll klar wird. Die führt in das Fundament und auf die Bodenplatte, die die Stahlbetonkonstruktion über den Köpfen trägt.
Diese ist mit Spitze 217 Meter hoch und wiegt 1.500 Tonnen. Vom Prinzip her ist sie konstruiert wie ein Stehaufmännchen: unten dick und schwer, oben dünn und leicht. Damit das Prinzip aufgeht, sind die Betonwände der Röhre am Fundament ein Meter dick. Die runde, mit 30 Meter Durchmesser gar nicht so große Platte, auf der das Ganze am Rand und in der Kreismitte steht, ist mit Stahlträgern wie eine Radfelge konstruiert und wiegt ebenfalls 1.500 Tonnen. Dazu noch 4.000 Tonnen Füllmaterial rundrum stellen sicher, dass selbst bei stärksten Wind der Turm nicht umfällt, sondern höchstens sanft mitschwingt „Oben auf der Spitze schlägt es bis zu 1,50 Meter aus, im Turmcafé sind es noch 30 Zentimeter“, sagt Herr Grabbe und fügt beruhigend hinzu: „Das merkt man aber eigentlich kaum. Nur das Wasser im Glas wackelt ein bisschen.“
Dass man den Turm überhaupt besteigen kann, ist eine Idee des Schöpfers Prof. Fritz Leonhardt. Als man Anfang der 50er Jahr beschloss, mit einem Sendemast aus Stahl für die Versorgung des Kessels mit TV-Signalen zu sorgen, schlug er vor, doch eine Betonkonstruktion zu bauen, die auch Besucher besteigen können, natürlich gegen Entgelt. Das sollte die Kosten wieder reinbringen und so wagte man das Experiment, denn dieser Turm war der erste seiner Bauart. Die Idee war ein voller Erfolg. Die Stuttgarter standen ab Februar 1956 Schlange und schon nach fünf Jahren hatte der SWR als Bauherr und Besitzer die Baukosten amortisiert.
Nach den Grundlagen geht es mit der Besichtigung weiter per Fahrstuhl in eine Höhe von 75 Metern. Dort ist eine Plattform, auf der sich dessen Technik bewundern lässt. „Lauschen Sie mal, da hört man nix“, sagt Herr Grabbe. Tatsächlich, die zwei Kabinen rauschen lautlos vorbei und verschwinden in der Höhe der Röhre, in die man hier sehr hoch schauen kann. Angesichts einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Sekunde wirkt das leicht unheimlich. Herr Grabbe weist noch auf die Kabelstränge und Versorgungsrohre. „Nach dem Turmbrand in Moskau 2003 wurde hier alles erneuert, damit es möglichst lange oben Strom gibt und Kommunikation möglich ist.“ Allerdings sei der Stuttgarter Turm anders konstruiert und deshalb schließt Herr Grabbe eine ähnliche Katastrophe aus. In dieser Höhe geht die den ganzen Turm durchziehende Nottreppe von einer Wendeltreppe über in eine Treppenhauskonstruktion. 762 Stufen sind es insgesamt und ein Lachen geht durch die Besuchergruppe, als Herr Grabbe auf jeden Fall Muskelkater verspricht, egal man hoch oder hinunter steigt. Das will jetzt keiner ausprobieren, sondern man steigt lieber wieder in den Fahrstuhl, der jetzt auf eine Höhe von 150 Meter rast, in die erste Etage des Korbs.
Hier ist viel Technik untergebracht, zur Versorgung aber auch für die Sendefunktionen. Neben den SWR-Radiostationen wird der Polizeifunk sowie eine Richtfunkstrecke nach Karlsruhe betrieben, die dem internen Datenverkehr des Senders dient. Rundum ist alles verglast und obwohl der ganze ferne Ausblick auf die Alb wegen des diesigen Wetters nicht möglich ist, hat man dennoch einen kompletten Blick auf die Fildern und die City im Nesenbachtal. 585 Meter über dem Schlossplatz befindet man sich jetzt und die Stadt wirkt ein bisschen wie ein Spielzeugland.
Einen Stock höher erwartet die Gruppe das allen Blendwerks entkleidete ehemalige Gourmetrestaurant, heute genutzt von den Theater Rampe und Altes Schauspielhaus. Man sieht die Wandkonstruktion, die den Korb zusammenhält, und staunt leicht beklommen, dass dazu diese paar 20 Zentimeter dicken Betonpfeiler genügen. „Es sollte so filigran wie möglich werden, damit das Konstruktionsprinzip aufgeht,“ sagt Herr Grabbe und strahlt eine Sicherheit aus, die alle Zweifel und Höhenschwindel verjagen. Deshalb zieht es auch noch mal alle zur Besucherplattform, wo der Blick nach oben geht auf die 65 Meter hohe, mit diversen Antennen bestückte Stahlkonstruktion der Spitze. Große Scheinwerfer blinken in weiß und rot, aber diese Hindernisfeuer sind im Grunde nur noch Zierat, dem Denkmalschutz geschuldet. Flugzeuge brauchen so etwas heutzutage nicht mehr. An dieser Stelle verabschiedet sich Herr Grabbe von der sichtlich beeindruckten Gruppe. Haben wir was vergessen: Ach ja, der Stuttgarter Fernsehturm ist zwar weltweit der älteste seiner Art, aber inzwischen auch der kleinste. Ein Grund mehr, ihn richtig liebzuhaben. Als Wahrzeichen hat er noch lange nicht ausgedient.
Filigrane Konstruktion
Fabian Engeser (27) begeistert sich vor allem für das Konstruktionsprinzip. „Ich hatte gar nicht gedacht, dass der Turm so filigran gebaut ist,“ sagt der Student der Angewandten Physik an der Uni Tübingen. „Alles überhaupt nicht bombastisch, sondern sehr tricky.“ Aus seinem Mund hat diese Einschätzung eine besondere Bedeutung, ist er doch quasi Spezialist für feingliedrige Systeme. Engeser steckt mitten in seinen Abschlussprüfungen zum Diplom, das er mit einer Arbeit über Teilchenoptik erlangen will. Grob gesagt ist das eine Technik, mit deren Hilfe man fast bis in die atomare Struktur hineinschauen kann. Der Fernsehturm ist für den aus Hechingen stammenden Studenten, der seit letztem Jahr in Degerloch wohnt, schon fast ein Stück Heimat. „Ich sehe ihn vom Fenster meiner Wohnung und wenn ich von Tübingen zurückkomme, sehe ich ihn schon von Weitem und weiß: ‚Gleich bist du zuhause.'“
Der Artikel ist am 1. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]