Zweimal um die Erde mit einem Bein

Ein beinamputierter Radsportler aus Polen macht auf dem Weg nach Gibraltar Station in Stuttgart

Von Südpolen nach Gibraltar fährt Henryk Forto?ski mit dem Fahrrad in 23 Tagen, obwohl er nur einen Fuß hat. Den anderen verlor der Pole 1985 bei einem Arbeitsunfall im Bergwerk. Seitdem macht er mit Langstreckenfahrten von sich reden und am Samstag Station in Stuttgart.

Was für einen Schlag hat dieser Mann überlebt, der hier so aufgeräumt und gut gelaunt am Tisch sitzt. Henryk Forto?ski war Bergmann und stand am 14. Januar 1985 neben einem Förderband in einem Steinkohleschacht 900 Meter unter der Erde, als eine Antriebskette aus der Führung sprang, ihn am Fuß erwischte und mitriss. Der Fuß wurde am Ende des Bandes zerquetscht und war trotz mehrerer Operationen nicht zu retten.

Seitdem trägt Fortonski eine Prothese, die unterhalb des Knies beginnt und heute in einem professionellen Radsportschuh endet. Das Kunstglied kommt allerdings bei dem Polen schnell an die mechanische Belastungsgrenze, denn der Invalide, der von einer kleinen Rente lebt, haderte nur kurz mit seinem Schicksal. Angeregt durch einen Dokumentarfilm über einen us-amerikanischen Radsportler mit Handicap, widmete er seine ganze Energie nach dem Unfall dem Radsport. Mit Kleinigkeiten gab er sich dabei von Anfang an nicht zufrieden. „Ich wollte einfach immer besser werden,“ sagt er.

Inzwischen hat der 50-Jährige Herausforderungen gemeistert, die einem Freizeitsportler schon beim Zuhören den Schweiß auf die Stirn treiben. Zunächst umrundete er dreimal sein Heimatland. Mit der Öffnung der Grenzen 1990 ergaben sich neue Möglichkeiten. Bis zum Nordkap ist er gefahren, nach Athen zu den Paralympics, 1.000 Kilometer in 55 Stunden hat er hingelegt und ist bis in die Türkei vorgestoßen. „Insgesamt habe ich die Erde wahrscheinlich schon zweimal umrundet,“ sagt er und ist jetzt auf dem Weg nach Gibraltar.

Los ging es am 19. August vor dem Rathaus seiner Heimatstadt, dem niederschlesischen Walbrzych/Waldenburg. Der Oberbürgermeister hat ihn dort verabschiedet und der Regierungspräsident, denn Henryk Fortonski ist zuhause fast ein Star. Von 2002 bis 2007 wurde er jedes Jahr zum besten Sportler der Stadt gewählt. Die Gemeinde wie auch private Sponsoren unterstützen den kleinen Tross finanziell, denn Fortonski fährt nicht allein, sondern lässt sich von einem Radfahrer und von einem Fahrzeug begleiten. Die 3.600 Kilometer bis zur Südspitze der Iberischen Halbinsel will er in drei Wochen bewältigen. Am Samstag war man aus Nürnberg kommend auf Einladung der Deutsch-Polnischen-Gesellschaft Baden-Württemberg in Stuttgart. Der Verein ist Teil des funktionierenden Netzwerkes der Auslandspolen, auf die sich die Dreimanntruppe unterwegs im Wesentlichen stützt. Neben der Überwindung seines eigenen Schicksals will Henryk Fortonski mit den sportlichen Höchstleistungen seinen Mitmenschen Mut machen. „Ich möchte anderen Behinderten die Hoffnung geben, dass jeder zu großen Leistungen fähig ist,“ sagt er. Das Schwabenland gefällt ihm im übrigen sehr. „Die ständige Berg- und Talfahrt macht mir viel Spaß. Außerdem sind die kleine Städte und Dörfer hier alle so liebevoll und ordentlich hergerichtet.“ So viel wie Forto?ski von Europa gesehen, kann man dieses Urteil wohl ernst nehmen.

[Der Artikel ist am 24. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Zweimal um die Erde mit einem Bein

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