Fledermäuse beißen nicht – Die Batnight in Stuttgart

Im Rahmen der 11. Europäischen Batnight informierten sich am Samstag Abend 50 Fledermausfans am Max-Eyth-See über das Leben der nachtaktiven Säuger. In Stuttgart leben neun Arten der geschützten Hautflügler.

Aus dem schuhkartongroßen Gerät knattert es auf einmal wie bei einem Geigerzähler. „Jetzt jagen hier mindestens drei Exemplare,“ sagt Herr Günther und 50 Augenpaare starren in den Abendhimmel. Da sind dann auch schon: schwarze Schatten, die lautlos mit hektischem Zickzack über die Köpfe dahinsausen. Wahrscheinlich handelt es sich um Große Abendsegler, die heute wie jeden Abend zum Max-Eyth-See gekommen sind, um die hier reichlich vorhandenen nachtaktiven Insekten zu erbeuten.

Bis zu neun verschiedene Arten von Fledermäusen kann man in lauen Sommernächten am Rand dieses kleinen Biotops beobachten. 200 bis 300 Exemplare, die auch von der Villa Berg vor allem aber aus den Wäldern des gegenüber liegenden Neckarufers kommen, finden sich ein, um den Tagesbedarf von sechs bis neun Gramm Insekten zu decken. „Da braucht man ganz schön lange, bis man die zusammen hat,“ sagt Dr. Thomas Günther, der die kleine Exkursion leitet.

Herr Günther ist aktiv bei der Stuttgarter Gruppe des Naturschutzbundes (NABU), der sich mit dieser Veranstaltung an der 11. Europäischen Batnight beteiligt, in deren Rahmen in ganz Europa über die immer noch unheimlich wirkenden Säuger informiert wird. „Es ist eine sehr erfolgreiche Spezies, die es seit 50 Millionen Jahren gibt und fast auf dem gesamten Globus vertreten ist. Die werden uns sicherlich überleben,“ sagt Herr Günther und hält wieder das Mikrofon des Batdetektors in die Luft. Mit dem Gerät werden die Ultraschallwellen, die die Hautflügler erzeugen, hörbar gemacht. Man kann froh sein, dass man die Frequenzen zwischen 20 und 40kHz, die die rasenden Nachtjäger ausstoßen, nornalerweise nicht hören kann, es wäre eine infernalische Geräuschkulisse. Vorbei wäre es mit den ruhigen Abenden, denn bis zu 120 Dezibel laut sind die Töne und obendrein noch unregelmäßig.

Jetzt knattert es richtig hektisch – das Jagdglück war dem schwarzen Schatten hold. „Gerade hat er Beute gemacht, dabei verändert sich die Frequenz,“ weiß Herr Günther. Er kann natürlich noch viel mehr erzählen, über diese „Bio-Indikatoren“, denn Fledermäuse leben gerne in menschlichen Zusammenhängen und wo sie abziehen, da wird es auch für den Homo Sapiens eng.

Die hiesigen Arten – Abendsegler, Große und Kleine Zwergfledermaus oder die Rauhautfledermaus – haben Spannweiten von bis zu 40 Zentimeter und hängen tagsüber je nach Art in hohlen Baumstämmen, Höhlen oder leerstehenden Gebäuden. Jetzt im August fressen sie sich Speck an, um für den Winterschlaf gerüstet zu sein. Blut saugen sie natürlich nicht, sondern haben es auf Insekten abgesehen, die wohl dachten, sie könnten mit einem Leben in der Nacht dem Schicksal als Beutetier der Vögel entgehen. Da haben sie die Rechnung ohne die fast blinden, wahrscheinlich nur schwarz-weiße Schemen sehenden Jäger gemacht.

Mit ihren individuellen Schallwellen können sie sogar Objekte von der Größe eines halben Millimeters unterscheiden. Angst muss man vor den Tieren wahrlich nicht haben. „Fledermäuse sind handzahm und erkennen den Menschen nicht als natürlichen Feind,“ sagt Herr Günther. Die Haltung als Haustier ist allerdings verboten, aber wenn sich mal ein Exemplar in die gute Stube verirrt, ist keine Panik angesagt. Fledermäuse beißen normalerweise nicht.

[Der Artikel erschien am 27. August 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG]

Fledermäuse beißen nicht – Die Batnight in Stuttgart

Anwaltlicher Notdienst hilft bei Strafsachen

Der Stuttgarter Anwaltsverein bietet seit 1984 einen kostenlosen Rechtsbeistand für Beschuldigte in Strafsachen an

Was tun, wenn man einer Straftat beschuldigt wird und spät in der Nacht besser einen Anwalt zur Seite hätte? Für solche Fälle bietet der Stuttgarter Anwaltsverein einen kostenlosen telefonischen Notdienst. Die Rechtsanwältin Heidi Riediger ist dort seit Jahren ehrenamtlich tätig und berät vor allem bei Verkehrs- und Drogendelikten sowie bei Taten gegen Leib und Leben.

Es ist die klassische Krimi-Szene: der zwielichtige Verdächtige verwickelt sich im Laufe des Verhörs in Widersprüche und zieht die Notbremse. „Ich verweigere die Aussage und möchte mit einem Anwalt sprechen.“ Lange Gesichter bei den Beamten vom Morddezernat, Schulterzucken und bedeutungsvolle Blicke schließen solche Szenen meistens ab. Soweit also erstmal alles gut für den bösen Buben, der die Telefonnummer seines Rechtsbeistands natürlich im Schlaf hersagen kann, vermutlich weil er diese täglich wählt.

Was aber macht ein bisher unbescholtener Bürger, der mit Strafverfolgern eher selten zu tun hat und nun in eine Situation geraten ist, in der es ratsam erscheint, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen? Wen mitten in der Nacht anrufen? Für solche Fälle bietet der Stuttgarter Anwaltsverein seit 1984 den kostenlosen Anwaltlichen Notdienst in Strafsachen. Unter der Nummer 0711-2369306 kann man in den Abend- und Nachtstunden zwischen 18 und 8 Uhr jederzeit einen Anwalt erreichen. 50 Stuttgarter Rechtsanwälte sind ehrenamtlich für den Dienst tätig, der mittels eines Mobiltelefons organisiert wird, das wie ein Staffelstab weitergereicht wird. Seit vielen Jahren auch an Heidi Riediger (64), die ihr Büro in der Kanzlei Bächle in der City hat. „Vor allem wenn die Volksfeste stattfinden auf dem Wasen oder der Fischmarkt, dann ist am meisten los,“ berichtet die seit 1972 als geborene Badnerin in der Stadt tätige Anwältin. Denn in den meisten Situationen, in denen Beschuldigte einen Rat suchen, handelt es sich um Verkehrsstraftaten, bei denen legale oder illegale Drogen im Spiel waren. Gerade die Frage, ob man jetzt eine Blutprobe über sich ergehen lassen muss, wird immer wieder gestellt. Man muss: „Die Gegenseite hat auch einen Notdienst und beantragt dann einen Beschluss des Richters. Keine Chance,“ meint Frau Riediger.

Ein weiter Komplex der Tatbestände sind die Fälle von Gewalt gegen Leib oder Leben. Bei Wirtshausschlägereien oder Familienstreitigkeiten gerät eben schon mal ein Neuling in die Mühlen der Justiz und ist verunsichert, ob denn richtig mit ihm verfahren wird. „Hier beruhigen wir erstmal am Telefon und klären über den Ablauf des Verfahrens auf. Meistens geht ja auch alles korrekt zu,“ meint Frau Riediger, rät allerdings Augen und Ohren aufzusperren: „Ein gesundes Misstrauen ist immer angebracht.“ Zwar verhalten sich ihrer Einschätzung nach 80 % der Polizeibeamten tadellos, aber es gibt auch Fälle, da platzt einem der Kragen. Es gibt eben Spielräume, auch bei dem Recht auf anwaltlichen Beistand. Das hat man zwar prinzipiell und kann darauf bestehen, aber in harten Fällen muss der Delinquent schon mal etwas länger warten, bis er zum Telefon greifen darf. Und ob man die Nummer kriegt, ist vom guten Wille der Beamten abhängig. Der Anwaltsverein fordert denn auch, dass ein Plakat mit der Notfallnummer auf jeder Polizeistation in Stuttgart angebracht wird.

Ein wichtiges Tätigkeitsfeld ist auch der Bereich Opferhilfe. Oft fühlen sich von Straftaten Betroffene nicht richtig behandelt. Hier fällt einem sofort der klassische Fall der vergewaltigten Frau ein, die in der Macho-Polizei-Welt nicht ernst genommen wird. Die Realität sieht radikal anders aus, meint Frau Riediger: „Betroffene Frauen können auf einem weiblichen Vernehmungsbeamten bestehen, aber auch die männlichen Kollegen sind hervorragend geschult. Denen kann man sich vorbehaltlos anvertrauen.“ Überhaupt sind nach ihrer Meinung die Einrichtungen der Justiz und der Sozial- und Jugendämter gut aufeinander eingestellt und können zu jeder Tages- und Nachtzeit Hilfe für in Not Geratene leisten. „Stuttgart hat da ein ganz gutes Netz.“

Ärger gibt es mit dem Notdienst kaum, nur Anrufe, weil die Nachbarn mal wieder zu laut feiern, die werden nicht bearbeitet. Für zivilrechtliche Streitfälle ist das die falsche Nummer. Noch eine letzte Frage zu der Eingangsszene: Ist eigentlich die Verweigerung der Aussage wirklich die beste Strategie? Antwort: „Meistens ist es besser. Neulich bin ich angerufen worden, da hatte eine Frau ihren Mann erschossen. Der habe ich als erstes geraten: Maul halten!“

[Der Artikel erschien in redigierter Form in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 09.August 2007]

Anwaltlicher Notdienst hilft bei Strafsachen

Neue Werkstatt statt Rentnerdasein: Ein Besuch beim einzigen Schuhmachermeister in der City

Mit 65 Jahren hat der Schuhmachermeister Paul Dambacher eine neue Werkstatt in der City eröffnet

Ein Schlaglicht auf die aktuelle Situation des Handwerks warf gestern ein Betriebsbesuch der Handwerkskammer der Region Stuttgart sowie der Kreishandwerkerschaft beim Schuhmacher Paul Dambacher. Dieser hat vor drei Monaten eine Werkstatt in der Schulstraße eröffnet und ist damit der einzige Schuhmacher mit Meisterbrief in der City.

Für die meisten fällt mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters endgültig die letzte Klappe im Berufsleben. Nur wenige sind weiter mit Spaß an der Sache dabei und verlängern. Zu Letzteren gehört Schuhmachermeister Paul Dambacher (65). Als für ihn im Januar 2007 nach 26 Jahren Schluss war mit der Werkstatt im Untergeschoss des Salamanderhauses in der Königstraße, suchte er sich kurzerhand eine neue Wirkungsstätte. Seit Mai steht er nun alten und neuen Kunden in der Schulstraße 7 zur Verfügung, um Absätze und Sohlen zu erneuern oder einen Reißverschluss an den teuren Stiefeln zu ersetzen. „Ich bin der einzige Schuhmacher mit Meisterbrief in der City und meine Kundschaft bleibt mir treu“, wusste er gestern zu berichten, als die obersten Funktionäre der Stuttgarter Handwerkschaft seinem Ein-Mann-Unternehmen anlässlich eines öffentlichen Betriebsbesuchs eine Stippvisite abstatteten.

 „Wir suchen mit diesen Besichtigungen den direkten Kontakt zu den Betrieben, um uns über deren authentische Sorgen und Wünsche zu informieren,“ begründet Claus Munkwitz, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer der Region Stuttgart, die einmal im Quartal stattfindenden Vor-Ort-Gespräche. Sorgen drücken Dambacher zurzeit eigentlich nicht. Er hat nach reichlichem Bemühen eine neue Werkstatt gefunden, die sowohl in der Größe als auch bei der Miete seinen Vorstellungen entspricht. Da er seine Stammkundschaft mitnehmen konnte, laufen die Geschäfte akzeptabel. Gleiches gilt für die gesamte Handwerkerschaft in der Region. „Die letzte Konjunkturumfrage unter den hiesigen Betrieben brachte eine überwiegend positive Resonanz“, berichtet Munkwitz. „Die Umsätze steigen und mehr ausgebildet wird auch.“ Wenn es Bewerber in ausreichender Qualität gibt und da hapert es manchmal.

Ein Grund ist das Image-Problem der Handwerksberufe meint Munkwitz: „Jahrelang gab es einen fast krankhaften akademischen Dünkel. Abitur und Studium waren Pflicht. Handwerkliche Arbeit hingegen wurde gesellschaftlich fast geächtet.“ Ausdrücklich ermutigt er junge Leute, sich auf ein Schnupperpraktikum einzulassen. „Wenn die Chemie stimmt, sich Engagement zeigt und eine schnelle Auffassungsgabe, dann sehen die Betriebe auch schon mal über einige schlechte Noten im Zeugnis hinweg.“

Auch Meister Dambacher würde eventuell ausbilden und bei ihm kann man das Handwerk sicherlich von der Pike auf lernen. Zwar benötigt seine Kundschaft meistens nur Reparaturen an Schuhen und Lederwaren, aber er fertigt auch ab und zu Maßschuhe an. „Das Interesse ist schon da, aber bei Preisen von 500 EUR an aufwärts lässt es bei den meisten doch relativ schnell nach.“ Die Liebe zum Beruf zwischen Leimgeruch und Ledernähmaschine, die lernt man hier aber ganz sicher. Denn trotz der harten Konkurrenz durch die Schnellschustereien bereut er nichts. „Man hat keinen Druck von oben und ist sein eigener Herr. Jederzeit wieder!“

[Der Artikel ist Ende Juli 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen.]

Neue Werkstatt statt Rentnerdasein: Ein Besuch beim einzigen Schuhmachermeister in der City

Slow Baking in Stuttgart: Langsames Brot

Brot im Zeichen der Schildkröte: Langsam zur Qualität. Mit diesem Motto versuchen auch in der Region Stuttgart einige Bäcker dem mörderischen Preiskampf mit den Backdiscountern zu begegnen.

Brot ist ein Thema, das den Menschen ins Mark geht. Es hat Revolutionen ausgelöst und Kriege entfacht, ganze Zivilisationen lebten nach seinem Rhythmus. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei, das älteste Nahrungsmittel der Welt gibt es an jeder Ecke. Aber hier stellt sich das nächste Problem: Was ist das beste Brot? Dazu hat jeder eine Meinung und vertritt sie mit viel Leidenschaft. Im Stuttgarter Stadtblog brach ein Brotkrieg aus, als ein Autor über einen lokalen Großbäcker herzog.

Preis frisst Qualität
Dabei ist die Lage dieses traditionsreichen Handwerks nicht gerade rosig. Günter Semmig, Geschäftsführer der Stuttgarter Bäckerinnung, kann sich noch an Zeiten vor 20 Jahren erinnern, in denen es über 200 Mitgliedsbetriebe in der Stadt gab. Daraus sind inzwischen 47 geworden, aus vielfältigen Gründen, wie er meint: „Nachwuchsprobleme, Zurückhaltung der Banken und die wirtschaftliche Macht von Filialisten und Discountern haben den Einzelbäckern in den letzten Jahren zugesetzt. Aber die Situation bessert sich. Es gibt ein deutliches Licht am Ende des Tunnels.“ Ursache dieser Entwicklung sind wie immer die Konsumenten. Zwar rennen viele nach wie vor in die Discounter, die in Fabriken vorgefertigte Teiglinge in Heißluftöfen ausbacken und diese dann noch warm an den Endkunden bringen – zu Preisen, mit denen die eingesessenen Bäckermeister nicht konkurrieren können. Auf der Strecke dieses Herstellungsverfahrens bleibt aber die Qualität. Denn Brot ist ein lebendiger Werkstoff, der sich nicht beliebig industriell anfertigen lässt. Das Problem also: Der Preis frisst die Qualität.

Slow Baking als Gegenstrategie
Eine fatale Entwicklung, der Einhalt zu gebieten, sich Werner Kräling aus dem sauerländischen Winterberg vorgenommen hat. 2003 hat er den Verein    Slow Baking ins Leben gerufen. „Wir wollen die Betriebe ermutigen, wieder verstärkt auf traditionelle Verfahren zurückzugreifen, ein authentisches Handwerk auszuüben und damit eine Qualität im Premium-Bereich zu liefern.“ Eine ständig steigende Zahl von Betrieben verschreibt sich den Zielen seines Vereins oder lässt sich sogar nach dessen strengen Richtlinien zertifizieren. Im Vergleich zum Gesamtmarkt bewegt sich die Zahl der langsamen Bäcker allerdings im einstelligen Prozentbereich.

Slow baking? Was soll das jetzt wieder sein? Klar, der Begriff „slow“ im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln wurde durch die Slow-Food-Bewegung in der genussfreundlichen Öffentlichkeit bekannt gemacht – als Gegensatz zum teuflischen Fast Food. Bei Slow Food geht es vor allem um die Abneigung gegen die geschmackstötende industrielle Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln mit all ihren Problemen beim Energieverbrauch, beim Tierschutz, bei der Landschaftszerstörung und dem Verkehrschaos, um nur einige zu nennen. Gegen diese Horrorszenarien werden Werte wie regionale, traditionell hergestellte und verarbeitete Lebensmittel gesetzt. Schmecken einfach besser, auch im Kopf.

Das langsame Backen
Und das langsame Backen? Das bezieht sich jetzt hauptsächlich nicht auf den Backvorgang als solchen, sondern um den Zeitraum davor, den Prozess der Teigherstellung. Von vorne: Was ist Brot? Grob gesagt: gemahlenen Grassamen wird Wasser in einem Knetvorgang zugesetzt, diese Masse wird unter Zusatz von Hefepilzen zum Gären gebracht und dann im Ofen unter Hitzeeinwirkung das Wasser wieder entzogen. So einfach, so schwierig, denn vor allem die Reife des Teigs kostet Zeit und hört nicht von allein wieder auf. Und das gebackene Ergebnis soll ja auch schön „rösch“ auf den Tisch kommen.

Im Sinne der Slow-Food-Bewegung
Roman Lenz, Vorsitzender von    Slow Food Stuttgart, kann sich mit den Zielen des Slow Baking durchaus identifizieren, vor allem was die technologische Seite der Brotherstellung betrifft: „Dieses Prinzip der langen Teigführung und der ausgereiften Natursauerteige entspricht unseren Zielen. Allerdings ist für uns die regionale Organisation der Zutaten, der Herstellung und des Vertriebs auch ein sehr wichtiger Punkt.“ Die Wünsche von Lenz gehen allerdings noch weiter: „Holzofenbrot bekommt man in der Region nur noch in einigen dörflichen Gemeinschaftsbackhäusern, die übrigens wieder im Aufschwung sind. Ich glaube, was in der Innenstadt aus Gründen des Emmissionsschutzes früher kaum genehmigungsfähig war – es qualmt einfach zu stark – müsste doch heute technisch machbar sein…“ Für Lenz beeinflusst die Art der Herstellung ganz elementar den Geschmack und deshalb hat der Rückgriff auf die fast schon ausgestorbenen Methoden auch nichts mit Traditionspflege oder purer Nostalgie zu tun. Ein bisschen teurer darf es denn auch sein…

Der Stuttgarter Slow-Baking-Bäcker
Genau in diesem Premium-Segment versucht Wolfgang Treiber sein Unternehmen aus Leinfelden-Echterdingen zu positionieren. Wolfgang Treiber ist Mitglied bei slow baking, wirkt nicht wie ein esoterischer Fantast, sondern ist ein gestandener, schwäbischer Mittelständler in den besten Jahren. Seit drei Generationen ist die Familie im Bäckerhandwerk tätig und das Unternehmen ist inzwischen auf 18 Filialen und 300 Mitarbeiter gewachsen. Über 150 verschiedene Backwaren verlassen täglich frisch die zentrale Fertigung und Treiber kann über die landläufigen Meinungen zu dieser Art der Organisation nur den Kopf schütteln. „Die Leute meinen, wenn das Brot aus einem 2-Mann-Betrieb kommt, sei es per se besser. Das ist totaler Quatsch!“ Denn ob in Fabriken industriell gebcken wird oder ob der Bäcker vor Ort industriell hergestellte Vorprodukte weiterverarbeitet, läuft letztendlich auf das Gleiche hinaus. „Mir ist die Qualität wichtig und der Geschmack. Sie müssen mal eines von diesen noch warmen Brötchen aus dem Backdiscounter aufbrechen und tief dran riechen – das stinkt ja förmlich nach Chemie!“

Slow Baking in Backnang
Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Geschmacksverstärker, chemische Frischhaltemittel, Emulgatoren – all das kommt auch bei Bernd Mildenberger nicht in Teig. In Backnang und den umliegenden Gemeinden vertreibt er in 29 Filialen seine Backwaren. Seine Mitgliedschaft bei Slow Baking sieht er entspannt. „Im Grunde haben wir das schon immer so gemacht. Ich möchte diese gute Sache aber unterstützen und habe mir auch schon die eine oder andere Anregung von dort geholt.“ Auch er hofft, dass sich bei auch bei den Brotessern letztendlich die Qualität durchsetzt und dass sie bereit sind, für die weltweit einmalige Vielfalt an Backwaren etwas mehr zu bezahlen.

[Veröffentlicht in LIFT 11/2007]

Slow Baking in Stuttgart: Langsames Brot

Stuttgarter Weblogs 2006: Stimmen der Stadt

 

In Stuttgart werden täglich Weblogs mit Meldungen, Meinungen und Mitteilungen befüllt. Ein Rundgang durch die hiesige Blogosphäre.

Ein Weblog kann jeder mit ein paar Klicks beginnen. Vielleicht 2.000 Internetnutzer aus der Region Stuttgart haben dies bisher getan, denn Bloggen ist einfach. Bloggen kann jeder, der einen Internetanschluss hat und eine Datenmaske ausfüllen kann. Technische Kenntnisse braucht es kaum und Anbieter, bei denen man gratis ein Weblog anlegen kann, gibt es inzwischen dutzendweise. Die meisten dieser Blogs kranken allerdings an der Frage: Was schreiben? Denn bei den meisten Schreibern handelt es sich um junge Leute, die oft nicht mehr zu sagen haben, als dass sie sich gerade langweilen und nicht wissen, was sie schreiben sollen. Die allermeisten Blogs sind denn auch Totgeburten, werden nicht weitergeführt und stehen als Datenmüll im Internet. Wenn man diese Spreu vom Weizen getrennt hat, stößt man jedoch auf eine wachsende Zahl von Blogs, die von (halb-)professionellen Autoren geführt werden oder literarisch ambitioniert sind. Deren Lektüre lohnt dann wirklich, weil sie Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnen, die man sonst nicht so einfach erhält. Denn Blogs sind per definitionem radikal persönlich, was den entscheidenden Reiz ausmacht.

 Poodlepop (www.poodlepop.net) und Rabenwerk (www.rabenwerk.de) gehören in diese Kategorie. Zwar wird nicht jeden Tag veröffentlicht, aber beide Blogger haben sich inzwischen mit sehr lesbaren Texten in die erste Liga der deutschen Blog-Landschaft geschrieben. Unter dem Motto „Der weite Weg vom Hundersten ins Tausendste“ werden bei Poodlepop alltägliche Begebenheiten und Auffälligkeiten sarkastisch kommentiert. Oder eine Liste der „schlimmen Städte“ veröffentlicht (Sindelfingen, Böblingen, Singen). Stuttgart ist übrigens nicht dabei, wird ganz im Gegenteil im Kommentarteil sogar heftigst verteidigt. Nicht alles ganz so ernst gemeint, aber nett zu Lesen. Bei Rabenwerk hingegen geht es ernster zu, denn die Bloggerin schreibt anspruchsvolle Kurzgeschichten von einiger Qualität.

Eine neue Entwicklung sind Stadtblogs, also Angebote, die sich thematisch auf die Stadt konzentrieren, aus der die Autoren kommen. „In einer Stadt mit knapp 600.000 Einwohnern muss es doch tausende von verschiedenen Meinungen, Sichtweisen und Positionen geben. Die sollen sich äußern können.“ sagen Ralf Schmid und Diana Wagner von der Stuttgarter Agentur 6B Neue Medien und setzen auf das Mitteilungsbedürfnis normaler Großstadtbewohner. Deshalb haben sie vor ein paar Monaten www.stuttgart-blog.net gegründet. Sie verstehen sich dabei als Katalysatoren und wollen die notwendige Kontrolle bald möglichst wieder abgeben. Eigene Texte veröffentlichen kann hier jeder, der sich zuvor per E-Mail angemeldet hat. Etwa 20 Autoren schreiben inzwischen regelmäßig Beiträge oder Kommentare. Meist handelt es sich um Erlebnisse aus dem Alltag. Berichte über Probleme mit dem Kabelfernsehen stehen neben Weihnachtsfantasien, Gedichten, Ärger mit der Bahn oder Meinungen zum Tunneldeckel an der Kulturmeile – alles sehr persönlich, komplett unausgewogen und von unterschiedlicher Qualität. Die Kosten für die technische Infrastruktur halten sich in Grenzen, sodass 6B nicht daran denkt, Werbung auf die Seiten zu holen.

Das ist bei dem Blognetzwerk www.medienrauschen.com von Thomas Gigold aus Ludwigsburg anders. Gigold ist Netzpionier, Mitbegründer des renommierten Blogs www.medienrauschen.deund Betreiber mehrerer Newsblogs, z.B. von gadgetmania.de, bei dem eine handvoll Schreiber Nachrichten um merkwürdige technische Produktneuheiten kolportieren. Ganz aktuell hat Gigold ein neues Stadtblog ins Leben gerufen, das sich der Region Stuttgart widmet: www.stuttgart-leben.de. Schreiben wird ein fester Stamm professioneller Autoren über und aus der Region. Finanziert werden soll das Ganze durch Werbung. Oliver Gassner aus Vaihingen/Enz gehört zum Team und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Blogging-Phänomen. Neben seinem eigenen Blog – www.typo.twoday.net – betreibt er mit Schriftstellern und literarisch Interessierten aus Baden-Württemberg das litblog.literaturwelt.de. Neben Infos zu Lesungen und aus der Literaturszene sowie neuen Texten gibt es Rezensionen aktueller Publikationen. Sehr ernsthaft das Ganze wie z.B. auch das Blog des Stuttgarter Kulturjournalisten Jürgen Hartmann, der klassische Konzerte, Opern und Ausstellungen kommentiert kulturchronist.blogger.de).

 

Das ist bei den meisten privaten Stuttgarter Blogs ganz anders. Viel Ironie und Sinnfreies kann man hier lesen wie zum Beispiel bei monsterfrosch.blogg.de, in dem ein wöchentliches Foto den Inhalt eines öffentlichen Paperkorbs im Rosensteinpark dokumentiert – eine wunderbare Chronik der Alltagskultur von ganz unten. Auch bei Jan Theofel, IT-Unternehmer aus Zuffenhausen, ist alles sehr persönlich. In „Jans Küchenleben“ (www.theofel.de) kann man private Kochversuche verfolgen, mit Rezepten und Fotos der fertigen Gerichte. Aus seinem wechselvollen Studentenleben berichtet täglich Henrik Holzhausen (www.vcinfo.blog.de) inklusive Kneipentouren, WG-Leben und Lieblingsmusik. Das alles sind aber nur Beispiele aus der sehr vielfältigen Stuttgarter Blogosphäre. Wer mehr Stimmen der Stadt entdecken möchte, geht auf eine der Blogsuchmaschinen (z.B. bei Blogsuch von Googleoder Technorati), tippt “Stuttgart” ein und lässt sich überraschen.

[Der Artikel entstand Anfang Januar 2006 und wurde veröffentlicht in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 25.01.2006]

 

Stuttgarter Weblogs 2006: Stimmen der Stadt