Gute Vorsätze kommen aus der Mode

Weniger Schlemmen, mehr Sport, mehr Gelassenheit – gute Vorsätze für das neue Jahr könnte es viele geben. Aber die meisten Stuttgarter sind Realisten und nehmen sich erst gar nichts mehr fest vor. Ihre Erfahrungen haben sie gelehrt: Es klappt ja sowieso nicht.

Von Dirk Baranek

Die traditionelle Sitte, am Jahresende einen festen Vorsatz zu fassen, um mit diesem in den folgenden Monaten ein besserer Mensch zu werden, scheint ziemlich aus der Mode zu kommen. So jedenfalls das vorläufige Ergebnis einer kleinen Passantenumfrage vor Silvester auf dem Wochenmarkt vorm Rathaus. „Die Menschheit sollte sich diesen Quatsch endgültig abgewöhnen,“ sagte zum Beispiel Ralf Schmid, ein 47-jähriger Internetdesigner aus Stuttgart. Schmid ist allerdings generell ein Silvesterskeptiker, dem die üblichen Bräuche zum Jahreswechsel überhaupt nicht behagen. Selbst hatte er sich noch nie Vorsätze gemacht.

Darin ist er sich mit Jolanta Ryczko und deren Tochter Rosa einig. Der Teenager zieht zwar durchaus in Betracht, „mehr für die Schule zu lernen“. Aber die Vorgabe, „mehr Respekt vor den Eltern“ aufzubringen, wurde schon mit einem ironischen Unterton ausgesprochen. „Man soll eben nichts versuchen, was man ohnehin nicht einhalten kann,“ ist denn auch der Kommentar der Mutter, die sich noch nie etwas größeres vorgenommen hat. Es komme viel eher darauf an, ungeliebte Verhaltensweisen Schritt für Schritt im Alltag abzulegen, als sich am Stichtag einen großen Brocken aufzubürden. Weil der so groß ist, sei das Scheitern schon vorprogrammiert, was dann allerdings wieder nur zu überflüssigen Gewissensbissen führe. Besser seien kleine Schritte.

Genau diese Strategie umzusetzen, hat wiederum Rose Roth ins Auge gefasst. „Ich habe mir vorgenommen, etwas gelassener zu werden und mich nicht über jede Kleinigkeit aufzuregen,“ sagte die 63-jährige Rentnerin aus Stuttgart. Diese Haltung wird ihrer Meinung nach durch die zunehmende Abgeklärtheit im Alter möglich. Einen lebendigen Beweis für diese These hat sie selbst gerade erst bei ihrer Tochter erhalten, die ihr erstes Weihnachtsfest in der eigenen Familie ausrichtete. Dabei habe es etwas Stress gegeben, letztlich um unwichtige Dinge.

„Vier Kilo abnehmen.“ Für Werner Conle sind die Ziele klar umrisssen, aber bezüglich der Umsetzung macht sich der 53-jährige Bauingenieur keine Illusionen. Denn wie die Gewichtsreduktion zustande kommen soll, das sei ihm total unklar. „Ich hoffe auf die Krise,“ sagte er mit einem Augenzwinkern. Und einen Vorsatz, von dem er jetzt schon weiß, dass der nicht Realität wird, hat er auch: „Mehr Sport treiben. Joggen oder sowas.“ Ein Hindernis könne sein, dass er in keinem Sportverein ist und sich auch bisher nicht regelmäßig körperlich betätige. Da hilft dann auch der beste Vorsatz nicht oder die frisch geschöpfte Motivation versickert wieder im Alltag.

Das ist jedenfalls die Erkenntnis von Ralf Kühn aus Heilbronn. „Ich bin da mehr Realist geworden, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass das eh nix wird, mit diesen guten Vorsätzen,“ sagte der 39-jährige Projektmanager. Jetzt macht er sich erst gar keine mehr, obwohl weniger Rauchen und die Vermeidung von Alkoholkonsum schon angebracht wären. Ein schlechtes Gewissen wird er sich nicht machen. Das hält ja sowieso lange nicht an, so die Erkenntnis von Tina Bähring. „Im Januar halten wir uns noch zurück, aber spätestens im Februar greifen wir dann wieder unbeschwert zu Schweinebraten und Kohlrouladen,“ sagte die 35-jährige Grafikdesignerin. Das zunehmende Alter zeige zwar schon die ersten Symptome, durchtanzte Nächte seien zum Beispiel gar nicht mehr drin. Da fange man schon an nachzudenken, dass es so nicht weitergehen könne und man etwas Gutes für den eigenen Körper tun müsse. Aber die permanente Verzichtshaltung mache auf Dauer keinen Spaß. Konsequenz: Trotz Einhaltung der guten Vorsätze sein man irgendwie unzufrieden. Ein echtes Dilemma also, in dem sich der von den Nebenwirkungen der Zivilisation geplagte Mensch befindet. „Silvester hat doch was zwanghaftes.“

Das ist denn auch prompt die Meinung von Lara Brändle, einer 19-jährigen Schülerin aus Bad Urach, die mit ihrem Freund  Patrick Fahl in der City weilte, um etwas Großstadtflair zu erleben. Gute Vorsätze haben die beiden sich noch nie gemacht. Das sei doch ein „blödes Ritual“. Wie sie den Jahreswechsel verbringen wollten, war noch unklar. „Wir sind keine Silvesterfans,“ bekannten sie und sind damit gar nicht so allein.

(Artikel für die Stuttgarter Zeitung / Lokalteil)

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