Die Heimat findet im Kopf statt

Unter dem Motto „Heimat ist Menschenrecht“ lud der Bund der Vertriebenen in die Liederhalle ein.

Der diesjährige Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen fand gestern in der Liederhalle statt. Rund 1.000 Teilnehmer verfolgten einen ruhigen Nachmittag zwischen Brauchtumspflege, Politik und Wiedersehensfeier.

„Die Volkstanzgruppe der Ost- und Westpreußen aus Metzingen zeigt nun Tänze aus der Heimat,“ kündigt der Moderator die in bunter Tracht die fahnengeschmückte Bühne des Hegelsaals der Liederhalle betretenden Tanzpaare an. Diese dürften allerdings trotz des zumeist fortgeschrittenen Alters die ehemaligen Siedlungsgebiete ihrer Vorfahren nur vom Hörensagen kennen.

Dass 60 Jahre nach den Vertreibungen der Deutschen das Wort andere Bedeutungen erhalten muss, macht denn auch Rainer Wieland, Europaabgeordneter für die CDU, den rund 1.000 Zuhörern unmissverständlich klar. „Heimat kann man nicht vererben, das ist kein geographischer Begriff,“ sagt Wieland, der als „unser Mann in Brüssel“ von Albert Reich, dem langjährigen Kreis-Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen als Veranstalter begrüßt wird. Mit dem Beitritt der osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union hat die tragische Vergangenheit eine anderen Stellenwert bekommen. Die Geschichte mahlt alles klein, die Zukunft hat begonnen. Das eigene Schicksal transzendiert zu einem globalen Beitrag in der Gemeinschaft von Völkern, die eine traumatische Erfahrung teilen, nämlich den erzwungenen Verlust ihrer geographischen oder geistigen Heimat. „Heimat ist ein Menschenrecht für Alle,“ sagt Wieland in seiner Festansprache und es ist für ihn daher nur logisch, dass seine Partei das umstrittene Zentrum für Vertreibung unterstützen wird. 100.000 Euro habe Ministerpräsident Oettinger für dieses Projekt schon bereitgestellt.

Der Wandel vom ungeliebten Verband der Verbitterten hin zu angesehenen Experten des internationalen Völkerrechts scheint eine der Optionen zu sein, mit dem die in die Jahre gekommenen Vertriebenen-Funktionäre zukunftsfähig werden wollen. Wie das dann aussehen könnte, wird greifbar, als eine assyrische Volkstanzgruppe die Bühne betritt. Dieses christliche Volk lebte ursprünglich zwischen Euphrat und Tigris und wurde durch die Verfolgungen von Türken, Irakern, Iranern und Syrern im Laufe des 20. Jahrhunderts in die ganze Welt verstreut – auch nach Augsburg. Von dort kommen die jungen, recht attraktiven und breites Oberschwäbisch parlierenden Tänzer und Tänzerinnen und bewegen sich zwar unspektakulär zu orientalisch anmutender Musik in einer Art Reihentanz, aber die Zuschauer klatschen freundlich mit. „Wir müssen in Europa die Vielfalt der Kulturen bewahren,“ sagt Wieland später. Dazu könnten die Vertriebenenverbände, bei denen sich auch Spätaussiedler organisieren, wie polnische oder russische Gesprächsfetzen unschwer erkennen ließen, einen durchaus wertvollen Beitrag leisten.

[Der Artikel ist am 17. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Die Heimat findet im Kopf statt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert