Die Fans können kommen

Gastronomie ist auf Europameisterschaft gut vorbereitet. Umsatzwachstum erwartet.

Die Fußball-Europameisterschaft, die vom 7. bis 29. Juni stattfindet, wirft ihre Schatten voraus. Deutschland wird erwartungsgemäß im Fußballfieber liegen und wie bei der WM vor zwei Jahren ist die Gastronomie fest entschlossen, davon zu profitieren. Nicht nur in Sportsbars sondern auch in vielen Kneipen, Biergärten und Restaurants laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, um den Fans ein unterhaltsames Gemeinschaftserlebnis zu bieten. Die positiven Erfahrungen der WM haben bei den Gästen ihre Spuren hinterlassen. Das Mitfiebern mit anschließender Siegesfeier wird sehnlichst erwartet und wer sein Lokal in dieser Zeit nicht dieser Nachfrage widmet, wird sich auf Einbußen einstellen müssen.

Das ist jedenfalls die Überzeugung von Aurelio Tomarelli, Inhaber des Restaurants Via Veneto in der Münchner Maximilianstraße. Für ihn es eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, den Gästen während der EM etwas Besonderes zu bieten. „Wer nichts macht, kann in der Zeit sowieso nur Däumchen drehen,“ meint Tomarelli. Deshalb wird im Innenhof des Lokals (120 Sitzplätze) eine Leinwand aufgebaut und die Spiele live mit einem Beamer übertragen. Preislich wird Tomarelli nichts ändern, geht aber von mindestens 50 Prozent mehr Umsatz aus, den er mit verstärktem Einsatz von Aushilfen bewältigen will. Wenn denn das Wetter mitspielt… Klimatische Unwägbarkeiten sind bei den Planungen der große Unsicherheitsfaktor, denn die meisten Unternehmen verlegen ihre EM-Angebote auf vorhandene Freiflächen. Anders sieht das Konzept im Hotel Radison SAS Schwarzer Bock in Wiesbaden aus. In dem 5-Sterne-Haus wird es in einem historischen Kaminzimmer mit Baranschluss für 30 Gäste eine Übertragung geben. „Wir machen das für unsere Hotelgäste und für Fans, die ein etwas exklusiveres Ambiente möchten,“ sagt F&B-Manager Dominik Prem. Geordert werden kann aus der Roomservice-Karte und Biermix-Getränke zum Vorteilspreis genießen. Prem setzt die Aktion daher mit geringem Mehraufwand um und sieht das Angebot als Imagepflege, um Hemmschwellen abzubauen. Bei der Entscheidung spielte der Umstand, dass in der hessischen Landeshauptstadt alle Spiele live bei einem Großevent übertragen werden, keine Rolle. 

Das sehen die meisten Gastronomen so, auch wenn der Lokalpresse zu entnehmen war, dass es in Berlin einige Betreiber von Biergärten sehr zu schätzen wissen, dass die Fanmeile in diesen Jahr auf die Halbfinale und das Endspiel beschränkt bleibt. Das ist in Stuttgart ähnlich, hat aber bei der Entscheidung von Birgit Grupp, ihren innerstädtischen Biergarten mit Leinwand auszustatten, keine Rolle gespielt. „Es gab ständig Nachfragen von Stammgästen, die die schöne Stimmung während der WM 2006 noch einmal erleben möchten,“ berichtet die Geschäftsführerin des mittelständischen Unternehmens. Mehr Umsatz erwartet Grupp nicht, da der Platz, an dem sie mit Paulaner und Brunnerz gleich zwei Lokale betreibt, immer gut gefüllt sei und die Fußballfans erfahrungsgemäß weniger Speisen abfragen. Die Aktion wird mit Pressearbeit und intern beworben. Das passt ins Bild, denn auf größere Marketingaktionen verzichten die meisten Unternehmen, nutzen allerdings verstärkt die neuen Möglichkeiten des Internet. „Die Resonanz ist sensationell,“ berichtet Carsten Jutzi, Geschäftsführer des Infoportals Restaurant-Kritik.de. Binnen zwei Tagen hätten sich über 100 Betriebe gemeldet, um ihr Angebot auf einer frisch gestarteten Übersicht aller EM-Lokale gratis einzutragen (www.restaurant-kritik.de/em08-live/). Jutzi geht davon aus, dass viele Gäste im Web nach Public-Viewing-Angeboten suchen werden.

Bei der Technik halten sich die Unternehmen zumeist an die Drei-Meter-Regel, um Lizenzkosten zu sparen. Die UEFA verlangt nur dann Gebühren, wenn die Leinwand, auf der die Übertragung ausgestrahlt wird, eine Diagonale größer als drei Meter aufweist. Vorraussetzung ist allerdings, dass bei der Veranstaltung keine Eintrittsgelder erhoben werden, es keinen Verzehrzwang gibt und keine Sponsoren im Umfeld agieren. Größere Projektionsflächen müssen angemeldet werden, sind jedoch gebührenfrei, wenn es sich um nicht-kommerzielle Events handelt. Wichtig für Gastronomen außerdem: Es werden wenn auch geringe GEMA-Gebühren fällig, da Musik rund um die Übertragungen abgespielt wird. Die Fans können also kommen!

 

[Artikel für die AHGZ]

Die Fans können kommen

Lernen vom Leben am Eisloch

Eine Familienführung bringt Kindern die extremen Lebensbedingungen der Inuit spielerisch nahe

Das Volk der Inuit lebt auf der Insel Grönland im ewigen Eis. Wie sehr dieses Leben unter extremen Bedingungen die Kultur dieser Jäger und Sammler geprägt hat, konnten Kinder spielerisch bei einer Führung im Lindenmuseum erfahren inklusive arktischer Spiele.

Die Inuit haben es auch nicht gerade leicht. Eine typische Jagdszene des Volkes von der Insel Grönland sieht nämlich so aus: Bei eisiger Kälte stundenlang regungslos aber konzentriert vor einem handgroßen Eisloch warten, bis eine Robbe zum Luftholen auftaucht. Dann blitzschnell harpunieren. Um das Ausmaß der Notwenigkeit zu begreifen, das Ziel auf keinen Fall zu verfehlen, da sonst der Hunger nagt, muss man mehr wissen über die Lebensbedingungen der Menschen am Nordpol. 

Das war das Ziel einer auf Kinder ausgerichteten Führung, die am Samstag in der aktuell laufenden Sonderausstellung im Lindenmuseum unter dem Titel „Arctic Games: Spiele der Inuit“ stattfand. Dietmar Neitzke, Ethnologe und Mitarbeiter der museumspädagogischen Abteilung, versuchte im ersten Teil den drei bis zwölf Jahre alten Besuchern dieses Leben im ewigen Eis nahezubringen. Ackerbau kennen die Bewohner der größten Insel der Welt nicht. Eskimos mögen sie nicht mehr heißen, haben aber der Welt Dinge vermacht, die als Worte in die ganze Welt gewandert sind. Der Anorak, der Parka, das Kajak – diese Kulturgegenstände findet man heute überall. Die Originale sehen etwas anders aus und die Kinder standen denn auch fast ergriffen vor der aus Tierdarm angefertigten Regenbekleidung, absolut wasserdicht natürlich. Plastisch und in einfacher Sprache wurde ein Leben unter extremen Bedingungen erläutert, die nur mit Erfindungsreichtum und Anpassung gemeistert werden können. So überstehen die Inuit einen großen Teil der langen, düsteren, lebensfeindlichen Winter mit einer einfachen Strategie: Sie schlafen viel. Die älteren Kinder fanden das alles sehr spannend, während die kleineren Geschwister das Herumtragen der Klappsessel und das Draufklettern schnell viel interessanter fanden.

Aber das störte niemandem, weil sich der Lernerfolg trotzdem sofort einstellte. Am Ende des ersten, erklärenden Teils der Führung konnte der Unterschied zwischen Originalkultur und Import von den Grundschülern glasklar erkannt werden. „Aber die Zigarette da, die ist von uns,“ stellte ein Mädchen vernehmlich fest und wies auf eines der ausgestellten Fotos von Markus Bühler-Rasom, auf dem ein Inuit rauchend in die Kamera lächelte. Auch das Motiv, auf dem ein kleines Mädchen gebannt und kauend Fernsehen schaut, beeindruckte wegen des besonderen Naschwerks: getrockneter Eisbär. 

Für die meisten der kleinen Besucher war es dann der Informationen genug und die folgenden Geschicklichkeits- und Bewegungsspiele hochwillkommen. Es wurden Schnurrer ausgeteilt, die von verdrehten Fäden zwischen den Händen zum Zischen gebracht wurden. Das klappte nicht bei jedem, faszinierte aber auch die Erwachsenen, die man nach den Kindern belustigt schnurren sah. Die Kleinen war inzwischen schon beim nächstem Programmpunkt, einem speziellen Weitsprung, bei dem man kniend hochschnellen und sich vorarbeiten muss. „Hier werden Fähigkeiten geübt wie Schnelligkeit, Geschicklichkeit, aber auch Geduld,“ sagte Dietmar Neitzke, um den pädagogischen Wert kindlichen Spiels zu betonen. Es sei eben alles abgestellt auf die lebensnotwendigen Kulturtechniken dieser Jäger und Sammler. Die Kinder gestern konnten so etwas mitnehmen für ihren Alltag, vielleicht einfach begreifen, dass anderswo auf der Welt die Eisbären nicht niedlich sind, sondern hochbegehrte weil sehr seltene Beute. Der sieben Jahre alten Sina Hauer aus Geradstetten hat auf jeden Fall „alles am besten gefallen,“ wie sie sagte. Vorher wusste sie nichts von den Eskimos und will jetzt auf gar keinen Fall mehr in die Nähe von Eisbären. Vor denen hat sie „oft ein bisschen Angst.“ Dafür freut sie sich schon auf den Urlaub an der Nordsee, denn dort kann man auch Robben angucken. Wenigstens muss man dort nicht stundenlang vor einem Eisloch warten, um eine zu sehen.

[Artikel für die Stuttgarter Zeitung]

Lernen vom Leben am Eisloch

Zeugnisse europäischer Barbarei

Im Rathaus erinnert eine Ausstellung an die Opfer von Krieg und Vertreibung im 20. Jahrhundert

Über Jahrzehnte war das Schicksal der Vertriebenen ein Tabu der deutschen Gesellschaft. Erst mit der Ausstellung „Erzwungene Wege“ wurde deren Geschichte in eine europäische Perspektive eingebettet und damit politisch entschärft. Das persönliche Leid steht nun im Vordergrund.

Im Rathaus ist seit gestern eine Ausstellung zu sehen, die Geschichte erzählt und selbst geschrieben hat. Denn sie hat ein Thema auf die Agenda der Tagespolitik gesetzt, von dem schon viele glaubten, es sei nach dem Ende der europäischen Teilung in die Tiefenschichten des kollektiven Gedächtnisses gerutscht, werde dort für immer bleiben und sei höchstens noch politische Munition für unverbesserliche Revisionisten. Dann kamen im Sommer 2006 über 60.000 Besucher in die Ausstellung „Erzwungene Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“ und die Perspektive änderte sich schlagartig. Denn erstmals das Schicksal von Ostpreußen, Schlesiern, Sudetendeutschen und Donauschwaben, dass diese zwischen 1944 und 1948 erleiden mussten, Teil einer Geschichte der europäischen Barbarei, der Konsequenz aus Nationalismus, Rassenwahn und Klassenkampf.

In der Wanderausstellung, die auf 68 Tafeln beginnend bei den türkischen Verbrechen an Armeniern und Griechen, über die Verfolgungen kommunistischer wie faschistischer Diktaturen bis hin zu den sogenannten „ethnischen Säuberungen“ in den jugoslawischen Bürgerkriegen diese Opfergeschichte aufzeigt, ist das Schicksal der deutschen Vertriebenen ein Teil dieser dunklen Zeit, als Europa totalitären Ideologien verfiel. „Es wird deutlich, wie barbarisch mit Völkern umgegangen wurde,“ sagte Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), der StZ. Mit ihrer Beharrlichkeit, dieses Thema als Teil einer Identität der Deutschen aktuell zu halten, hat sich Steinbach in der Vergangenheit mehr Feinde als Freunde gemacht. Vor allem bei den östlichen Nachbarn war sie zeitweise zur Persona non Grata geworden. Denn mit der im Jahr 2000 gegründeten Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ setzte sich die CDU-Politkerin dem Verdacht aus, eine Revision der Geschichte zu voranzutreiben, bei der die Deutschen von Tätern zu Opfern werden sollten. Die Intention, mit einer Dauerausstellung einen Ort der Erinnerung an das Schicksal der 12 bis 14 Millionen vertriebenen Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg zu schaffen, geriet in die Mühlen der internationalen Politik und drohte zermahlen zu werden. Erst die aktuelle Ausstellung entschärfte den Konflikt, wurde doch deutlich, dass es Steinbach offenbar um mehr ging. „Vertreibung darf kein Mittel der Politik sein,“ sagt sie denn auch. Die Deutschen seien Opfer ungerechter Gewalt geworden und diese Tatsache dürfe nicht mit dem Hinweis auf eine Kollektivschuld gerechtfertigt werden. Im europäischen Kontext seien die Vertriebenen solidarisch mit allen Opfern ähnlicher Gewaltausbrüche. An diese Solidarität erinnerte auch Bürgermeister Schairer in seinem Grußwort zur Eröffnung. Er erhoffe sich durch die neue Auseinanderstzung mit der eigenen Vergangenheit eine neue Empathie gegenüber Flüchtlingen, woher auch sie kommen, wie man es zuletzt bei den Opfern der Jugoslawienkriege erlebt habe.

Dass die Landeshauptstadt einen besonderen Bezug zum Thema hat, machten alle Redner klar. Besonders engagiert Heribert Rech, der Innenminister des Landes. Er erinnerte an die Charta der Heimatvertriebenen, in der im August 1950 auf dem zerbombten Schlossplatz auf Rache und Vergeltung verzichtet und der Hoffnung auf ein geeintes Europa Ausdruck gegeben wurde. „Das war eine bemerkenswerte Vision und ist fast 60 Jahre später nahezu Wirklichkeit geworden“, sagte Rech. Deshalb gehe es jetzt nicht um die Relativierung deutscher Verbrechen oder einen Revisionismus der Schuldfrage. Es gehe schlicht und einfach um die Anerkennung des Leides vieler Millionen Menschen, die im Europa des vorigen Jahrhunderts – diesem Jahrhundert der Vertriebenen und Gefangenen, wie Heinrich Böll einmal feststellte – Opfer politischer Gewalt wurden. Diesen Menschen und ihren Nachkommen einen Ort zu geben, an dem die persönliche Geschichte Teil des kollektiven Gedächtnisses werden kann, ist der Sinn, des von der Bundesregierung beschlossenen „Sichtbaren Zeichens gegen Flucht und Vertreibung“ in Berlin. Ohne die gestern eröffnete Ausstellung mit ihrer europäischen Perspektive wäre es dazu nicht gekommen.

Die Ausstellung ist geöffnet bis 30. Juni. Eintritt ist frei.

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Zeugnisse europäischer Barbarei

Der Schlossplatz wird zum Aktionsraum für Flash-Mob

Am Samstag Abend versetzen Geocaching-Fans mit einer ungewöhnlichen Aktion die Passanten in Erstaunen

Bei Sommerwetter und keiner Wolke weit und breit mit einem aufgespannten Regenschirm fünf Minuten vor dem Königsbau zu verharren – das war die absurde Aufgabe, die sich hiesige Fans des Freizeitsports Geocaching gestellt hatten. Etwa 100 machten mit und lösten bei den Passanten durchweg Heiterkeit aus.

Punkt 19 Uhr gingen die Schirme auf. Etwa 100 in allen Farben und Größen machten am Samstag den Schlossplatz rund um den Pavillon fast zum Ort einer Kunstaktion. Erinnert wurde man ein wenig an das Ehepaar Christo, die bereits einmal eindrucksvoll ganze Landschaften mit tausenden Sonnenschirmen in ein liebliches Ensemble verwandelten. Die Regenschirme in der Stuttgart City wurden allerdings nicht von Künstlern aufgespannt, um ästhetische oder gar politische Botschaften zu kommunizieren, sondern von Mitbürgern, die damit ihrem gemeinsamen Hobby frönten, dem so genannten Geocaching. 

Das basiert auf den Möglichkeiten tragbarer Ortungssysteme. Mit deren Hilfe werden in einer Art Schnitzeljagd tote Briefkästen gesucht, deren geografische Koordinaten im Internet verbreitet werden. Wer eine dieser Boxen findet, trägt sich in ein dort gebunkertes Logbuch ein und hinterlässt einen Gegenstand. Der Reiz dieser Suche resultiert aus dem Umstand, dass diese auf Grund der unscharfen GPS-Systeme manchmal schwierig ist, zu in der Regel außergewöhnlichen Plätzen führt und im Internet protokolliert wird, in diesem Fall bei www.geocaching.com. In dem Angebot sind allein in Baden-Württemberg fast 6.000 Orte verzeichnet, an denen ein Logbuch hinterlegt wurde. Der normale Geocacher wandert also sich ortend durch die Landschaft wie es auch die beiden Wendlinger fast jedes Wochenende tun, die sich in der virtuellen F´Gemeinschaft „border“ und „smallgrisu“ nennen.

Beide sind Anfang 40 und begeisterte Anhänger dieses modernen Freizeitsports. Allein border hat in den letzten fünf Jahren bereits über 3.000 Geocaches aufgesucht. Die als Flashmob-Event im Internet angekündigte Aktion ist allerdings für beide eine absolute Premiere. 

Diese aus den USA stammende Aktionsform – wörtlich „Blitzmenge“ – besteht in einer kurzzeitigen, nur eingeweihten Kreisen bekannten, meist absurden Intervention im öffentlichen Raum. Wie aus dem Nichts versammeln sich Menschen, veranstalten höchstens zehn Minuten lang in der Öffentlichkeit seltsame Dinge und zerstreuen sich dann wieder. Am Samstag Abend bestand die Aufgabe darin, sich unauffällig vor dem Königsbau einzufinden, um 19 Uhr auf Kommando einen Regenschirm aufzuspannen und dann fünf Minuten regungslos zu verharren. „Das hat keine soziale oder künstlerische Botschaft, sondern dient einfach nur dem Spaß in der Gemeinschaft,“ meinte border zu dem Sinn der Aktion. Dem Aufruf waren über 100 Teilnehmer gefolgt, deren Verhalten angesichts des sommerlichen Wetter bei den zahlreichen Passanten auf amüsiertes Unverständnis stieß. Für die feierfreudigen Damen von Andreas Junggesellinnenabschied war es ein willkommener Jux, für das New Yorker Ehepaar Parker, seit kurzem in Stuttgart bei der Army beschäftigt, ein Anlass zum Staunen. So etwa hätten sie noch nie gesehen, meinten sie lächelnd. 

Nach fünf Minuten war alles vorbei, die Schirme schlossen sich wieder. „Das waren die peinlichsten fünf Minuten meines Lebens,“ sagte border danach. Vier Mal sei er von Passanten angesprochen worden und habe sich sogar getraut, deren Fragen mit dem Satz „Es regnet gleich!“ zu beantworten. Seine Mitstreiter versammelten sich anschließend um Organisator Jürgen Räuchle, dem sie ihre Logzettel in einen Einkaufskorb warfen. Diese werden in den nächsten Tagen als Teilnahmebeleg online veröffentlicht. Nach einem letzten Gruppenfoto zogen sich die Geocacher in ein schwäbisches Traditionslokal zurück, um sich bei Bier und Erfrischungsgetränken in aufgeräumter Stimmung über das Erlebte auszutauschen. Denn das war vielleicht der einzige Sinn dieser Aktion: sich durch ein ungewöhnliches Zeichen als Teil einer Gruppe zu definieren, deren Gemeinschaft ansonsten nur im Internet stattfindet.

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Der Schlossplatz wird zum Aktionsraum für Flash-Mob

Eine Stadt ohne Kinder ist furchtbar

Eine Podiumsdiskussion im JES konstatiert Handlungsbedarf bei der Familienfreundlichkeit in der Stadt

Der demographische Wandel ist in vollem Gange. Wie dieser gestaltet und beeinflusst werden kann, darüber diskutierten lokale Experten im Jungen Ensemble Stuttgart. Fazit des Abends: es ist viel geschehen in Richtung kinderfreundliches Stuttgart, aber noch lange nicht genug.

Wie ist es um die Kinderfreundlichkeit in Stuttgart bestellt? Warum entscheiden sich immer mehr Menschen gegen das Kinderkriegen? Hängt das eine vielleicht mit dem anderen zusammen? Das waren die Fragen, auf die eine Veranstaltung im Jungen Ensemble Stuttgart (JES) am Mittwoch Abend Antworten geben wollte. Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen der aktuellen Spielzeit des JES statt, die unter dem Thema „Älter werden  – oder wie die Zeit vergeht“ steht.

Neben Aufführungen von passenden Stücken wurde dieses Thema durch insgesamt vier Abende vertieft, bei denen Experten und lokale Macher verschiedene Aspekte des demographischen Wandels vertieften. Das Thema beschäftigt zurzeit viele Menschen, was sich auch am Interesse für die Reihe zeigt. Der Dramaturg Christian Schönfelder, der die Reihe für das JES konzipierte, zeigte sich über den Publikumszuspruch in den zurückliegenden Wochen sehr zufrieden. „Das besondere Format hat offensichtlich funktioniert,“ sagte er.

Die Diskussionsabende wurden nämlich jeweils mit einem szenischen Vorspiel der Global Player eingeleitet, einer im JES beheimateten Amateurtruppe aus Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren. Die legten auch am Mittwoch eine ironisch-provokante Gesprächsbasis, als sie das Publikum 100 Jahre in die Zukunft versetzten. In ihrem imaginären Kidsworld konnte man Kinder nach Maß oder von der Stange kaufen inklusive Umtauschrecht. „Kinder in der besten Qualität“ wurden angepriesen, ohne Geburtsschmerzen in bereits pflegeleichtem Zustand erhältlich. Da blieb so manchem Zuschauer das Lachen etwas im Halse stecken, was sich dann in der folgenden, angeregten Diskussion Bahn brach.

Moderiert von der SWR-Journalistin Silke Arning trugen zunächst Stephanie Mair-Huydts vom Kuratorium Kinderfreundliches Stuttgart, Carola Haegele vom Generationenhaus Heslach und Achim Wörner, Ressortleiter Lokales bei der Stuttgarter Zeitung, ihre Thesen zur aktuellen Situation der jungen Generation in der Stadt vor. Alle konstatierten, dass mit der Initiative von Oberbürgermeister Schuster zwar schon viel geschehen, aber man noch lange nicht am Ziel sei. „Es bleibt noch viel zu tun,“ sagte Stephanie Mair-Huydts und Achim Wörner konstatierte Beharrungskräfte: „Das Thema Kinderfreundlichkeit ist ein zähes Geschäft.“ Zwar habe die Stadt auf einigen Feldern inzwischen bundesweit Vorbildcharakter, aber vor allem im alltäglichen Zusammenleben von Alt und Jung bleibe Handlungsbedarf. „Wir müssen Strukturen schaffen, um Missverständnisse und Sprachlosigkeit zu überwinden,“ sagte Carola Haegele. Nur so könne ein gesellschaftliches Klima hergestellt werden, in dem Kinder willkommen seien.

Neben den vom Staat herzustellenden Rahmenbedingungen sei dieses Klima essentiell für eine positive Entscheidung zum Kinderkriegen. Hier seien auch die Unternehmen gefragt, die eigene Kinderkrippen anbieten und junge Eltern durch flexible Arbeitsbedingungen unterstützen müssten. „Man kann nicht alles auf den Staat abschieben,“ sagte Achim Wörner. Nur wenn alle das ihre dazu beitragen, könne das gesellschaftliche Umfeld verbessert werden, um eine familienfreundliche Stadt zu schaffen. Die sei absolut erforderlich. Denn Kinder sind nach wie vor das Salz in der Suppe des Lebens, nicht nur aus rationalen Gründen sondern ebenso aus emotionalen. „Eine Stadt ohne Kinder ist doch furchtbar,“ betonte Frau Mair-Huydts. Die im Publikum anwesenden Jugendlichen machten in ihren Diskussionsbeiträgen dann deutlich, dass die aktuelle Situation noch nicht dazu angetan ist, dieses Horrorszenario als Illusion abzutun. Es gäbe viel zu wenige, nicht kommerzialisierte oder durchgeplante Freiräume für Jugendliche in der Stadt, monierten sie.  

[Artikel für den Lokalteil der Stuttgarter Zeitung]

Eine Stadt ohne Kinder ist furchtbar