[Artikel für das Stuttgarter Stadtmagazin LIFT, Dezember 2008, nie erschienen]
Der Onlinedienst Twitter macht in den letzten Monaten Furore. In Stuttgart berichten etwa 1.000 Nutzer aus ihrem Alltag.
Es ist halb neun, die Sonne geht auf in Twitterland. „Wunderschönen guten Morgen“, schreibt Webstyler, was jeder lesen kann, der die kurzen Nachrichten der IT-Spezialistin aus dem Westen abonniert hat. Denn auf Twitter entscheidet jeder Nutzer selbst, wessen veröffentlichte Infos, Gedanken, Kommentare und Absurditäten man liest. Twitter gibt es seit zwei Jahren, kommt aus den USA und ist der aktuell am schnellsten wachsende Webdienst weltweit.
Sinn und Zweck des ganzen ist das Verfassen von Nachrichten und Statusmeldungen aus dem Alltag. Auf Deutsch bedeutet der Name „Zwitschern“, vielleicht mit ein Grund, weshalb die kritischen Stimmen nicht verstummen wollen, die Informationen über das Leben ihnen zunächst unbekannter Mitmenschen für belanglose Zeitverschwendung halten. Dabei sind die Texte gezwungenermaßen kurz, denn mehr als 140 Zeichen kann man pro „Tweet“ nicht absetzen. Trotzdem nutzen immer mehr Menschen nutzen das kommunikative Potenzial, das sich inzwischen entwickelt hat.
Auch in Stuttgart gibt es eine wachsende Gemeinde. Etwa 1.000 mögen angemeldet sein, aber längst nicht alle sind aktiv. Einer der aktivsten und mit der größten Anzahl an „Followern“, also anderen Twitter-Nutzern die seine Nachrichten abonniert haben, ist Mathias Zellmer. Unter @zellmi berichtet der Schwaikheimer aus seinem Leben als Webkonzeptioner bei der Stuttgarter Agentur Seitenblick. „Den Machern ist es gelungen, einen virtuellen Treffpunkt zu schaffen,“ sagt er. Dass dieser sich recht häufig in einen tatsächlichen verwandelt, kann man immer wieder verfolgen, wenn sich mittags diverse Twitterer zum Lunch in der City verabreden.
Ein Vorteil von Twitter: man kann auch mit dem Handy veröffentlichen und frisch geschossene Fotos in den Nachrichtenstrom einfügen. Nur zwei Beispiele für die Möglichkeiten des offenen Systems von Twitter, das es einer Vielzahl von Anbietern erlaubt, auf die dort vorrätigen Daten zuzugreifen und neue Anwendungen dafür zu programmieren – zumeist werbefrei und kostenlos sowieso. Durch diese Umstände ist Twitter zur Nachrichtenmaschine der Bloggerwelt geworden, global und lokal. Dort waren Minuten nach den ersten Schusswechseln in Mumbai Augenzeugenberichte von den Anschlägen zu lesen, die sich dann rasend schnell verbreitet haben, weil der Grad der Vernetzung hoch ist. Blogger, IT-Freiberufler und Internetberater waren die ersten Nutzer, inzwischen immer mehr Kulturmacher, Webschaffer, PR-Leute und nicht zuletzt Politiker. Barack Obama ist bis dato der größte Twitterer überhaupt mit fast 150.000 Followern. Auch lokale Netzaktivisten wollen das Potenzial nutzen. Wichtigster Onlineberater der hiesigen Grünen ist Henning Schürig. Der Student und Beisitzer im Landesvorstand twittert den auch ab und zu live von Parteitagen oder politischen Veranstaltungen. „Das bringt die Politik irgendwie auch näher an die Menschen heran,“ sagt er.
Es ist eben die Mischung aus persönlichen und beruflichen nachrichten, die den besonderen Reiz ausmacht. Man scheint den Menschen über die Schultern zu schauen und entwickelt eine Art Gemeinschaftsgefühl. Aber wo ist die Grenze der öffentlichen Zurschaustellung? „Anstößiges oder zu Privates hat dort nichts zu suchen und dass ich pinkeln gehe, muss auch keiner wissen,“ sagt zum Beispiel die Grafikerin Rozana Vrandecic. Dafür schreibt sie dann, dass der neue Woody-Allen-Film bei ihr acht von zehn Punkten kriegt oder „Geht jetzt Sachen packen für ihr Wochenende. Schön Veggie-House mit Soja-Gulasch…“.
Um den lokalen Aspekt noch mehr zu betonen, denn die vermutete Relevanz der Nachrichten steigt ja unter der Annahme, dass der unbekannte Schreiber in der Nähe wohnt, gibt es Stuttgarttweets. Das ist so etwas wie ein automatischer Verbreitungsdienst für Tweets aus der Stadt. Geschaffen haben den Oliver Gassner und Harald Amelung. Gassner ist Kommunikationsberater mit Sitz in Vaihingen/Enz und wahrscheinlich die bekannteste Figur der hiesigen Blogosphäre. „Ich mag es, wenn Leute Twitter wie einen Miniblog benutzen und nicht nur als Laberecke über nichts,“ sagt er. Der Programmierer und Neu-Stuttgarter Amelung schätzt die Möglichkeit, sich hier einen Bekanntenkreis aufzubauen. „Dank Twitter habe ich viele Stuttgarter kennengelernt,“ berichtet er.
Die wichtigsten Twitterer der Stadt
oliverg
Oliver Gassner twittert auf englisch über neue Web2.0-Entwicklungen
frogpond
Martin Koser berichtet aus seinem Berufsalltag als Web-Unternehmensberater
zellmi
Kuchen backen, Webfundstücke oder auf dem Weihnachtsmarkt mit Matthias Zellmer
baranek
Ja, der Autor ist auch dabei …
Zettt
Digitale Musik, Podcasting, Alltag in Hegnach und Stuggitown
webstyler
Alexa ist IT-Consultant
heileribke
Heike macht eine Ausbildung zur Logopädin und Omnisophistin
jantheofel
Food und Kochen und IT
corneliushummel
Bourgeois Bohemian
hensch
Grüne Politik und Studialltag
jodeleit
PR-Profi
sympatexter
Wortkunststücke aus dem Leben einer Werbetexterin
jokerine
Aus dem Alltag einer Chemiestudentin
Weitere empfehlenswerte: ha75, zuckerbaeckerin, dentaku, imbild, andreasg, _teecee
Wer eine Hitliste mit Stuttgarter Twitterern sehen möchte klickt hier: Twittergrader
[…] Was ich da gestern zu dem Artikel über die zehn besten Blogs in Stuttgart geschrieben habe, gilt mehr oder weniger genauso für einen Artikel über die “wichtigsten” Twitterer aus der Region Stuttgart. […]
Twitter-Fieber hat sich bisher im Stuttgarter-Umfeld, siehe Filderstadt, kaum durchgesetzt. Ist eben noch Provinz. :-)
[…] und Twitterer-Liste aus Stuttgart. Dirk listet jeweils die 10 besten […]