Teufel lobt Reuter: Begegnung statt Autobiographie

Im Rahmen einer öffentlichen Buchpräsentation in der BW Bank stellte gestern Abend der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel das neue Buch von Edzard Reuter vor. Teufel war des Lobes voll und findet den Band „bemerkenswert“.

In Anwesenheit von 300 Zuhörern wurde gestern Abend in der BW Bank am Kleinen Schlossplatz das neue Buch von Edzard Reuter vorgestellt. Erst in der Nacht zuvor waren die fertigen Bände an den Verlag ausgeliefert worden, sodass der Autor selbst erst an Ort und Stelle die Gelegenheit hatte, sein neuestes Werk in der endgültigen Fassung zu begutachten. „Es ist also eine echte Premiere für alle,“ sagte Ulrich Frank-Planitz, Herausgeber und Leiter des Hohenheim Verlags.

Diese fand wegen des großen Andrangs, wie Claudia Diem, Vorstandsmitglied der BW-Bank, als Hausherrin mitteilte, in der zentralen Schalterhalle statt. Das Forum im siebten Stock wäre viel zu klein gewesen. Unter den meist älteren Zuhörern fand sich ein Querschnitt durch die Stuttgarter Gesellschaft, darunter der SPD-Vordenker Peter Conradi, der Historiker Eberhard Jaeckel, Ex-SWR-Intendant Peter Voß und Alt-OB Manfred Rommel. Prominentester Gast war der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel, der vom Verlag als Hauptredner gewonnen werden konnte.

Teufel scheint die Lektüre, die ihm in Form eines Manuskriptes vorab ermöglicht worden war, gefallen zu haben. Besonders die menschliche Note, Reuter schildert in 14 Kapiteln Begegnungen mit für sein Leben wichtigen Personen, haben ihn beeindruckt. Denn nicht das Autobiographische sei der Kern des Buches, sondern die Geschichte anderer Menschen, die mit „starker Beobachtungsgabe, Urteilskraft und Erinnerungsvermögen“ geschildert werden, so Teufel. Deshalb sei dieses Buch auf eine besondere Art geeignet, mehr über den Menschen Edzard Reuter zu erfahren.

Teufel enthielt sich jeder Anspielung auf tagesaktuelle Diskussionen und findet in dem Buch vor allem wichtige Werte: langfristiges Denken, glaubhafte Führung, unternehmerische Verantwortung. Edzard Reuter war angesichts dieser Laudatio erstmal „baff“. Umso ausdrücklicher bedankte er sich bei dem Vorredner. Trotz unterschiedlicher Einschätzungen in manchen konkreten Fragen, haben seine Frau und er, wie er betonte, sich stets mit Teufel verbunden gefühlt, vor allem am Ende dessen Amtszeit. Indirekt deutet er an dieser Stelle gemeinsame, nicht so angenehme Erfahrungen an und es wird still im Saal.

Mit einem kleinen Bonmot von Oscar Wilde hebt Reuter aber gleich wieder die Stimmung: „Gesegnet seien die, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten.“ Reuter hat etwas zu sagen, da sind sich alle Anwesenden einig, und so bildet sich am Schluss der Veranstaltung eine kleine Schlange, denn nicht wenige möchten eine persönliche Widmung beider Herren im frisch erstandenen Band nach Hause nehmen.

[Der Artikel ist am 15. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Teufel lobt Reuter: Begegnung statt Autobiographie

650 Jahre Industriegeschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht

Katalog des Firmenarchivs des ältesten deutschen Industriebetriebs übergeben

Im Schloss Hohenheim wurden gestern 15 Findbücher an die Schwäbischen Hüttenwerke (SHW) übergeben, Ergebnis von sechs Jahren Arbeit im Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg. Damit ist das umfangreiche Firmenarchiv des ältesten noch existierenden Industriebetriebs in Deutschland zugänglich.

Manchmal winkt selbst in heutigen Zeiten, in denen weiße Flecken auf der historischen Landkarte eher unwahrscheinlich sind, echtes Forscherglück. „Die Hüttenwerke hatten alte Unterlagen wegen einer Renovierung ausgelagert, in einen Container nur 150 Meter neben der Donau. Wir haben deren Wert sofort erkannt, mein Auto bis unters Dach vollgeladen und die Sachen nach Stuttgart transportiert,“ erzählt Dr. Uwe Fliegauf und schwärmt von der Qualität des Materials, das er für seine Dissertation zur Geschichte der Schwäbischen Hüttenwerke (SHW) ausgewertet hat.

Die Papiere waren ein Teil des verstreuten und ungeordneten Archivs des ältesten noch existierenden Industriebetriebs in Deutschland, das heute unter dem Namen SHW Automotive in vier Werken mit 1.000 Mitarbeitern in Aalen-Wasseralfingen, Tuttlingen und Bad Schussenried Hydraulikpumpen und Bremsscheiben für die Automobilindustrie produziert. Vor fast 650 Jahren wurde die Hütte zum ersten mal urkundlich erwähnt, war jahrhundertelang der Kern der metallproduzierenden und -verarbeitenden Industrie in Württemberg und bis 1921 in Staatsbesitz. Vielleicht war letzteres der Grund, warum in diesem Fall ein so umfangreiches Unternehmensarchiv entstehen konnte. Man fühlte sich irgendwie staatlichen Dokumentationsprinzipien verpflichtet. Gleichwohl waren die Bestände zuletzt verstreut und nicht sachgerecht untergebracht.

Das hat sich nun gründlich geändert, denn der komplette Bestand ist jetzt Teil des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg, das von einer Stiftung der IHK und der Landesregierung getragen wird. Dort werden Originalquellen zur Wirtschaftsgeschichte Landes gesammelt und konserviert. Kern sind Dutzende Archive hiesiger Unternehmen, darunter so bekannte Namen wie Salamander, Kreidler oder WMF, die diese seit 1980 abgegeben haben. Die Unternehmen, soweit sie noch existieren, bleiben Besitzer der Materialien, müssen aber auch nichts für die Aufbewahrung bezahlen. Denn die Urkunden, Werbematerialien, Rechnungsbücher, Fotos oder Konstruktionspläne werden im Archiv erschlossen und professionell gesichert, was in den Unternehmen nicht immer gewährleistet ist, wie auch bei SHW. In einer alten Villa und in Kellern lagerten die wertvollen Unterlagen. „Die Übernahme dieses wegen der langen, kontinuierlichen Geschichte so reichhaltigen Archivs ist ein echter Glücksfall für die Forschung,“ sagt Professor Gert Kollmer-von Oheimb-Loup, Sozial- und Wirtschaftshistoriker von der Universität Hohenheim.

Die gestern an das Unternehmen überreichten 15 voluminösen Findbücher, in denen das 300 Regalmeter umfassende SHW-Archiv katalogisiert wurde, zeigen anschaulich, welcher Schatz der deutschen Wirtschafts-, Sozial- und auch Kulturgeschichte der Öffentlichkeit jetzt zugänglich gemacht wurde. Mit Unterstützung der Stiftung Kulturgut, der Gesellschaft für Wirtschaftsgeschichte und von SHW selbst konnten drei Wissenschaftler sechs Jahre lang finanziert werden, die das aus 10.000 Einträgen und 3.000 Fotos bestehende Material sichteten. Vom 30jährigen Krieg bis in die Gegenwart stehen jetzt die Unterlagen des jahrhundertelang wichtigsten Eisenwerks in Süddeutschland der Forschung zur Verfügung. Die auf diesem Material beruhende Dissertation von Uwe Fliegauf behandelt die Epoche von 1803 bis 1945. Fliegauf hat vor allem die Frage interessiert, ob ein staatliches Unternehmen besser oder schlechter wirtschaftet als ein privates. Seine Analyse der so außergewöhnlich detailliert vorliegenden Quellen „Die zurzeit mal wieder herrschenden Vorurteile gegenüber staatlichen Unternehmen bezüglich mangelnder Flexibilität oder fehlender Rendite kann ich zumindest für diesen Zeitraum und für die Schwäbischen Hüttenwerke nicht bestätigen. Die haben dem Staat so richtig gut Geld gebracht und immer wieder den Strukturwandel aktiv mitgestaltet.“

Wer selbst historische Reste dieses Unternehmens studieren möchte, muss nicht unbedingt nach Hohenheim fahren. Der Musikpavillon auf dem Schlossplatz und die historischen Stahl-Glas-Konstruktionen mit den maurischen Kapitellen in der Wilhelma stammen von SHW. In ganz Baden-Württemberg finden sich solche Relikte und schon jetzt kommen Anfragen an das Wirtschaftsarchiv, um alte Konstruktionszeichnungen einzusehen und nach diesen Rekonstruktionen auszuführen. „Das ist eben die Leistung dieses Archivs: Die Unterlagen werden zugänglich und verkommen nicht in irgendwelchen Kellerräumen der Unternehmen,“ sagt Professor Kollmer-von Oheimb-Loup.

[Der Artikel ist am 13. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

650 Jahre Industriegeschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht

Forscher von der Uni Hohenheim starten heute ins All

Zoologen von der Universität Hohenheim experimentieren mit Buntbarschen, um mehr über das menschliche Gleichgewichtsorgan zu erfahren. 30 Jungfische werden an Bord eines russischen Satelliten ins All geschossen.

Heute morgen beginnt für 30 junge Buntbarsche eine große Reise, die sie in die Schwerelosigkeit des Weltalls führen wird. Zunächst im Handgepäck von Reinhard Hilbig (62) und Ralf Anken (43) vom Fachbereich Zoologie der Universität Hohenheim geht es nach Moskau und zum russischen Weltraumbahnhof Bajkonur in Kasachstan.

Am 14. September, so die Planung, werden sie in einem Aquarium mit einem Satelliten in eine Umlaufbahn um die Erde befördert und kehren nach 12 Tagen zurück auf die Erde. Wo genau das sein wird, wissen die Forscher nur ungefähr. „Das Zielgebiet ist 2.000 Kilometer lang und 1.000 breit,“ sagt Privatdozent Anken. Genaueres weiß man erst kurz vor der Landung, die die kleinen Passagiere hoffentlich unbeschadet überstehen. „Uns wäre es schon lieber, wenn wir sie lebendig im Empfang nehmen könnten. Dann kriegen wir einfach noch mehr raus, wie die Entstehung der Otolithen gesteuert wird.“

Otolithen sind die kleinen Steinchen aus Kalziumkarbonat, die Wirbeltiere im Innenohr haben. Damit werden dem Gehirn über feine Häärchen Informationen zur Verortung des Körpers im Raum geliefert. Den Forschern geht es bei dem Experiment, das 2003 mit dem Unfall des Space Shuttles Columbia schon einmal gescheitert war, um die Erforschung des Gleichgewichtssinns. Das ist Grundlagenforschung, denn bisher weiß man recht wenig über einige Aspekte dieses Organs. Vor allem der Prozess der Entstehung der kleinen Steinchen ist relativ unbekannt. „Das wird wahrscheinlich vom Gehirn mit einem Enzym gesteuert, welches ein bestimmtes Ionenmillieu im Innenohr erzeugt und damit die Mineralisierung anregt,“ erläutert Anken.

Fische sind dabei ein besonders geeignetes Forschungsobjekt, weil durch den Auftrieb des Wassers die Schwerkraft nicht so stark wirkt. Darum haben die Tiere im Verhältnis zur Körpermasse einen besonders großen Stein im Ohr. Bei einem Fisch von der Größe eines Menschen entspricht das etwa einen Zuckerwürfel, während Homo Sapiens nur über ein Kristall dieses Würfels verfügt. Buntbarsche wiederum werden verwendet, weil diese eine relativ robuste Gattung sind.

Temperaturschwankungen des Wassers zum Beispiel machen ihnen in einer gewissen Bandbreite gar nichts aus. Obendrein verfügen die frisch geschlüpften Jungtiere über einen Dottersack, aus dem sie sich in den ersten Tagen selbst ernähren. „Die haben ihr Butterbrot immer dabei und müssen zunächst nicht gefüttert werden,“ sagt Anken. Den Sauerstoff erhalten sie in dem 18 Kilogramm schweren Forschungsmodul von einer Algenpopulation, die Kollegen von der Universität Erlangen beisteuern. Die Kosten für die Hohenheimer Mission betragen etwa eine Million Euro, die zum größten Teil vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und damit vom Bundeswirtschaftsministerium übernommen werden.

Welcher praktische Nutzen genau aus dem Experiment abgeleitet werden kann, ist naturgemäß noch nicht absehbar, nur um die Buntbarsche geht es den Zoologen nicht. „Die Fische sind uns egal. Wir wollen mehr über die Funktionsweise und die Entstehungsprozesse des Gleichgewichtsorgan beim Menschen herausfinden. Aus diesen Erkenntnissen können im Idealfall Therapien entwickelt werden, um Menschen mit entsprechenden Krankheiten zu helfen,“ sagt Anken.

[Der Artikel ist am 8. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Forscher von der Uni Hohenheim starten heute ins All

Das Wahrzeichen ist erstaunlich filigran

Im Rahmen einer Leseraktion lädt die STUTTGARTER ZEITUNG in diesem Jahr zu über 36 Führungen durch. Dieses Mal geht es in den Fernsehturm Stuttgart.

Er war jahrzehntelang das Wahrzeichen der Stadt, denn immer wenn ein Grafiker die Aufgabe hatte, ein Bildsymbol für Stuttgart zu entwerfen, das Modernität und Fortschritt ausstrahlt, dann war die Betonnadel mit dem charakteristischen Korb gefragt. In der letzten Zeit hat er allerdings Konkurrenz vor allem durch die neuen Museen bekommen, die Kreativen wollen halt auch mal was anderes machen. Kurzum: Der Stuttgarter Fernsehturm kommt in die Jahre, aber noch nicht aufs Altenteil, denn er wird noch gebraucht und unter Denkmalschutz steht er sowieso. Obgleich der Name an sich inzwischen leicht gelogen ist. „Eigentlich müsste er jetzt Radioturm heißen, denn es wird kein Fernsehsignal mehr ausgestrahlt,“ sagt Klaus Grabbe verschmitzt. Der ist hier Betriebsleiter und führt die 16-köpfige Gruppe durch die Betonröhre. Nichts anderes ist der Turm, wie schon bei der ersten Station eindrucksvoll klar wird. Die führt in das Fundament und auf die Bodenplatte, die die Stahlbetonkonstruktion über den Köpfen trägt.

Diese ist mit Spitze 217 Meter hoch und wiegt 1.500 Tonnen. Vom Prinzip her ist sie konstruiert wie ein Stehaufmännchen: unten dick und schwer, oben dünn und leicht. Damit das Prinzip aufgeht, sind die Betonwände der Röhre am Fundament ein Meter dick. Die runde, mit 30 Meter Durchmesser gar nicht so große Platte, auf der das Ganze am Rand und in der Kreismitte steht, ist mit Stahlträgern wie eine Radfelge konstruiert und wiegt ebenfalls 1.500 Tonnen. Dazu noch 4.000 Tonnen Füllmaterial rundrum stellen sicher, dass selbst bei stärksten Wind der Turm nicht umfällt, sondern höchstens sanft mitschwingt „Oben auf der Spitze schlägt es bis zu 1,50 Meter aus, im Turmcafé sind es noch 30 Zentimeter“, sagt Herr Grabbe und fügt beruhigend hinzu: „Das merkt man aber eigentlich kaum. Nur das Wasser im Glas wackelt ein bisschen.“

Dass man den Turm überhaupt besteigen kann, ist eine Idee des Schöpfers Prof. Fritz Leonhardt. Als man Anfang der 50er Jahr beschloss, mit einem Sendemast aus Stahl für die Versorgung des Kessels mit TV-Signalen zu sorgen, schlug er vor, doch eine Betonkonstruktion zu bauen, die auch Besucher besteigen können, natürlich gegen Entgelt. Das sollte die Kosten wieder reinbringen und so wagte man das Experiment, denn dieser Turm war der erste seiner Bauart. Die Idee war ein voller Erfolg. Die Stuttgarter standen ab Februar 1956 Schlange und schon nach fünf Jahren hatte der SWR als Bauherr und Besitzer die Baukosten amortisiert.

Nach den Grundlagen geht es mit der Besichtigung weiter per Fahrstuhl in eine Höhe von 75 Metern. Dort ist eine Plattform, auf der sich dessen Technik bewundern lässt. „Lauschen Sie mal, da hört man nix“, sagt Herr Grabbe. Tatsächlich, die zwei Kabinen rauschen lautlos vorbei und verschwinden in der Höhe der Röhre, in die man hier sehr hoch schauen kann. Angesichts einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Sekunde wirkt das leicht unheimlich. Herr Grabbe weist noch auf die Kabelstränge und Versorgungsrohre. „Nach dem Turmbrand in Moskau 2003 wurde hier alles erneuert, damit es möglichst lange oben Strom gibt und Kommunikation möglich ist.“ Allerdings sei der Stuttgarter Turm anders konstruiert und deshalb schließt Herr Grabbe eine ähnliche Katastrophe aus. In dieser Höhe geht die den ganzen Turm durchziehende Nottreppe von einer Wendeltreppe über in eine Treppenhauskonstruktion. 762 Stufen sind es insgesamt und ein Lachen geht durch die Besuchergruppe, als Herr Grabbe auf jeden Fall Muskelkater verspricht, egal man hoch oder hinunter steigt. Das will jetzt keiner ausprobieren, sondern man steigt lieber wieder in den Fahrstuhl, der jetzt auf eine Höhe von 150 Meter rast, in die erste Etage des Korbs.

Hier ist viel Technik untergebracht, zur Versorgung aber auch für die Sendefunktionen. Neben den SWR-Radiostationen wird der Polizeifunk sowie eine Richtfunkstrecke nach Karlsruhe betrieben, die dem internen Datenverkehr des Senders dient. Rundum ist alles verglast und obwohl der ganze ferne Ausblick auf die Alb wegen des diesigen Wetters nicht möglich ist, hat man dennoch einen kompletten Blick auf die Fildern und die City im Nesenbachtal. 585 Meter über dem Schlossplatz befindet man sich jetzt und die Stadt wirkt ein bisschen wie ein Spielzeugland.

Einen Stock höher erwartet die Gruppe das allen Blendwerks entkleidete ehemalige Gourmetrestaurant, heute genutzt von den Theater Rampe und Altes Schauspielhaus. Man sieht die Wandkonstruktion, die den Korb zusammenhält, und staunt leicht beklommen, dass dazu diese paar 20 Zentimeter dicken Betonpfeiler genügen. „Es sollte so filigran wie möglich werden, damit das Konstruktionsprinzip aufgeht,“ sagt Herr Grabbe und strahlt eine Sicherheit aus, die alle Zweifel und Höhenschwindel verjagen. Deshalb zieht es auch noch mal alle zur Besucherplattform, wo der Blick nach oben geht auf die 65 Meter hohe, mit diversen Antennen bestückte Stahlkonstruktion der Spitze. Große Scheinwerfer blinken in weiß und rot, aber diese Hindernisfeuer sind im Grunde nur noch Zierat, dem Denkmalschutz geschuldet. Flugzeuge brauchen so etwas heutzutage nicht mehr. An dieser Stelle verabschiedet sich Herr Grabbe von der sichtlich beeindruckten Gruppe. Haben wir was vergessen: Ach ja, der Stuttgarter Fernsehturm ist zwar weltweit der älteste seiner Art, aber inzwischen auch der kleinste. Ein Grund mehr, ihn richtig liebzuhaben. Als Wahrzeichen hat er noch lange nicht ausgedient.

Filigrane Konstruktion

Fabian Engeser (27) begeistert sich vor allem für das Konstruktionsprinzip. „Ich hatte gar nicht gedacht, dass der Turm so filigran gebaut ist,“ sagt der Student der Angewandten Physik an der Uni Tübingen. „Alles überhaupt nicht bombastisch, sondern sehr tricky.“ Aus seinem Mund hat diese Einschätzung eine besondere Bedeutung, ist er doch quasi Spezialist für feingliedrige Systeme. Engeser steckt mitten in seinen Abschlussprüfungen zum Diplom, das er mit einer Arbeit über Teilchenoptik erlangen will. Grob gesagt ist das eine Technik, mit deren Hilfe man fast bis in die atomare Struktur hineinschauen kann. Der Fernsehturm ist für den aus Hechingen stammenden Studenten, der seit letztem Jahr in Degerloch wohnt, schon fast ein Stück Heimat. „Ich sehe ihn vom Fenster meiner Wohnung und wenn ich von Tübingen zurückkomme, sehe ich ihn schon von Weitem und weiß: ‚Gleich bist du zuhause.'“

Der Artikel ist am 1. September 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Das Wahrzeichen ist erstaunlich filigran

Deserteurdenkmal vor dem Theaterhaus eingeweiht

Vor dem Theaterhaus auf dem Pragsattel wurde gestern Abend im Rahmen einer öffentlichen Feierstunde ein Denkmal enthüllt, das an das Schicksal von verfolgten Fahnenflüchtigen und Kriegsdienstverweigerern erinnert. Die Granitskulptur wurde von einer privaten Initiative gestiftet.

Im Rahmen einer öffentlichen Feierstunde, zu der sich etwa 300 Teilnehmer auf dem Hof des Theaterhauses auf dem Pragsattel versammelt hatten, wurde gestern Abend ein Denkmal zur Erinnerung an das Schicksal von Deserteuren eingeweiht. Die von dem Aulendorf Bildhauer Klaus Kernbach entworfene Skulptur besteht aus zwei Teilen. Im Hintergrund ist ein über drei Meter hoher grauweiß glitzernder Granitquader zu sehen, der ein Loch in Form einer Silhouette des menschlichen Körpers aufweist. Drei Meter vor dem Block steht dann der aus dem Stein geschnittene Körper. Die Plastik ist damit ein starkes Symbol, für einen sich aus den Umständen von Macht und Zwang befreienden Menschen. Ein kleine Tafel am Boden trägt die Aufschrift „Den Deserteuren alle Kriege“ und nennt die Stifter, die Initiative für ein Stuttgarter Deserteursdenkmal.

Diese Initiative setzt sich aus Privatleuten zusammen und wird von bekannten pazifistische Organisationen wie der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) oder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes unterstützt. Auch Teile des DGB haben die Sache befördert. Seit 11 Jahren versuchen die Aktivisten, ein solches Denkmal auf die politische Tagesordnung zu setzen, sind damit aber überall abgeblitzt, wie Heinz Wienand berichtet, der in der Organisation mitarbeitet.

Oberbürgermeister Schuster und auch die CDU-Fraktion habe ein solches Denkmal stets aus prinzipiellen Erwägungen abgelehnt und auf das Vorhandene verwiesen, das vor dem Alten Schloss an alle Opfer der Gewaltherrschaft erinnere, auch an die Deserteure. Einzelne Denkmäler für bestimmte Opfergruppen seien nicht erwünscht. „Jahrzehntelang hat man den Deserteuren generell die notwendige Anerkennung versagt und jetzt, da man die Unrechtsurteile aufgehoben hat, wollen wir nicht, dass man sie einfach so hinzuaddiert,“ sagt Wienand.

Problem ist allerdings auch die Tatsache, dass das neue Denkmal nicht allein an die inzwischen von niemandem bestrittenen Opfer der Militärjustiz während der Nazidiktatur erinnert, sondern an die aller Kriege, also auch die heutigen. Denn, so der Militärhistoriker Professor Manfred Messerschmidt in seinem Festvortrag, sowohl der Kosovo- als auch der Irakkrieg seien nicht mit einem UNO-Mandat gerechtfertigt und daher völkerrechtswidrig. Ein Einsatz deutscher Soldaten sei weder mit dem Grundgesetz, noch mit der UNO-Charta noch dem Zwei-plus-Vier-Vertrag vereinbar. Allerdings würdigte er auch die gewachsene demokratische Kultur in Deutschland, als er sagte: „Schätzen wir es nicht zu gering ein, in einem Land zu leben, in dem es möglich ist, ein solches Denkmal zu enthüllen.“

Die Enthüllung selbst wurde zum bewegenden Moment, als Ludwig Baumann, einer der letzten Überlebenden der NS-Terrorjustiz, und Chris Capps (23), der erst letztes Jahr den Kriegsdienst in der US-Army verweigert hatte, als er in Afghanistan eingesetzt werden sollte, gemeinsam Hand anlegten. Der Stuttgart Oberbürgermeister ließ sich offiziell von Bürgermeister Klaus-Peter Murawski vertreten. Anwesend war hingegen der Tübinger Kollege Boris Palmer, dessen Erscheinen mit anhaltendem Applaus quittiert wurde.

[Der Artikel ist am 31. August 2007 in der STUTTGARTER ZEITUNG erschienen]

Deserteurdenkmal vor dem Theaterhaus eingeweiht