Lernen vom Leben am Eisloch

Eine Familienführung bringt Kindern die extremen Lebensbedingungen der Inuit spielerisch nahe

Das Volk der Inuit lebt auf der Insel Grönland im ewigen Eis. Wie sehr dieses Leben unter extremen Bedingungen die Kultur dieser Jäger und Sammler geprägt hat, konnten Kinder spielerisch bei einer Führung im Lindenmuseum erfahren inklusive arktischer Spiele.

Die Inuit haben es auch nicht gerade leicht. Eine typische Jagdszene des Volkes von der Insel Grönland sieht nämlich so aus: Bei eisiger Kälte stundenlang regungslos aber konzentriert vor einem handgroßen Eisloch warten, bis eine Robbe zum Luftholen auftaucht. Dann blitzschnell harpunieren. Um das Ausmaß der Notwenigkeit zu begreifen, das Ziel auf keinen Fall zu verfehlen, da sonst der Hunger nagt, muss man mehr wissen über die Lebensbedingungen der Menschen am Nordpol. 

Das war das Ziel einer auf Kinder ausgerichteten Führung, die am Samstag in der aktuell laufenden Sonderausstellung im Lindenmuseum unter dem Titel „Arctic Games: Spiele der Inuit“ stattfand. Dietmar Neitzke, Ethnologe und Mitarbeiter der museumspädagogischen Abteilung, versuchte im ersten Teil den drei bis zwölf Jahre alten Besuchern dieses Leben im ewigen Eis nahezubringen. Ackerbau kennen die Bewohner der größten Insel der Welt nicht. Eskimos mögen sie nicht mehr heißen, haben aber der Welt Dinge vermacht, die als Worte in die ganze Welt gewandert sind. Der Anorak, der Parka, das Kajak – diese Kulturgegenstände findet man heute überall. Die Originale sehen etwas anders aus und die Kinder standen denn auch fast ergriffen vor der aus Tierdarm angefertigten Regenbekleidung, absolut wasserdicht natürlich. Plastisch und in einfacher Sprache wurde ein Leben unter extremen Bedingungen erläutert, die nur mit Erfindungsreichtum und Anpassung gemeistert werden können. So überstehen die Inuit einen großen Teil der langen, düsteren, lebensfeindlichen Winter mit einer einfachen Strategie: Sie schlafen viel. Die älteren Kinder fanden das alles sehr spannend, während die kleineren Geschwister das Herumtragen der Klappsessel und das Draufklettern schnell viel interessanter fanden.

Aber das störte niemandem, weil sich der Lernerfolg trotzdem sofort einstellte. Am Ende des ersten, erklärenden Teils der Führung konnte der Unterschied zwischen Originalkultur und Import von den Grundschülern glasklar erkannt werden. „Aber die Zigarette da, die ist von uns,“ stellte ein Mädchen vernehmlich fest und wies auf eines der ausgestellten Fotos von Markus Bühler-Rasom, auf dem ein Inuit rauchend in die Kamera lächelte. Auch das Motiv, auf dem ein kleines Mädchen gebannt und kauend Fernsehen schaut, beeindruckte wegen des besonderen Naschwerks: getrockneter Eisbär. 

Für die meisten der kleinen Besucher war es dann der Informationen genug und die folgenden Geschicklichkeits- und Bewegungsspiele hochwillkommen. Es wurden Schnurrer ausgeteilt, die von verdrehten Fäden zwischen den Händen zum Zischen gebracht wurden. Das klappte nicht bei jedem, faszinierte aber auch die Erwachsenen, die man nach den Kindern belustigt schnurren sah. Die Kleinen war inzwischen schon beim nächstem Programmpunkt, einem speziellen Weitsprung, bei dem man kniend hochschnellen und sich vorarbeiten muss. „Hier werden Fähigkeiten geübt wie Schnelligkeit, Geschicklichkeit, aber auch Geduld,“ sagte Dietmar Neitzke, um den pädagogischen Wert kindlichen Spiels zu betonen. Es sei eben alles abgestellt auf die lebensnotwendigen Kulturtechniken dieser Jäger und Sammler. Die Kinder gestern konnten so etwas mitnehmen für ihren Alltag, vielleicht einfach begreifen, dass anderswo auf der Welt die Eisbären nicht niedlich sind, sondern hochbegehrte weil sehr seltene Beute. Der sieben Jahre alten Sina Hauer aus Geradstetten hat auf jeden Fall „alles am besten gefallen,“ wie sie sagte. Vorher wusste sie nichts von den Eskimos und will jetzt auf gar keinen Fall mehr in die Nähe von Eisbären. Vor denen hat sie „oft ein bisschen Angst.“ Dafür freut sie sich schon auf den Urlaub an der Nordsee, denn dort kann man auch Robben angucken. Wenigstens muss man dort nicht stundenlang vor einem Eisloch warten, um eine zu sehen.

[Artikel für die Stuttgarter Zeitung]

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