Speisen zwischen Himmel und Erde in Limburg

In Limburg hat ein Restaurant in einer ehemaligen Friedhofskapelle eröffnet. Das Konzept zieht die Gäste in Scharen an.

Ein in Deutschland einmaliges Ambiente erwartet den Gast seit fünf Monaten im Limburg an der Lahn. Dort haben Dorothee und Andreas Strieder in einer sanierten Friedhofskapelle ihr Restaurant Himmel und Erde eröffnet. 32 Jahre lang stand das 1896 eingeweihte, im neugotischen Stil errichtete Gebäude leer, da die Stadt auf dem gegenüberliegendem Firedhof bereits in den Siebzigern eine neue Trauerhalle errichtet hatte. Das Ehepaar Strieder hatte zuvor ein Restaurant in Hadamar-Faulbach betrieben und dort den Architekten Andre Kram kennengelernt, der jahrelang die Idee der Umwidmung des denkmalgeschützten Gebäudes entwickelt hatte.   

Nach vielen Vorgesprächen und Abstimmungen in den städtischen Gremien wurde mit dem Limburger Unternehmer Klaus Ludwig relativ schnell ein Investor gefunden, der das Projekt finanziell gestemmt hat und die Kapelle für einen symbolischen Euro von der Öffentlichen Hand übernahm. „Das alles ging nur in dieser einmaligen Konstellation und weil die Idee stimmte,“ sagt Dorothee Strieder. Neben den denkmalgetreuen Sanierungsarbeiten der historischen Bausubstanz wurde in einem neuen Anbau Patz geschaffen für die Küche, die Lager- und Sanitärräume. Das Heizungsproblem wurde mit einer Wandheizung gelöst, die jetzt sogar den Granit-Fußboden auf angenehme Temperaturen bringt. 

Die Umwidmung eines klerikalen Gebäudes zu einer säkularen Nutzung ging in der katholisch geprägten Region geräuschlos über die Bühne, was auch die jetzigen Pächter positiv überraschte. „Alle finden das Ergebnis toll und viele sind regelrecht begeistert,“ stellen fest. Die bisher in Deutschland einmalige Raumsituation brachte ein dementsprechendes Medienecho und lockte die Gäste in Scharen an. Die ersten zwei Monate war das Restaurant jeden Abend ausgebucht und auch das erste Quartal im neuen Jahr läuft nach Angaben Strieders prächtig. Geboten wird eine leichte mediterrane Küche mit ein paar kräftigen regionalen Tupfern. Die Karte ist zweigeteilt in etwas preisgünstigere „irdische Genüsse“, wo vor allem der regionale Klassiker Himmel & Erde mit Kartoffelbrei und Blutwurst oft verlangt wird. Bei den etwas anspruchsvoller kalkulierten „himmlischen Genüssen“ kommen dann Entenbrust und Lammfilet zum Zug. 

Um sich weiter zu profilieren und im Gespräch zu bleiben, werden regelmäßig Veranstaltungen angeboten. Drei Konzertabende mit klassischer Musik und warmen Buffet waren bereits ausgebucht und in Zukunft wird es auch in Richtung Jazz gehen. Daneben sind Weinverkostungen mit französischen und italienischen Winzern geplant sowie Kochkurse, die schon jetzt ständig nachgefragt werden. Dorothee Strieder ist überzeugt, dass vor allem das permamente, filigrane Feilen am Gesamtkonzept, bei dem jedes noch so kleine Detail auf die besondere thematische Situation mit einem kleinen Schuss Ironie gestaltet wird, wesentlich für den Erfolg ist. „Wir machen uns eben viele Gedanken und investieren viel Liebe in das Projekt. Das merken die Gäste offenbar und honorieren das.“

 

Himmel und Erde

Kapelle am Schafsberg

Joseph-Heppel Straße 1a

65549 Limburg an der Lahn

Tel: 06431 58 47 20 8

www.kapelle-himmelunderde.de

 

Öffnungszeiten

Dienstag bis Freitag 9 – 24 Uhr

Samstag ab 14 Uhr

Sonn- und Feiertag ab 10 Uhr

Montag Ruhetag

Küchenzeiten 11-14, 18-22 Uhr

 

Fläche Restaurant: 90 qm

Plätze innen: max. 80

Plätze außen: 60

Preise Hauptgerichte: 9,80 – 22 Euro

Investition: k.A.

Durchschnittsbon pro Gast: ca. 35 Euro

Speisen zwischen Himmel und Erde in Limburg

Mondfinsternis ohne Zuschauer

Wegen schlechten Wetters hat sich die totale Mondfinsternis gestern Nacht fast ohne Beobachter vollzogen.

Wenn sich am Himmel spektakuläre Ereignisse vollziehen, ist das Publikumsinteresse normalerweise groß. Die Mondfinsternis gestern wollte auf der Sternwarte allerdings niemand verfolgen. Der deutschlandweitweit bewölkte Himmel ließ auch in Stuttgart nur ganz kurz einen Blick auf das Spektakel zu.

„Jetzt hat es sich doch noch gelohnt!“ freut sich Helmut Christian Bauer. Der Chemiestudent aus Reutlingen und Teilzeitmitarbeiter bei der Schwäbischen Sternwarte hatte als einziger auf der Uhlandshöhe ausgeharrt, um die totale Mondfinsternis Mittwoch Nacht zu beobachten. Wie fast überall in Deutschland herrscht aber schlechtes Wetter, weshalb sich sich niemand einfand, das Spektakel zu verfolgen. Die Wahrscheinlichkeit ist zu gering, dass der wolkenverhangene Himmel einen Blick auf den Erdtrabanten zulassen würde.

Tatsächlich zieht am frühen Donnerstagmorgen eine graue, kompakte Wolkenmasse über den Talkessel. Keine Chance mit dem mechanischen Teleskop trotz imposanter Ausmaße den Durchlauf des Mondes durch den Erdschatten zu verfolgen. „Man hat immer Hoffnung,“ sagt Bauer und schaut auf der Terrasse in Richtung Westen, ob sich nicht doch noch ein Loch in den Wolken zeigt. Manchmal würden die Wolken regelrecht zerfetzt, meint er, und deutet auf die schwarzen Flecken, die über dem Killesberg erscheinen. Durchaus möglich, dass der Himmel noch aufreiße. Seine Ahnung trügt offensichtlich nicht, denn schon werden die ersten Sterne sichtbar.

Auf einmal kommt richtig Bewegung hinein und schon schimmert der Vollmond dünn am Himmel. Schnell bringt Bauer jetzt die drehbare Holzkuppel des Turms in die richtige Position und öffnet den Beobachtungsschlitz. Dann wird der historische Carl-Zeiss-Refraktor, das mit Kurbeln und allerlei wunderlicher Technik etwas altertümlich anmutende mechanische Teleskop, in Stellung gebracht. Fast hundert Jahre ist das aus blau lackiertem Gussmetall und gold poliertem Messing bestehende Fernrohr alt und scheint einem Jules-Verne-Film entnommen. Früher gehörte es einem Fabrikanten aus Korntal, bis es 1948 auf der Uhlandshöhe aufgestellt wurde. Der Blick durch die Linsen zeigt den Mond nun bildfüllend und etwas erstaunt nimmt man zur Kenntnis, das die totale Finsternis am Höhepunkt des himmelsmechanischen Großereignisses gar nicht so total ist. Es sieht mehr so aus, als sei nun ein dicker schwarzer Fleck auf dem ansonsten hellgrauen Himmelskörper. Das sei eine optische Täuschung, ausgelöst durch die Ablenkung des Lichts in der Atmosphäre, klärt Bauer auf.

 Trotzdem: es stellt sich dieses eigentümliche Gefühl ein, ein winziger Teil eines gewaltigen, universalen Spiels von Planeten zu sein, auf die mit mathematischer Exaktheit ewige Kräfte wirken, endlos im Raum kreisend. Leider ist nach zwei Minuten schon wieder alles vorbei. Der Himmel zieht sich wieder zu, das faszinierende Himmelsspektakel verwandelt sich in einen viel zu frühen, viel zu grauen, nasskalten Februarmorgen. Vielleicht wird es ja 2011 besser, dann wird es wieder einen beobachtbaren Erdschatten auf dem Mond geben.

 [Der Artikel ist am 22. Februar 2008 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Mondfinsternis ohne Zuschauer

VfB deklassiert KSC beim virtuellen Südwestderby

Verbunden über das Internet standen sich in einem virtuellen Fußballspiel Profis aus Stuttgart und Karlsruhe live gegenüber 

Wenn es am Samstag so läuft wie gestern Abend in der Carl Benz Arena, dann entscheidet der VfB das mit Spannung erwartete Südwestderby gegen den Karlsruher SC klar für sich. Bei der virtuellen Partie hatten die badischen Blauen jedenfalls nicht die Spur einer Chance.

 

 Mehr als 600 VfB-Fans waren am gestrigen Abend begeistert von der Leistung ihrer Mannschaft, auch wenn die in der Mehrzahl aus programmierten Computerschöpfungen bestand. 6:2 stand es am Schluss in der Carl Benz Arena beim Abpfiff des so genannten CyberDerbys, wie der VfB-Hauptsponsor EnBW die von ihm durchgeführte Veranstaltung getauft hatte. Drei Tage vor dem echten Südwestderby gegen den badischen Erzrivalen Karlsruher SC standen sich je vier Profis beider Mannschaften in einem virtuellen Fußballspiel gegenüber. Das Publikum konnte die Auseinandersetzung live auf Großbildleinwänden in beiden Städten verfolgen.

 Auf Seiten des VfB hatten Roberto Hilbert, Alexander Farnerud, Andi Beck und Manuel Fischer Platz genommen und die Finger an den Konsolen, beim KSC waren es unter anderem Kapitän Timo Staffelt, Maik Franz und Florian Dick. Ergänzt wurden die Teams mit jeweils einem durch Verlosung ermittelten Fan. Im VfB-Team trat Carsten Leifer aus Gärtringen an, der vor dem Spiel recht nervös war und sich nicht viel Chancen ausrechnete. „Wird bestimmt schwer, gegen die zu spielen, das sind doch alles Profis,“ sagte der 19-Jährige, der sich die Bundesligaspiele ansonsten in seiner Stammkneipe anschaut und nur ab und zu ins Stadion geht.

 Angeheizt durch einen Auftritt des Schlagersänger Schwabenkönig, der live seine Fan-Hymne „Ein Stern (der über Stuttgart steht)“ intonierte, feuerten die Fans dann frenetisch ihre auf der Bühne sitzenden Fußballidole an und ließen die Halle erbeben, als die virtuelle Mannschaft in den weißen Trikots und dem roten Brustring gleich zu Beginn in Führung ging. Das Besondere an der recht flüssig und fast lebensnah anzuschauenden Software: Die Programme enthalten tausende detaillierte Profile von den tatsächlichen Mannschaften der laufenden Saison. Daher konnten die Profis selbst ihre elektrischen Doubles mit Daumen und Zeigefinger steuern. Privileg der Profis, während der Amateur eher das Rollenspiel genießt. Der Rest der Mannschaften und der Schiedsrichter werden per Zufallsgenerator hinzugerechnet. Auch der Torwart, worin der schlagfertige Roberto Hilbert kein Problem sah. Es sei bekannt, dass der VfB gute Torhüter habe, da werde schon nichts anbrennen. Alle Spieler sind im übrigen erfahrene „Zocker“, wie sich die Konsolenspieler selbst nennen.

 So wie Jungtalent Manuel Fischer, der sich die Langeweile im VfB-Sportinternat eher mit „Daddeln“ als mit einem Buch vertreibt. Wie es sich für einen ehrgeizigen Jungprofi gehört, kommen natürlich keine gewalttätigen Ballerspiele auf den Schirm, sondern es wird mit Programmen wie FIFA 2008 oder Pro Evolution Soccer der Fußballleidenschaft gefrönt. Dabei entstehen Kompetenzen, die Manager Horst Heldt gehörig Respekt abnötigen. Früher hat er sich auch an Videospielen versucht, aber jetzt sei er aus dem Alter raus und könne auch nicht nur annähernd mit seinen Schützlingen mithalten. Was die drauf haben, zeigte der Spielverlauf: Der KSC wurde an die Wand gespielt. Die erste Halbzeit endete mit 1:5 für den VfB und selbst ein technisches Problem zu Beginn der zweiten Halbzeit, das drei VfB-Spielern die Kontrolle über ihren Doppelgänger entzog, konnte am Spielverlauf nichts wesentliches mehr ändern. Besonders Manuel Fischer tat sich positiv als dreimaliger Torschütze hervor, gemäß seiner natürlich nicht ernst gemeinten Aussage „Superargumente“ ihn am Samstag von Beginn an spielen zu lassen. Ob Armin Veh das ähnlich sieht, bleibt abzuwarten, denn das Derby ist „sehr wichtig für uns und für viele das wichtigste Spiel des Jahres“, so Horst Heldt. Durch den gelungenen virtuellen Auftakt dürften die Spieler zumindest psychologisch gestärkt in die Partie gehen.

 [Der Artikel ist am 20.Februar 2008 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

VfB deklassiert KSC beim virtuellen Südwestderby

Armut zerstört die Würde des Menschen

Ein Bischof aus Burundi ist Ehrengast bei der Feier der katholische Diözese zum 50-jährigen Jubiläum von Misereor

 Zum Start der diesjährigen Fastenaktion des katholischen Hilfswerks Misereor in der Diözese Rottenburg-Stuttgart fand gestern ein bunter Gottesdienst in der Kirche St. Georg statt. Ehrengast war Bischof Joseph Nduhirubusa aus Burundi, der in seiner Predigt Hilfe zur Selbsthilfe forderte.

 Mit einem bunten Gottesdienst feierte gestern die katholische Diözese Rottenburg-Stuttgart in der Kirche St. Georg den Start der Fastenaktion 2008, die in diesem Jahr unter dem Thema „Mit Zorn und Zärtlichkeit auf der Seite der Armen“ steht. Besonders feierlich wurde der Anlass ausgestaltet, da in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum des Hilfswerks Misereor begangen werden konnte. Ehrengast war Bischof Joseph Nduhirubusa, seit 1980 Oberhirte der Diözese Ruyigi im Osten des zentralafrikanischen Staates Burundi.

 Das fruchtbare Land zwischen Viktoria- und Tanganjikasee, das jahrzehntelang unter politischen Unruhen und Konflikte zwischen den Volksgruppen heimgesucht wurde, ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Folgen für die meist ländliche Bevölkerung in dem dicht besiedelten Land sind fatal. Mehr als 60 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze und jeder Dritte ist tagtäglich von Hunger betroffen. In seiner auf deutsch gehaltenen Predigt prangerte Bischof Nduhirubusa denn auch die „spirituelle und materielle Armut“ an, unter der die Menschen in weiten Teilen Afrikas zu leiden hätten.

 Ausbeutung, Gewalt, fehlende Bildung, Mangel an Lebensmitteln und nicht existente Gesundheitsversorgung, all diese Verhältnisse seien zu provozierend, um darüber hinwegzusehen. „Alle Formen dieser Armut verletzen und zerstören die Würde der Menschen,“ sagte Nduhirubusa. Er dankte „den Brüdern und Schwestern im Norden“ für die Hilfe in den letzten Jahrzehnten, die dazu beitrage, dass sich die Menschen selbst entwickeln könnten.

 Hilfe zur Selbsthilfe steht denn auch im Zentrum der Aktivitäten von Misereor, das mit den Spendengeldern den Aufbau von Strukturen unterstützt, um burundischen Kleinbauern ein Auskommen zu sichern. Dabei kümmert man sich vor allem um die Kaffeebauern, meist Kleinproduzenten, damit diese sich auf dem ungerechten Markt besser behaupten können. Es werden selbstverwaltete Sammelstellen eingerichtet und der Aufbau einer nationalen Interessenvertretung logistisch unterstützt. Mit Erfolg, denn die Projekte haben eine solche Wachstumsdynamik entfaltet, dass es der Organisation im Moment an Kapazitäten fehlt, um allen Nachfragen nach Gründung und Unterstützung örtlicher Organisationen nachzukommen. „Misereor will die Menschen erreichen, um ihr Potenzial zur vollen Entfaltung zu bringen,“ sagte Nduhirubusa in seiner Predigt. Die zahlreichen Anstrengungen könnten diese zwar nicht sofort aus der Armut befreien, bringe ihnen aber Ermutigung und Lebensfreude.

 Ein wenig afrikanische Emotionen wurden dann auch in die zahlreich erschienen Gläubigen transportiert. Der Auftritt des Chores der hiesigen ghanaischen Gemeinde in leuchtend roten Gewändern und von Trommeln begleitet war der Höhepunkt eines Gottesdienstes, der die weltweite Solidarität der katholischen Christen eindringlich vor Augen führte.

 [Der Artikel ist am 18. Februar 2008 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Armut zerstört die Würde des Menschen

„Igitt, die Alten knutschen ja!“

Angesichts des demographischen Wandels setzt das JES den Dialog zwischen den Generationen auf den Spielplan

 Fakt ist: die Gesellschaft altert und es gibt zu wenig Kinder. Um die Konsequenzen dieses Prozesses zu verdeutlichen und ein bisschen zu beeinflussen, hat sich das JES mit einer neuen Veranstaltungsreihe dem Thema „Älter werden“ angenommen.

 Von Dirk Baranek

 Das Thema demographischer Wandel steht im Mittelpunkt der aktuellen Spielzeit des Jungen Ensemble Stuttgart (JES). In der Reihe „Älter werden – oder wie die Zeit vergeht“ werden in den nächsten Monaten nicht nur passende Theaterstücke aufgeführt, sondern erstmals mit Podiumsdiskussionen begleitet. So ganz mag man aber auf den Einsatz schauspielerischer Mittel nicht verzichten, wie bei der Auftaktveranstaltung am Mittwoch deutlich wurde. Der Abend begann mit einem „szenischen Impuls“, bei dem ein Dutzend Jugendlicher in kleinen Dialogszenen ihre Gedanken, Gefühle und Hoffnungen zum Thema „Älter werden – wie die Alten immer mehr werden“ zum Ausdruck brachten. Mit viel direkter Sprache und einigem Humor wurden jugendliche Vorurteile und Distanz gegenüber der älteren Generation angesprochen und über die eigene Zukunft nachgedacht. Dabei kamen Ängste zum Vorschein wie die vor Krankheit und Einsamkeit. Der gut gefüllte Saal zeigte besonders beim Thema Sexualität im Alter amüsierte Reaktionen, als mit dem Spruch „Igitt, die knutschen ja!“ ein imaginiertes Seniorenpaar kommentiert wurde.

 Nach diesem anregenden Einstand der Global Players nahm die folgende Podiumsdiskussion gleich gut Fahrt auf. Moderiert von der SWR-Journalistin Martina Klein versuchten vier frisch gewählte Jugendstadträte und Claudia Hübner, Staatsrätin für demographischen Wandel und Senioren im Staatsministerium Baden-Württemberg, das Thema zu vertiefen. Hübner, die die einzige Stabsstelle zu diesem Thema bundesweit leitet, stellte gleich zu Beginn die Fakten klar.

 Baden-Württemberg habe zwar nach dem Krieg von Zuzug und Bevölkerungswachstum profitiert, werde aber bis 2050 vermutlich eine Million Einwohner verlieren, „zweimal Stuttgart“. Zudem wird sich der Altersdurchschnitt wesentlich erhöhen. „Das ist neu in der Geschichte der Menschheit,“ sagte Hübner. Deshalb müssten jetzt Anpassungs- und Gegenstrategien entwickelt und umgesetzt werden. Altersgerechte Infrastrukturen sind dabei nur ein Punkt. Auch die Einstellung zu Kindern müsse sich ändern. „Wir brauchen eine gesellschaftliche Wertschätzung von Familie und Kindern,“ forderte Hübner.

 Konsens auf dem Podium war, dass sich das öffentliche Bild dessen, wer denn nun ab wann alt sei, im Moment entscheidend verändert. Die Altersgrenzen verschieben sich immer mehr. Ein Mensch mit 60 habe zukünftig noch einige Jahrzehnte Lebenszeit vor sich. Es konmme jetzt darauf an, diesen Umstand bei der Politikplanung auf allen Ebenen einzubeziehen. Dem dient auch der Generationenvertrag, den die Stadt im Herbst verabschiedet hat und Teil der Arbeit der anwesenden Jugendstadträte ist. Diese wünschten sich ein besseres Verständnis zwischen Alt und Jung, das bisher noch auf beiden Seiten von kräftigen Vorurteilen geprägt sei. Allerdings ist es nicht einfach, das Thema alternde Gesellschaft in die Köpfe der Jugendlichen zu bringen, wie deren Vertreter unverblümt zugaben.

 Aus dem Publikum, das sich mit zahlreichen Wortmeldungen angeregt an der Diskussion beteiligte, kamen dann auch die sozialen Fragen auf den Tisch, wie die von Frühverrentung und Altersarmut. Die Auflösung der starren Altersgrenzen könnte eine Lösung sein, hoffte Claudia Hübner, in den Unternehmen finde bereits ein Umdenken statt. Der Abend war insgesamt ein erster wertvoller Schritt, den Dialog der Generationen voranzutreiben. Drei weitere folgen in den nächsten Wochen.

 [Der Artikel ist am 15. Februar 2008 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

„Igitt, die Alten knutschen ja!“