Neue Werkstatt statt Rentnerdasein: Ein Besuch beim einzigen Schuhmachermeister in der City

Mit 65 Jahren hat der Schuhmachermeister Paul Dambacher eine neue Werkstatt in der City eröffnet

Ein Schlaglicht auf die aktuelle Situation des Handwerks warf gestern ein Betriebsbesuch der Handwerkskammer der Region Stuttgart sowie der Kreishandwerkerschaft beim Schuhmacher Paul Dambacher. Dieser hat vor drei Monaten eine Werkstatt in der Schulstraße eröffnet und ist damit der einzige Schuhmacher mit Meisterbrief in der City.

Für die meisten fällt mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters endgültig die letzte Klappe im Berufsleben. Nur wenige sind weiter mit Spaß an der Sache dabei und verlängern. Zu Letzteren gehört Schuhmachermeister Paul Dambacher (65). Als für ihn im Januar 2007 nach 26 Jahren Schluss war mit der Werkstatt im Untergeschoss des Salamanderhauses in der Königstraße, suchte er sich kurzerhand eine neue Wirkungsstätte. Seit Mai steht er nun alten und neuen Kunden in der Schulstraße 7 zur Verfügung, um Absätze und Sohlen zu erneuern oder einen Reißverschluss an den teuren Stiefeln zu ersetzen. „Ich bin der einzige Schuhmacher mit Meisterbrief in der City und meine Kundschaft bleibt mir treu“, wusste er gestern zu berichten, als die obersten Funktionäre der Stuttgarter Handwerkschaft seinem Ein-Mann-Unternehmen anlässlich eines öffentlichen Betriebsbesuchs eine Stippvisite abstatteten.

 „Wir suchen mit diesen Besichtigungen den direkten Kontakt zu den Betrieben, um uns über deren authentische Sorgen und Wünsche zu informieren,“ begründet Claus Munkwitz, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer der Region Stuttgart, die einmal im Quartal stattfindenden Vor-Ort-Gespräche. Sorgen drücken Dambacher zurzeit eigentlich nicht. Er hat nach reichlichem Bemühen eine neue Werkstatt gefunden, die sowohl in der Größe als auch bei der Miete seinen Vorstellungen entspricht. Da er seine Stammkundschaft mitnehmen konnte, laufen die Geschäfte akzeptabel. Gleiches gilt für die gesamte Handwerkerschaft in der Region. „Die letzte Konjunkturumfrage unter den hiesigen Betrieben brachte eine überwiegend positive Resonanz“, berichtet Munkwitz. „Die Umsätze steigen und mehr ausgebildet wird auch.“ Wenn es Bewerber in ausreichender Qualität gibt und da hapert es manchmal.

Ein Grund ist das Image-Problem der Handwerksberufe meint Munkwitz: „Jahrelang gab es einen fast krankhaften akademischen Dünkel. Abitur und Studium waren Pflicht. Handwerkliche Arbeit hingegen wurde gesellschaftlich fast geächtet.“ Ausdrücklich ermutigt er junge Leute, sich auf ein Schnupperpraktikum einzulassen. „Wenn die Chemie stimmt, sich Engagement zeigt und eine schnelle Auffassungsgabe, dann sehen die Betriebe auch schon mal über einige schlechte Noten im Zeugnis hinweg.“

Auch Meister Dambacher würde eventuell ausbilden und bei ihm kann man das Handwerk sicherlich von der Pike auf lernen. Zwar benötigt seine Kundschaft meistens nur Reparaturen an Schuhen und Lederwaren, aber er fertigt auch ab und zu Maßschuhe an. „Das Interesse ist schon da, aber bei Preisen von 500 EUR an aufwärts lässt es bei den meisten doch relativ schnell nach.“ Die Liebe zum Beruf zwischen Leimgeruch und Ledernähmaschine, die lernt man hier aber ganz sicher. Denn trotz der harten Konkurrenz durch die Schnellschustereien bereut er nichts. „Man hat keinen Druck von oben und ist sein eigener Herr. Jederzeit wieder!“

[Der Artikel ist Ende Juli 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen.]

Neue Werkstatt statt Rentnerdasein: Ein Besuch beim einzigen Schuhmachermeister in der City

Slow Baking in Stuttgart: Langsames Brot

Brot im Zeichen der Schildkröte: Langsam zur Qualität. Mit diesem Motto versuchen auch in der Region Stuttgart einige Bäcker dem mörderischen Preiskampf mit den Backdiscountern zu begegnen.

Brot ist ein Thema, das den Menschen ins Mark geht. Es hat Revolutionen ausgelöst und Kriege entfacht, ganze Zivilisationen lebten nach seinem Rhythmus. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei, das älteste Nahrungsmittel der Welt gibt es an jeder Ecke. Aber hier stellt sich das nächste Problem: Was ist das beste Brot? Dazu hat jeder eine Meinung und vertritt sie mit viel Leidenschaft. Im Stuttgarter Stadtblog brach ein Brotkrieg aus, als ein Autor über einen lokalen Großbäcker herzog.

Preis frisst Qualität
Dabei ist die Lage dieses traditionsreichen Handwerks nicht gerade rosig. Günter Semmig, Geschäftsführer der Stuttgarter Bäckerinnung, kann sich noch an Zeiten vor 20 Jahren erinnern, in denen es über 200 Mitgliedsbetriebe in der Stadt gab. Daraus sind inzwischen 47 geworden, aus vielfältigen Gründen, wie er meint: „Nachwuchsprobleme, Zurückhaltung der Banken und die wirtschaftliche Macht von Filialisten und Discountern haben den Einzelbäckern in den letzten Jahren zugesetzt. Aber die Situation bessert sich. Es gibt ein deutliches Licht am Ende des Tunnels.“ Ursache dieser Entwicklung sind wie immer die Konsumenten. Zwar rennen viele nach wie vor in die Discounter, die in Fabriken vorgefertigte Teiglinge in Heißluftöfen ausbacken und diese dann noch warm an den Endkunden bringen – zu Preisen, mit denen die eingesessenen Bäckermeister nicht konkurrieren können. Auf der Strecke dieses Herstellungsverfahrens bleibt aber die Qualität. Denn Brot ist ein lebendiger Werkstoff, der sich nicht beliebig industriell anfertigen lässt. Das Problem also: Der Preis frisst die Qualität.

Slow Baking als Gegenstrategie
Eine fatale Entwicklung, der Einhalt zu gebieten, sich Werner Kräling aus dem sauerländischen Winterberg vorgenommen hat. 2003 hat er den Verein    Slow Baking ins Leben gerufen. „Wir wollen die Betriebe ermutigen, wieder verstärkt auf traditionelle Verfahren zurückzugreifen, ein authentisches Handwerk auszuüben und damit eine Qualität im Premium-Bereich zu liefern.“ Eine ständig steigende Zahl von Betrieben verschreibt sich den Zielen seines Vereins oder lässt sich sogar nach dessen strengen Richtlinien zertifizieren. Im Vergleich zum Gesamtmarkt bewegt sich die Zahl der langsamen Bäcker allerdings im einstelligen Prozentbereich.

Slow baking? Was soll das jetzt wieder sein? Klar, der Begriff „slow“ im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln wurde durch die Slow-Food-Bewegung in der genussfreundlichen Öffentlichkeit bekannt gemacht – als Gegensatz zum teuflischen Fast Food. Bei Slow Food geht es vor allem um die Abneigung gegen die geschmackstötende industrielle Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln mit all ihren Problemen beim Energieverbrauch, beim Tierschutz, bei der Landschaftszerstörung und dem Verkehrschaos, um nur einige zu nennen. Gegen diese Horrorszenarien werden Werte wie regionale, traditionell hergestellte und verarbeitete Lebensmittel gesetzt. Schmecken einfach besser, auch im Kopf.

Das langsame Backen
Und das langsame Backen? Das bezieht sich jetzt hauptsächlich nicht auf den Backvorgang als solchen, sondern um den Zeitraum davor, den Prozess der Teigherstellung. Von vorne: Was ist Brot? Grob gesagt: gemahlenen Grassamen wird Wasser in einem Knetvorgang zugesetzt, diese Masse wird unter Zusatz von Hefepilzen zum Gären gebracht und dann im Ofen unter Hitzeeinwirkung das Wasser wieder entzogen. So einfach, so schwierig, denn vor allem die Reife des Teigs kostet Zeit und hört nicht von allein wieder auf. Und das gebackene Ergebnis soll ja auch schön „rösch“ auf den Tisch kommen.

Im Sinne der Slow-Food-Bewegung
Roman Lenz, Vorsitzender von    Slow Food Stuttgart, kann sich mit den Zielen des Slow Baking durchaus identifizieren, vor allem was die technologische Seite der Brotherstellung betrifft: „Dieses Prinzip der langen Teigführung und der ausgereiften Natursauerteige entspricht unseren Zielen. Allerdings ist für uns die regionale Organisation der Zutaten, der Herstellung und des Vertriebs auch ein sehr wichtiger Punkt.“ Die Wünsche von Lenz gehen allerdings noch weiter: „Holzofenbrot bekommt man in der Region nur noch in einigen dörflichen Gemeinschaftsbackhäusern, die übrigens wieder im Aufschwung sind. Ich glaube, was in der Innenstadt aus Gründen des Emmissionsschutzes früher kaum genehmigungsfähig war – es qualmt einfach zu stark – müsste doch heute technisch machbar sein…“ Für Lenz beeinflusst die Art der Herstellung ganz elementar den Geschmack und deshalb hat der Rückgriff auf die fast schon ausgestorbenen Methoden auch nichts mit Traditionspflege oder purer Nostalgie zu tun. Ein bisschen teurer darf es denn auch sein…

Der Stuttgarter Slow-Baking-Bäcker
Genau in diesem Premium-Segment versucht Wolfgang Treiber sein Unternehmen aus Leinfelden-Echterdingen zu positionieren. Wolfgang Treiber ist Mitglied bei slow baking, wirkt nicht wie ein esoterischer Fantast, sondern ist ein gestandener, schwäbischer Mittelständler in den besten Jahren. Seit drei Generationen ist die Familie im Bäckerhandwerk tätig und das Unternehmen ist inzwischen auf 18 Filialen und 300 Mitarbeiter gewachsen. Über 150 verschiedene Backwaren verlassen täglich frisch die zentrale Fertigung und Treiber kann über die landläufigen Meinungen zu dieser Art der Organisation nur den Kopf schütteln. „Die Leute meinen, wenn das Brot aus einem 2-Mann-Betrieb kommt, sei es per se besser. Das ist totaler Quatsch!“ Denn ob in Fabriken industriell gebcken wird oder ob der Bäcker vor Ort industriell hergestellte Vorprodukte weiterverarbeitet, läuft letztendlich auf das Gleiche hinaus. „Mir ist die Qualität wichtig und der Geschmack. Sie müssen mal eines von diesen noch warmen Brötchen aus dem Backdiscounter aufbrechen und tief dran riechen – das stinkt ja förmlich nach Chemie!“

Slow Baking in Backnang
Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Geschmacksverstärker, chemische Frischhaltemittel, Emulgatoren – all das kommt auch bei Bernd Mildenberger nicht in Teig. In Backnang und den umliegenden Gemeinden vertreibt er in 29 Filialen seine Backwaren. Seine Mitgliedschaft bei Slow Baking sieht er entspannt. „Im Grunde haben wir das schon immer so gemacht. Ich möchte diese gute Sache aber unterstützen und habe mir auch schon die eine oder andere Anregung von dort geholt.“ Auch er hofft, dass sich bei auch bei den Brotessern letztendlich die Qualität durchsetzt und dass sie bereit sind, für die weltweit einmalige Vielfalt an Backwaren etwas mehr zu bezahlen.

[Veröffentlicht in LIFT 11/2007]

Slow Baking in Stuttgart: Langsames Brot

Stuttgarter Weblogs 2006: Stimmen der Stadt

 

In Stuttgart werden täglich Weblogs mit Meldungen, Meinungen und Mitteilungen befüllt. Ein Rundgang durch die hiesige Blogosphäre.

Ein Weblog kann jeder mit ein paar Klicks beginnen. Vielleicht 2.000 Internetnutzer aus der Region Stuttgart haben dies bisher getan, denn Bloggen ist einfach. Bloggen kann jeder, der einen Internetanschluss hat und eine Datenmaske ausfüllen kann. Technische Kenntnisse braucht es kaum und Anbieter, bei denen man gratis ein Weblog anlegen kann, gibt es inzwischen dutzendweise. Die meisten dieser Blogs kranken allerdings an der Frage: Was schreiben? Denn bei den meisten Schreibern handelt es sich um junge Leute, die oft nicht mehr zu sagen haben, als dass sie sich gerade langweilen und nicht wissen, was sie schreiben sollen. Die allermeisten Blogs sind denn auch Totgeburten, werden nicht weitergeführt und stehen als Datenmüll im Internet. Wenn man diese Spreu vom Weizen getrennt hat, stößt man jedoch auf eine wachsende Zahl von Blogs, die von (halb-)professionellen Autoren geführt werden oder literarisch ambitioniert sind. Deren Lektüre lohnt dann wirklich, weil sie Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnen, die man sonst nicht so einfach erhält. Denn Blogs sind per definitionem radikal persönlich, was den entscheidenden Reiz ausmacht.

 Poodlepop (www.poodlepop.net) und Rabenwerk (www.rabenwerk.de) gehören in diese Kategorie. Zwar wird nicht jeden Tag veröffentlicht, aber beide Blogger haben sich inzwischen mit sehr lesbaren Texten in die erste Liga der deutschen Blog-Landschaft geschrieben. Unter dem Motto „Der weite Weg vom Hundersten ins Tausendste“ werden bei Poodlepop alltägliche Begebenheiten und Auffälligkeiten sarkastisch kommentiert. Oder eine Liste der „schlimmen Städte“ veröffentlicht (Sindelfingen, Böblingen, Singen). Stuttgart ist übrigens nicht dabei, wird ganz im Gegenteil im Kommentarteil sogar heftigst verteidigt. Nicht alles ganz so ernst gemeint, aber nett zu Lesen. Bei Rabenwerk hingegen geht es ernster zu, denn die Bloggerin schreibt anspruchsvolle Kurzgeschichten von einiger Qualität.

Eine neue Entwicklung sind Stadtblogs, also Angebote, die sich thematisch auf die Stadt konzentrieren, aus der die Autoren kommen. „In einer Stadt mit knapp 600.000 Einwohnern muss es doch tausende von verschiedenen Meinungen, Sichtweisen und Positionen geben. Die sollen sich äußern können.“ sagen Ralf Schmid und Diana Wagner von der Stuttgarter Agentur 6B Neue Medien und setzen auf das Mitteilungsbedürfnis normaler Großstadtbewohner. Deshalb haben sie vor ein paar Monaten www.stuttgart-blog.net gegründet. Sie verstehen sich dabei als Katalysatoren und wollen die notwendige Kontrolle bald möglichst wieder abgeben. Eigene Texte veröffentlichen kann hier jeder, der sich zuvor per E-Mail angemeldet hat. Etwa 20 Autoren schreiben inzwischen regelmäßig Beiträge oder Kommentare. Meist handelt es sich um Erlebnisse aus dem Alltag. Berichte über Probleme mit dem Kabelfernsehen stehen neben Weihnachtsfantasien, Gedichten, Ärger mit der Bahn oder Meinungen zum Tunneldeckel an der Kulturmeile – alles sehr persönlich, komplett unausgewogen und von unterschiedlicher Qualität. Die Kosten für die technische Infrastruktur halten sich in Grenzen, sodass 6B nicht daran denkt, Werbung auf die Seiten zu holen.

Das ist bei dem Blognetzwerk www.medienrauschen.com von Thomas Gigold aus Ludwigsburg anders. Gigold ist Netzpionier, Mitbegründer des renommierten Blogs www.medienrauschen.deund Betreiber mehrerer Newsblogs, z.B. von gadgetmania.de, bei dem eine handvoll Schreiber Nachrichten um merkwürdige technische Produktneuheiten kolportieren. Ganz aktuell hat Gigold ein neues Stadtblog ins Leben gerufen, das sich der Region Stuttgart widmet: www.stuttgart-leben.de. Schreiben wird ein fester Stamm professioneller Autoren über und aus der Region. Finanziert werden soll das Ganze durch Werbung. Oliver Gassner aus Vaihingen/Enz gehört zum Team und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Blogging-Phänomen. Neben seinem eigenen Blog – www.typo.twoday.net – betreibt er mit Schriftstellern und literarisch Interessierten aus Baden-Württemberg das litblog.literaturwelt.de. Neben Infos zu Lesungen und aus der Literaturszene sowie neuen Texten gibt es Rezensionen aktueller Publikationen. Sehr ernsthaft das Ganze wie z.B. auch das Blog des Stuttgarter Kulturjournalisten Jürgen Hartmann, der klassische Konzerte, Opern und Ausstellungen kommentiert kulturchronist.blogger.de).

 

Das ist bei den meisten privaten Stuttgarter Blogs ganz anders. Viel Ironie und Sinnfreies kann man hier lesen wie zum Beispiel bei monsterfrosch.blogg.de, in dem ein wöchentliches Foto den Inhalt eines öffentlichen Paperkorbs im Rosensteinpark dokumentiert – eine wunderbare Chronik der Alltagskultur von ganz unten. Auch bei Jan Theofel, IT-Unternehmer aus Zuffenhausen, ist alles sehr persönlich. In „Jans Küchenleben“ (www.theofel.de) kann man private Kochversuche verfolgen, mit Rezepten und Fotos der fertigen Gerichte. Aus seinem wechselvollen Studentenleben berichtet täglich Henrik Holzhausen (www.vcinfo.blog.de) inklusive Kneipentouren, WG-Leben und Lieblingsmusik. Das alles sind aber nur Beispiele aus der sehr vielfältigen Stuttgarter Blogosphäre. Wer mehr Stimmen der Stadt entdecken möchte, geht auf eine der Blogsuchmaschinen (z.B. bei Blogsuch von Googleoder Technorati), tippt “Stuttgart” ein und lässt sich überraschen.

[Der Artikel entstand Anfang Januar 2006 und wurde veröffentlicht in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 25.01.2006]

 

Stuttgarter Weblogs 2006: Stimmen der Stadt

La Fenetre: Der kleine Unterschied

Worin der kleine aber feine Unterschied besteht beim Qualitätssprung von der guten in die gehobene internationale Gastronomie, lässt sich sehr gut bei einem Besuch des La Fenetre in Büsnau erleben. Bereits bei der Raumgestaltung wird klar: Hier wird ein besonderes Erlebnis geboten. Die Küche ist nämlich in den ansonsten eher dezent altdeutsch anmutenden Raum integriert. Abgeschottet mit Glaswänden sieht man also die Köche beim Wirbeln mit Pfannen und Töpfen und beim schwunghaften Ausgarnieren der Gerichte.

Bei Letzterem gibt es reichlich zu tun, denn die gehobene Qualität zeigt sich ja vor allem bei den kleinen Verfeinerungen, die z.B. aus einer Rehterrine auf Waldbeeren eine echte Gaumenfreude machen, weil um die zwei Pastetenstücke eine feine Linie aus hochintensiver Schokoladen-Essenz lockt. Küchenchef Phillip Gäbeler ist auch sonst der experimentellen Kochmoderne nicht abgeneigt. So werden die Flusskrebse in Brennnessel-Schaum gereicht, der übrigens fast wie Brokkoli schmeckt, und das Aprikosendessert wird mit einem schön scharfen Chilitopfen veredelt; oder eine Kalbsbacke mit Vanillejus.

Die Karte ist übersichtlich wie in der Spitzengastronomie üblich – es werden zwei Menüs zu 43 und 57 € geboten – wobei die Gänge sich auch einzeln ordern lassen. Die Qualität der Speisen ist insgesamt hervorragend und führen zu echten Gaumenfreuden, die tagelang nachschmecken wie z.B. der Lammrostbraten auf Schalottenconfit. Das butterzarte, saftige Fleisch arrangiert sich mit dem leicht süßlichen Zwiebelmus und den dazu gereichten Gemüsen zu einem ausgesuchten Gourmet-Erlebnis. Preis und Leistung stimmen hier auf jeden Fall. Weil auch die Weinauswahl selbst bei den offenen Weinen kaum Wünsche offen lässt und der Service perfekt organisiert ist, sollte man das La Fenetre unbedingt in seine Überlegungen einbeziehen, wenn man sich mit dem Gedanken trägt, einmal den kleinen Unterschied zu akzeptablen Kosten zu erleben.

 

La Fenetre / relexa Waldhotel Schatten

Magstadter Straße

70569 Stuttgart-Büsnau

Tel: 0711-6867-0

www.relexa-hotels.de

 

Öffnungszeiten: Di-Sa 18–23 Uhr

 

Vorspeisen: 9–12 €

Hauptgerichte: 18–24 €

Dessert: 6–8 €

Offene Weine: 5 €

Weine: ab 18 €

 

[Getestet wurde im September 2005. Veröffentlicht in „Stuttgart geht aus 2006“]

La Fenetre: Der kleine Unterschied

Stuttgarter Blogger: Globaler Stammtisch in 60 Millisekunden

Weblogs, diese kurz „Blogs“ genannten persönlichen Internet-Tagebücher, machen Furore. Auch in der Region Stuttgart sind einige Netzenthusiasten als aktive Blogger am Werk. LIFT-Autor Dirk Baranek hat sich der hiesigen Blogosphäre umgesehen und war auf einem Blogger-Treffen in Vaihingen an der Enz.

Durch die leergefegten Gassen der abendlichen Vaihinger Altstadt wehen dörfliche Gerüche. Auf dem Marktplatz liegt eine Sandfläche verlassen da – inzwischen macht wohl jedes Kaff auf Paris Plage – ein paar Jugendliche produzieren sich lautstark bei Cola, Eis und Bier. Hier soll das Epizentrum der Stuttgarter Bloggerszene sein, dem zurzeit größtem Internet-Hype?

Zwischen 60 bis 250 Tausend Weblogs – je nach Zählweise – soll es in deutscher Sprache inzwischen geben und auch in der Region Stuttgart wächst die Zahl der Internet-Tagbücher jeden Tag. Bloggen ist einfach. Bloggen kann jeder, der am Computer ein Formular ausfüllen kann. Blogs sind persönlich. Blogs können deshalb sehr spannend sein und zu oft ziemlich langweilig – „…gebloggt wird in 90% der Fälle sowieso immer das selbe„, schreibt der Stuttgarter Kommunkationsdesigner Andreas Mayer in seinem – Stuttgarts erstem? – Blog www.anarchiv.com/p/weblog).

Oliver Gassner hat mit der Masse kein Problem: „99,9 % aller Bücher, die erscheinen, lese ich ja auch nicht.“ Gassner hat zum monatlichen Bloggertreffen „BlogMeetSKa“ im Gasthaus Engel geladen und ist seit Jahren im Netz aktiv, als Pädagoge, Journalist, Berater und bezahlter Profi-Blogger. Inzwischen entdecken immer mehr Freiberufler und Unternehmen das Marketing-Potenzial der Blogosphäre, wie sich die internationale Blog-Gemeinde selbst bezeichnet. Zum Teil beruht dieser Effekt auf dem Google-Prinzip: Wer am häufigsten durch andere Webangebote verlinkt ist, der rutscht bei der Trefferanzeige nach oben. Der Reiz des Bloggens liegt also an der starken Vernetzung: Die Tatsache, dass ein neuer Beitrag veröffentlicht wurde, wird automatisch an die gesamte Bloggerwelt gemeldet. Andere Blogger lesen mit, haben das Blog abonniert, kommentieren Beiträge, verlinken und analysieren: Wie Wellen gehen News und Meinungen durch das Internet. Die Konsequenz ist starker Verkehr auf den Ausgangsseiten, die den ersten Stein ins Wasser geworfen haben und nebenbei sich selbst, ihre Produkte und Dienstleistungen bekannt machen.

Letzeres versucht Thomas Gigold (   www.gigold.de) aus Ludwigsburg mit seinen Projekten. Angefangen hat er mit einem klassischem Tagebuchblog zu Zeiten seelisch bedrückender Arbeitslosigkeit. „Bloggen hat sich bei mir dann verselbstständigt„, gibt er unumwunden zu. Mit Gadgetmania, ein News-Blog zu seltsamen Geräten, und Space42, einem Portal für anspruchsvolle Netzprojekte, versucht er sich jetzt als Medienunternehmer. Auch Jan „UMTS“ Theofel (   www.theofel.de) aus Feuerbach sieht bloggen als Chance, seine Kompetenzen schnell und billig zu kommunizieren. Er betreibt einen IT-Technik-Blog und hat gute Erfahrungen damit gemacht. „Ich habe bereits vier Monate, nachdem ich mit dem Blog begonnen habe, die ersten Anfragen von Kunden erhalten, die zu dem Thema einen Dienstleister suchten.

Für Frank „dev“ Scholz ist das Ganze ein rein privates Vergnügen www.netzflocken.de). Er ist seit 1992 im Netz, kommt aus der IT-Branche und betont die kommunikative Kraft an dem ganzen System: „Die Blogger-Welt ist ein globaler Stammtisch in 60 Millisekunden.“ Allerdings bezieht sich das nicht unbedingt auf politische Diskussionen. „Das Feld des politischen Blogs wird in Deutschland bisher nicht bestellt – anders als in den USA. Die Leute hierzulande scheuen offensichtlich, sich öffentlich klar zu positionieren.

Angesichts der Masse von Angeboten kann keiner einen thematischen Schwerpunkt feststellen – für jedes Nischenthema gibt es inzwischen einen Blog. Allerdings ist man sich einig, dass Blogs den Charme des realen, nicht immer perfekten Lebens haben müssen: authentisch, persönlich, ehrlich. „Viele haben Angst, dass die gesamte Blogosphäre über sie herfällt, wenn sich herausstellt, dass sie da irgendeinen Mist geschrieben haben„, meint Gassner, auch deshalb begeben sich manche in die Anonymität. Scholz pflichtet bei: „Anonyme Blogs sind für einige Leute ein Ventil, um z.B. über ihren Boss herzuziehen, und dann mag das durchaus Sinn machen.“ Aber Achtung: Wie der Fall der Mannheimer CDU-Funktionäre zeigt, die unter verschiedenen Pseudonymen üble Beleidigungen im Forum des Mannheimer Morgens veröffentlicht haben, ist es mit der Anonymität ganz schnell vorbei.

 Gassner ist trotzdem eine Feststellung wichtig: „Das Internet verbindet eben Menschen und nicht Maschinen.“ Einige dieser Spezies haben ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis und breiten ihre emotionalen Hochs und Tiefs vor der ganzen Welt aus. Folgerichtig gibt es jetzt einen US-Dienst (www.bloginspace.com), auf dem man sein Blog anmelden kann und der neue Einträge ins All sendet. Aus dem mittelalterlichen Gasthof an der Enz in die unendlichen Weiten des Raums: Ich blogge, also bin ich!

[Der Artikel entstand im Juli 2005 und wurde veröffentlicht in LIFT 09/2005]

Stuttgarter Blogger: Globaler Stammtisch in 60 Millisekunden